Direkt zum Inhalt

Post-Vac-Syndrom: Was hinter schweren Impfkomplikationen steckt

Die Impfungen verursachen auch ernste Nebenwirkungen. Fachleute ergründen, wie selten sie wirklich sind und was sie auslöst. Eine mögliche Ursache zeigt eine Verbindung zu schweren Folgen der Infektion und zu Long Covid auf.
Frau bekommt von Fachperson eine Impfung.
Ein möglicher Grund, warum sich Berichte über Nebenwirkungen der Impfungen häufen: die große Zahl der Impfungen. »Die neuen Impfstoffe wurden in kurzer Zeit sehr vielen Menschen injiziert, deshalb sehen wir die Komplikationen häufiger, als wir das von vergleichbaren Präparaten kennen«, sagt Bernhard Schieffer von der Uniklinik Marburg.

Auch die mRNA-Impfung gegen Covid-19 kann schwere Nebenwirkungen haben – und sogar zum Tod führen. An solchen Fällen forscht Peter Schirmacher. Der Direktor des Instituts für Pathologie an der Universität Heidelberg hat mit seinem Team Menschen obduziert, die unerwartet und ohne medizinische Behandlung innerhalb von 14 Tagen nach der Impfung tot aufgefunden worden waren. Bei 5 von 25 untersuchten Verstorbenen stellten die Pathologen in Heidelberg eine Herzmuskelentzündung in Folge der Impfung als Todesursache fest.

Immer wieder behaupten Impfgegner, die Impfungen seien sehr viel gefährlicher als bekannt. Zuletzt kursierten Gerüchte, dass in Stuttgart Menschen durch die Corona-Impfungen plötzlich verstorben seien. Sie erwiesen sich schließlich als falsch. Doch selbst wenn viele Unwahrheiten über die Corona-Impfungen kursieren – schwere Komplikationen existieren. Das zeigen auch die Untersuchungen von Schirmacher. Die Obduzierten seien durch Herzrhythmusstörungen in Folge der Herzmuskelentzündung verstorben, erklärt Schirmacher. Entsprechend seien eher der rechte Herzmuskel und die Herzscheidewand betroffen, wo wichtige Strukturen für die Erregungsleitung verlaufen.

»Wir sahen, dass bestimmte T-Zellen vermehrt in den Herzmuskel eingewandert waren«, erklärt der Forscher. »Auch an der Einstichstelle fanden wir ein gleichartiges T-Zell-Infiltrat.« Vielleicht sei das Herz besonders betroffen, weil es das erste Organ ist, in dem die Bestandteile des Impfstoffs über die Blutbahn nach einer Injektion ankommen.

Herzprobleme nach der Impfung

Dort allerdings gehört der Impfstoff gar nicht hin. Die Vakzine werden normalerweise in den Muskel gespritzt – von dort gelangen die Wirkstoffe dann zuerst in örtliche Lymphknoten. Schirmacher vermutet, dass für eine schwere Impfkomplikation sowohl die Injektionsart als auch die individuelle Veranlagung und der Impfstofftyp eine Rolle spielen. »Wir haben diese Herzmuskelentzündung nur nach Gabe von mRNA-Impfstoffen gesehen, nicht aber nach Vektor-Impfstoffen«, sagt Peter Schirmacher. »Da ein Obduktionsprogramm für Todesfälle nach Impfung nur in Baden-Württemberg existiert und die Herzmuskelentzündung nur durch Obduktion gesichert werden kann, gehe ich von einer deutlichen Untererfassung der Todesfälle nach Impfung aus.«

»Ich gehe ich von einer deutlichen Untererfassung der Todesfälle nach Impfung aus«Peter Schirmacher, Universität Heidelberg

Eine Studie aus Israel mit 250 000 Menschen zeigte zuletzt allerdings, dass die Booster-Impfungen keine nennenswerten Sicherheitsprobleme hatten. Die Wissenschaftler verglichen Krankenakten von Geboosterten und Nichtgeboosterten. 5000 Probanden rüsteten sie zusätzlich mit Smartwatches aus. Dabei zeigte sich, dass kurzfristig nach der Impfung der Puls signifikant höher war. Eine Wirkung auf das Herz gibt es also oft. Der Puls – der allein noch nichts über eine Herzerkrankung aussagt – normalisierte sich jedoch bei den meisten Probanden nach wenigen Tagen. Doch es gibt eben auch die Ausnahmen.

»Häufig stellen sich bei mir Patienten mit anhaltenden kardiologischen Beschwerden nach Impfung vor«, sagt Valentina Puntmann, Kardiologin an der Uniklinik in Frankfurt. »Bei den meisten ist eine entzündliche Herzbeteiligung zu sehen. Viele entwickeln anhaltende Long-Covid-ähnliche Symptome, zum Beispiel erhöhten Puls, Belastungsintoleranz, Fatigue insbesondere nach körperlicher Anstrengung, oft mit einer dauerhaften Einschränkung der Leistungsfähigkeit.« Daraus lässt sich über die Häufigkeit von Post-Vac allerdings nichts ableiten. Die Medizinerin ist eine international bekannte Spezialistin in der Diagnose von Herzerkrankungen mittels Magnetresonanztomografie (MRT). Zu ihr kommen oft Menschen mit ungewöhnlichen Symptomen – demnach ist die Patientengruppe, die sie sieht, alles andere als repräsentativ.

Post-Vac oder Long Covid?

Die Ähnlichkeit mancher anhaltenden Symptome nach der Impfung zu Long Covid bestätigen allerdings auch andere Fachleute. »Wir hatten in unserer Long-Covid-Sprechstunde Patienten, die nie Kontakt zu dem Virus hatten, aber geimpft waren«, sagt Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik für Kardiologie an der Uniklinik Marburg und Leiter der dortigen Long-Covid-Ambulanz. »Diese Menschen haben Symptome, die sehr ähnlich sind wie bei Long Covid – deshalb haben wir die Post-Vac-Sprechstunde gegründet.«

»Ich gehe davon aus, dass die Komplikationsrate bei den Covid-Impfstoffen nicht größer ist als bei anderen Vakzinen«Bernhard Schieffer, Uniklinik Marburg

Sie war damit die erste Sprechstunde an einer deutschen Uniklinik, die sich Patientinnen und Patienten mit dem gesamten Spektrum von Symptomen nach Impfung widmet. Nach Einführung wurde sie überrannt, die Warteliste ist lang. Allerdings wird oft nicht ausgeschlossen, dass vielleicht doch Sars-CoV-2 hinter den Beschwerden stecken könnte. Dabei kann man das eigentlich sehr einfach prüfen, indem man Antikörper gegen das N-Protein des Virus nachweist – der entsteht nur durch Infektion, nicht aber durch Impfung. »Diese Diagnostik wird oft nicht gemacht, so dass hinter einem Teil der vermeintlichen Post-Vac-Fälle auch Long Covid stecken könnte«, sagt Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Unispital Zürich. »Mittlerweile hatte ja fast jeder Kontakt zu dem Virus.«

»Ich gehe davon aus, dass die Komplikationsrate bei den Covid-Impfstoffen nicht größer ist als bei anderen Vakzinen«, sagt Bernhard Schieffer. »Die neuen Impfstoffe wurden nur in kurzer Zeit sehr vielen Menschen injiziert, deshalb sehen wir die Komplikationen häufiger, als wir das von vergleichbaren Präparaten kennen.« Die Post-Autorisierungsdaten von Pfizer gehen von 0,02 Prozent an schweren Nebenwirkungen aus, Schieffer hält das für realistisch. Die unerwünschten Nebenwirkungen seien wohl nicht auf den neuen Typus des mRNA-Impfstoffs zurückzuführen. »Wir haben auch Post-Vac-Patienten, die solche Symptome nach Injektion eines Proteinimpfstoffs entwickelt haben«, sagt Schieffer.

Das Spike-Protein unter Verdacht

Was also könnte die Ursache sein? Gemeinsam ist den meisten der in Europa zugelassenen Impfstoffen, dass sie auf das Spike-Protein von Sars-CoV-2 als Antigen setzen. Tatsächlich wurde in einer Studie von jungen Patienten mit Herzmuskelentzündung Spike-Protein im Blut gefunden – anders als bei der ebenfalls geimpften, aber nicht an Herzmuskelentzündung erkrankten Kontrollgruppe. Bei der tauchte jenes Protein nicht in den Blutproben auf.

Eine andere Studie deutet darauf hin, dass eventuell eine falsch gesetzte Injektion Ursache für eine Herzmuskelentzündung sein könnte. Mäuse, denen das Vakzin in die Blutbahn statt in den Muskel injiziert worden war, entwickelten eine Herzmuskelentzündung. Das Robert Koch-Institut empfiehlt deshalb das so genannte Aspirieren bei der Injektion von Covid-Impfstoffen – dabei wird der Kolben der Spritze nach Injektion kurz zurückgezogen. Wenn ein Gefäß getroffen wurde, kommt Blut in die Spritze. Derjenige, der sie verabreicht hat, kann an einer anderen Stelle neu ansetzen, um stattdessen den Muskel zu treffen.

Zu den Indizien für eine Rolle des Spike-Proteins in der Blutbahn passt auch, dass Herzmuskelentzündungen nach Infektion weitaus häufiger sind als nach Impfung: Bei einer Infektion wird in der Regel sehr viel mehr Spike gebildet als nach einer Impfung. »Bei der Impfung wird eine umschriebene Menge Antigen gebildet«, sagt Onur Boyman. »Während der Infektion schießt die Produktion von Virusprotein dagegen vollkommen unkontrolliert in die Höhe.« Denn der Impfstoff vermehrt sich nicht, während das Virus sich im Körper exponentiell vervielfältigt. »Das trägt wahrscheinlich dazu bei, dass die Impfstoffe weniger Komplikationen verursachen als die Infektion«, sagt Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. »Zusätzlich werden bei einer Infektion jede Menge anderer Virusproteine gebildet, die etwa das Immunsystem des Wirtsorganismus behindern.«

»Bei der Impfung wird eine umschriebene Menge Antigen gebildet. Während der Infektion dagegen schießt die Produktion von Virusprotein in die Höhe«Onur Boyman

Ob das Spike-Protein in der Blutbahn der einzige und entscheidende Faktor ist, ist bislang unklar. Ein durchaus wahrscheinlicher Mechanismus wäre aber die so genannte molekulare Mimikry. Das bedeutet, dass einige Menschen als Reaktion auf das Spike-Protein Antikörper bilden könnten, die sich versehentlich gegen den eigenen Körper richten, eine so genannte Autoimmunreaktion. »Die menschliche Immunantwort ist auf molekularer Ebene individuell so unterschiedlich, dass es wahrscheinlich solche Ähnlichkeiten gibt«, sagt Onur Boyman. Auch T-Zellen sind davon betroffen, denn sie erkennen jeweils nur kleine Proteinfragmente. Hinweise dafür gibt es, eine detaillierte Analyse des Spike-Proteins zeigte, dass einige Abschnitte menschlichen Proteinen sehr ähneln.

Die Rolle der eigenen Antikörper

»Es ist derzeit sehr schwierig zu klären, ob Antikörper und T-Zellen gegen das Spike-Protein bei den betroffenen Menschen auch körpereigene Strukturen attackieren«, sagt Onur Boyman. »Dafür müsste man alle individuellen menschlichen Proteine auch in 3-D-Struktur kennen, was im Moment noch nicht möglich ist.« Er findet den Mechanismus aber plausibel.

Nach der Molecular-Mimikry-Hypothese wäre die Anfälligkeit für solche Autoimmunreaktionen erblich. »Das Risiko bestünde dann insbesondere bei einer Infektion – mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit«, sagt Onur Boyman. Der Leiter der Post-Vac-Sprechstunde in Marburg, Bernhard Schieffer, untersucht jüngere Frauen, die überproportional häufig Autoimmunerkrankungen, Lebensmittelunverträglichkeiten, chronische Darmerkrankungen oder Entzündungen durch das Epstein-Barr-Virus, den Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers, haben. »Es ist ein bekanntes Phänomen, dass eine Autoimmunerkrankung durch eine Impfung oder noch stärker durch einen Infekt aufflammen kann«, sagt Onur Boyman.

Das Post-Vac-Syndrom betrifft allem Anschein nach vor allem das Herz-Kreislauf-System – und die klassische Definition der Herzmuskelentzündung geht hier ins Leere, denn Herzmuskelzellen sterben oft nicht ab. »Die anhaltenden Beschwerden lassen sich eher durch chronische, anhaltende immunologische Veränderungen erklären«, sagt Valentina Puntmann von der Universität Frankfurt. »Sie führen zu einer Störung der kleinen Gefäße, ähnlich wie bei Long Covid oder anderen Autoimmunkrankheiten, bei denen eine chronische entzündliche Herzbeteiligung bereits bekannt ist.« Zur Verbeugung rät sie, nach der Impfung auf körperliche Anstrengung zu verzichten. »Nach meiner Erfahrung ist sportliche Belastung nach der Impfung ein Trigger für Herzbeschwerden und Herzmuskelentzündungen«, sagt Valentina Puntmann. »Ein paar Wochen nach der Impfung sollte sich man schonen.«

Trotz Post-Vac: Bernhard Schieffer rät insbesondere Angehörigen von Risikogruppen zum Booster, wenn sechs Monate seit der letzten Impfung vergangen sind – und wenn die Covid-Impfungen bislang gut vertragen wurden. »Als Wissenschaftler ist es unsere Aufgabe herauszufinden, wer besonders gefährdet ist, Post-Vac-Symtome nach einer Impfung zu entwickeln«, sagt er. »Wenn wir diese Menschen warnen könnten, dann könnten wir die Impfung noch sicherer machen.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.