Direkt zum Inhalt

Klimaschutz: Strom im Tank

»Power to X« gilt als Allheilmittel für den Klimaschutz: Die Technologie liefert CO2-neutrale Brenn- und Treibstoffe für Kraftwerke, Verkehr, Gebäude und die Industrie. Aber noch muss das Konzept mehrere Hürden nehmen.
Power-to-Gas

Verglichen mit den großen Kohlekraftwerken in der Lausitz oder am Niederrhein ist das Heizkraftwerk in Pforzheim ein kleiner Fisch. Der Steinkohlemeiler kommt auf eine elektrische Leistung von gerade einmal 20 Megawatt. Doch das genügt, um tiefe Spuren in der Klimabilanz der Stadt zu hinterlassen. Ein guter Grund für den Betreiber, eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke Pforzheim, nun den Stecker zu ziehen – der Kohleblock soll binnen zwei Jahren durch fünf emissionsärmere Gasmotoren ersetzt werden. Natürlich stoßen auch die mit Erdgas befeuerten Anlagen Kohlendioxid aus. Doch Geschäftsführer Martin Seitz denkt langfristig: »Der Charme der Gasmotoren liegt unter anderem darin, dass wir dort eines Tages auch andere, CO2-neutrale Brennstoffe einsetzen können.«

Seitz hat hier vor allem grünen Wasserstoff im Visier, der, dem Erdgas beigemischt, die Emissionsbilanz der Gasmotoren verbessern würde. Grün ist Wasserstoff, wenn er per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird (»Power to Gas«). Er lässt sich entweder direkt nutzen, etwa in Gasmotoren und -turbinen oder auch in Brennstoffzellen. Ebenso ist es möglich, ihn zu allerlei Kohlenwasserstoffen wie Methan, Methanol, Ethan oder Propan zu verarbeiten, aus denen sich dann wiederum klimaneutrale synthetische Kraft- und Brennstoffe oder Grundstoffe für die chemische Industrie herstellen lassen (»Power to X«).

Als Forscher des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) vor zehn Jahren das Power-to-Gas-Konzept entwickelten, hatten sie eine Art Stromspeicher als Ziel vor Augen. Die Elektrolyseure, so die Idee der Wissenschaftler, sollen vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn mehr Windstrom produziert wird, als gerade benötigt wird oder als die Netze aufnehmen können. Eingespeist ins bestehende Gasnetz, können Gaskraftwerke aus dem Wasserstoff dann später bei Bedarf wieder Strom erzeugen.

Ersatz für Erdgas, Erdöl und Kohle

Künftig soll die Technologie aber noch viel mehr leisten: Grüner Wasserstoff und daraus hergestellte Kraft- und Brennstoffe sollen den Klimaschutz im Verkehr, der Wärmeversorgung und der Industrie voranbringen, indem sie Erdgas, Erdöl und Kohle ersetzen – und zwar dort, wo es nicht möglich ist, Strom direkt zu nutzen: im Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr zum Beispiel oder in vielen Industrieprozessen. Wie das konkret aussehen könnte, wollen Unternehmen und Forschungsinstitute jetzt in einer Vielzahl von Pilotprojekten erproben.

So installiert zum Beispiel der Erneuerbare-Energien-Projektierer GP Joule in Nordfriesland bis Ende dieses Jahres zusammen mit Partnern in unmittelbarer Nähe zu einigen Windrädern fünf Elektrolyseure, die Wasserstoff für zwei Tankstellen in der Region produzieren sollen. Um die Nachfrage zu stimulieren, wird die Projektgesellschaft zwei Brennstoffzellen-Busse anschaffen und diese der lokalen Nahverkehrsgesellschaft für ihren Linienverkehr zur Verfügung stellen. Die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme wird in ein lokales Wärmenetz eingespeist.

Die Salzgitter AG wiederum, einer der größten Stahlhersteller Deutschlands, will bis Mitte nächsten Jahres zwei Elektrolyseure installieren, um mit selbst erzeugtem Windstrom klimaneutralen Wasserstoff für die Stahlveredelung zu produzieren. Er soll Wasserstoff ersetzen, der wie heute üblich per Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen wird. Noch viel mehr könnte die Stahlindustrie allerdings für den Klimaschutz tun, wenn sie für die Reduktion von Eisenerz zu Eisen an Stelle von Kokskohle grünen Wasserstoff einsetzen würde. Die Salzgitter AG arbeitet derzeit an einem solchen Konzept, ebenso ThyssenKrupp, ArcelorMittal und andere Stahlhersteller.

»Wir brauchen in den kommenden Jahren einen jährlichen Ausbau im zweistelligen und Mitte des kommenden Jahrzehnts im dreistelligen Megawattbereich. Ab Ende des Jahrzehnts muss der Zubau dann mindestens ein Gigawatt betragen«Christopher Hebling

Bislang sind in Deutschland etwa drei Dutzend Power-to-Gas-Anlagen in Betrieb, hat der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW) gezählt. Zusammen kommen sie auf eine Leistung von rund 30 Megawatt. Sie können gerade einmal so viel Strom verwerten wie zehn moderne Windräder an Land liefern, wenn sie auf Hochtouren laufen. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, muss die installierte Leistung daher schnell und stark wachsen. »Wir brauchen in den kommenden Jahren einen jährlichen Ausbau im zweistelligen und Mitte des kommenden Jahrzehnts im dreistelligen Megawattbereich. Ab Ende des Jahrzehnts muss der Zubau dann mindestens ein Gigawatt betragen«, erklärt Christopher Hebling, Leiter Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Solche Raten sind nur dann zu erreichen, wenn Power to Gas und Power to X sehr schnell zu einem attraktiven Geschäftsmodell werden. Das ist derzeit jedoch längst nicht der Fall. Die bereits installierten Anlagen sind bei Weitem nicht rentabel – und das müssen sie auch nicht sein, da sie allein den Zweck haben, Betriebskonzepte zu testen und Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln. Deshalb spielt für die Betreiber bislang auch kaum eine Rolle, dass die Anlagen noch sehr teuer sind. Das liegt vor allem daran, dass sie noch weitgehend per Hand hergestellt werden. Eine Skalierung der Fertigung würde bewirken, dass die Preise deutlich sinken.

Förderung für die noch teuren Anlagen

Gelöst werden könnte dieses typische Henne-Ei-Problem sehr junger Märkte – die Kosten sind hoch, weil keiner investiert; keiner investiert, weil die Kosten hoch sind – durch eine zeitlich befristete Förderung in Form von Ausschreibungen. Ein Modell dafür hat kürzlich die Power-to-X-Allianz, ein Zusammenschluss von Verbänden und Unternehmen der Energiewirtschaft, vorgelegt. »Wir schlagen einen Mechanismus vor, der gezielt den CO2-Vermeidungseffekt von Power-to-X-Technologien inzentiviert. Für jede Tonne CO2 aus fossilen Energieträgern, die durch die Nutzung von erneuerbaren Energieträgern aus Power to X ersetzt wird, wird ein Innovationsbonus gutgeschrieben«, erklärt Melanie Form, eine der Sprecherinnen der Allianz. Ausgezahlt werden könnten diese Boni etwa über die staatliche KfW-Bank. Deren Höhe soll über Ausschreibungen ermittelt werden. Der Dachverband schlägt vor, über fünf Jahre hinweg jährlich jeweils eine Elektrolyseleistung von einem Gigawatt auszuschreiben.

Eine andere Hürde für den Markthochlauf ist die Einstufung des Strombezugs von Power-to-Gas-Anlagen als so genannter Letztverbrauch. Diese Regelung hat zur Folge, dass die Anlagenbetreiber für den eingesetzten Strom Abgaben wie die EEG-Umlage und unter Umständen auch Netzentgelte bezahlen müssen – ein wesentlicher Grund dafür, dass grüner Wasserstoff und damit produzierte Kraft- und Brennstoffe heute noch sehr teuer sind. So kostet die Produktion eines Liters strombasierten Diesels in Deutschland laut einer Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) und dem Beratungsunternehmen Ludwig-Bölkow-Systemtechnik unter den gegenwärtigen Bedingungen bis zu 4,50 Euro.

»Technisch gesehen könnten wir schon morgen damit anfangen, unsere Produktion auf fast komplett CO2-freie Verfahren umzustellen, weil die nötigen Technologien bereits etabliert sind«Volker Hille

Doch auch mit einer Umlagenbefreiung ist nicht zu erwarten, dass die grünen Energieträger schon bald günstiger sein werden als ihre fossilen Pendants. Die derzeit intensiv diskutierte CO2-Bepreisung würde an diesem Ungleichgewicht ebenfalls – zumindest kurzfristig – nichts ändern. Daher brauchen industrielle, gewerbliche und private Verbraucher andere Anreize, um sich für Energieträger und Produkte zu entscheiden, die mit grünem Wasserstoff hergestellt wurden. Momentan habe das für Kunden noch keinen ökonomischen Wert, klagt Volker Hille, Leiter Corporate Technology bei der Salzgitter AG. »Technisch gesehen könnten wir schon morgen damit anfangen, unsere Produktion auf fast komplett CO2-freie Verfahren umzustellen, weil die nötigen Technologien bereits etabliert sind. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen«, erklärt Hille.

Auch im Wärmesektor wird der Einsatz klimaneutraler, strombasierter Brennstoffe nicht belohnt. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre hier, für deren Verwendung einen Bonus bei der Erfüllung von Klimaschutzvorgaben zu gewähren. So könnten zum Beispiel die Anforderungen an den Wärmeschutz von Neubauten etwas geringer ausfallen, falls sich die Bauherren verpflichten, ausschließlich mit Power-to-X-Brennstoffen zu heizen.

Gesicherte Nachfrage nach grünem Wasserstoff schaffen

Im Verkehr wiederum wäre es zum Beispiel möglich, die Pkw-Hersteller in die Pflicht zu nehmen: Wenn sie garantieren müssten, dass die zum Erreichen der EU-Klimaziele notwendige Menge strombasierter Kraftstoffe für die gesamte Laufleistung ihrer verkauften Benzin- oder Diesel-Fahrzeuge produziert wird, würde eine gesicherte Nachfrage nach grünem Wasserstoff entstehen – die Voraussetzung, um Investoren zu locken. Auch die Anerkennung von Power-to-X-Benzin oder -Diesel als Biokraftstoffe könnte Anreize für Investitionen in die Technologie setzen.

Für die Defossilisierung von Industrie, Wärmesektor und Verkehr sind allerdings solch große Mengen an Wasserstoff notwendig, dass sich realistischerweise nur ein kleiner Teil davon in Deutschland produzieren lässt. Laut Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE sind allein 557 Terawattstunden Strom erforderlich, um genug Wasserstoff für einen CO2-neutralen Schiffs- und Flugverkehrs in Deutschland zu produzieren.

Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch der Bundesrepublik lag 2018 bei 527 Terawattstunden. Daher wird der Wasserstoff überwiegend dort produziert werden müssen, wo genug Platz und zudem bessere Wetterbedingungen für die Erzeugung von Grünstrom herrschen – in Nordafrika oder in Skandinavien zum Beispiel.

»Die Elektrolyseure sind ein ganz wichtiges Instrument für die Regelung der Netze«Christopher Hebling

Wenn ohnehin der überwiegende Teil der Produktion im Ausland erfolgen muss – warum sollte sich Deutschland dann überhaupt die Mühe machen, eine solche Infrastruktur im Multigigawatt-Maßstab aufzubauen? Weil wir die Technologie benötigen, um Windräder und Fotovoltaikanlagen ins Energiesystem zu integrieren, sagt Fraunhofer-Forscher Hebling. »Die Elektrolyseure sind ein ganz wichtiges Instrument für die Regelung der Netze«, betont der Wissenschaftler. Wenn die erneuerbaren Energien wie vorgesehen stark ausgebaut werden, wird oftmals viel mehr Strom zur Verfügung stehen als die Netze aufnehmen können.

Die Elektrolyseure verhindern, dass Windräder und Solarsysteme abgeregelt werden müssen – so, wie es die Forscher bei der Entwicklung des Konzepts vor zehn Jahren vorgesehen hatten. »Wir benötigen beides: Power-to-Gas-Anlagen mit vielen Gigawatt Leistung in Deutschland – und den Import großer Mengen wasserstoffbasierter Energieträger aus dem Ausland«, sagt Hebling. Dann wird sich die Technologie eventuell eines Tages durchsetzen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.