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Bewusstsein: Überdenken Schimpansen Entscheidungen rational?

Konfrontiert mit neuen Informationen, überdenken zumindest manche Menschen ihre Überzeugungen. Nun zeigt sich: Das gelingt auch Schimpansen.
Eine Gruppe von Schimpansen sitzt und bewegt sich auf einer grünen Wiese, umgeben von dichtem Wald. Im Vordergrund steht ein Schimpanse, der den Betrachter direkt ansieht. Im Hintergrund sind mehrere Schimpansen in verschiedenen Positionen zu sehen, einige sitzen, andere stehen. Ein umgestürzter Baumstamm liegt in der Mitte der Szene. Die Umgebung ist üppig und grün, mit Bäumen und Sträuchern im Hintergrund.
Schimpansen sind kluge Tiere, die uns noch ähnlicher sind als gedacht.

Schimpansen stehen uns nicht nur genetisch sehr nahe, sie sind zudem ausgesprochen kluge Tiere. Das bestätigen auch neue Tests, die Fachleute mit halbwild lebenden Menschenaffen im Schutzgebiet Ngamba Island Sanctuary in Uganda durchführten. Ein Team um Hanna Schleihauf von der Universität Utrecht schloss anhand seiner Beobachtungen und anschließender Modellierungen, dass die Tiere ihre Überzeugungen rational überdenken können, wenn sie mit neuen Informationen konfrontiert werden – eine Fähigkeit, die man bislang nur Menschen zugetraut hatte.

Schleihauf und Co präsentierten den Schimpansen im Reservat immer zwei Boxen, von denen jedoch nur eine das Futter enthielt. Gleichzeitig platzierten sie Hinweise für die Affen, in welcher Kiste sich ihre Belohnung befinden könnte. Später tauschten sie dann die Boxen mit der Nahrung. Zugleich lieferten sie noch stärkere Hinweise, die auf diese nun veränderte Box deuteten. So wollten die Forscher sicherstellen, dass die Schimpansen nicht nur in der Lage waren, ihre Meinung darüber zu ändern, welche Kiste sie öffnen wollten. Das Team achtete zusätzlich darauf, dass die Tiere auch die Qualität der Hinweise abwägen konnten, anstatt sich einfach für die Box zu entscheiden, die ihnen zuletzt präsentiert worden war. »Wir zeichneten ihre erste Wahl auf, dann ihre zweite und verglichen, ob sie ihre Meinung geändert hatten«, erklärt die an der Studie beteiligte Biologin Emily Sanford von der University of California, Berkeley, in einer Mitteilung

Bei einem Teil der Experimente konnten die Schimpansen das Futter in der Box direkt sehen oder beobachten, wie es dort abgelegt wurde. Das war quasi der stärkste Beleg dafür, dass es tatsächlich eine Belohnung gibt. Bei einem anderen Versuch sahen die Tiere die Nahrung nicht, konnten sie aber hören, wenn sie die Kiste bewegten. Als schwächste Belege dafür, dass es etwas geben könnte, verteilten die Forschenden Futterreste in der Nähe einer der Boxen. Während fünf unterschiedlich strukturierter Experimente entschieden sich die Tiere dann zwei- bis dreimal häufiger rational als irrational. 

Die ersten beiden Tests waren die einfachsten. Den Schimpansen wurden zwei Kisten präsentiert und anschließend Beweise zu jeder einzelnen Kiste vorgelegt. Wenn die stärkeren Beweise vor den schwächeren präsentiert wurden, neigten die Schimpansen dazu, bei ihrer ursprünglichen Wahl zu bleiben. Wenn die schwächeren Beweise zuerst präsentiert wurden, änderten sie ihre Meinung – was nicht völlig überraschend war. Doch dann steigerte sich die Komplexität des Puzzles, etwa durch Hinzufügen einer dritten Kiste ohne Futterhinweis und anschließendem Entfernen der Box mit dem stärksten Beleg. Nun griffen die Affen meist zu der Box, die zuvor schwächere Belege für Futter aufwies.

Im vierten Experiment präsentierten die Forscher mehrere, aber schwache Hinweise oder neue, ebenfalls schwache Hinweise. Dann schüttelten sie die Kiste zweimal, sodass das gleiche Stück Futter in der Box laut klapperte. Anschließend hörten die Schimpansen jedoch, wie ein zweites Stück Futter in die Box geworfen wurde. Die Affen neigten nun dazu, diesen neuen und zusätzlichen Beleg dem redundanten Beleg aus der ersten Runde vorzuziehen. Sie konnten also zwischen neuen und alten Informationen unterscheiden.

Das fünfte Experiment bot den Tieren schließlich den härtesten Denkbrocken. Die Fachleute zeigten ihnen, dass frühere Hinweise falsch sein können: Ein Stück Apfel erwies sich beispielsweise als Bild auf dem Plexiglas der Kiste oder als ein Stein, der in der Kiste polterte. Mit diesen Täuschungen konfrontiert, änderten die Schimpansen häufiger ihre Meinung und lehnten irreführende Hinweise eher zugunsten zuverlässigerer Belege ab.

Ihre Daten fütterten die Wissenschaftler anschließend in Computermodelle, um zu testen, wie die Entscheidungen der Affen mit verschiedenen Denkstrategien übereinstimmen. Die Analysen verwarfen einfachere Erklärungen, etwa dass die Schimpansen lediglich dem neuesten Hinweis folgten oder auf den offensichtlichsten Hinweis reagierten. Vielmehr bestätigten Modelle, dass die Entscheidungsfindung der Schimpansen mit rationalen Strategien der sogenannten Überzeugungsrevision übereinstimmte.

Die Studie stelle die traditionelle Ansicht infrage, dass Rationalität – die Fähigkeit, Überzeugungen auf Grundlage von Beweisen zu bilden und zu überdenken – ausschließlich dem Menschen vorbehalten ist, schreiben die Forscher. Als Nächstes wollen sie dieselben Aufgaben mit Kindern absolvieren. Sanfords Team sammelt derzeit Daten von Zwei- bis Vierjährigen, um zu vergleichen, wie Kleinkinder und Schimpansen ihre Überzeugungen überdenken.

  • Quellen
Schleihauf, H. et al., Science 10.1126/science.adq522, 2025

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