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Quanten-Holonomie-Theorie: Eine neue Verbindung von Raum, Zeit und Quantenphysik

Die meisten Ansätze für eine Theorie der Quantengravitation zielen auf eine Quantenversion der Raumzeit-Geometrie ab. Aber vielleicht ist es umgekehrt und man muss stattdessen die Quanten geometrisch begreifen.
Ein digitales, futuristisches Tunnelbild mit einem zentralen schwarzen Punkt, umgeben von leuchtenden, türkisfarbenen Linien, die ein geometrisches, netzartiges Muster bilden. Die Linien erstrecken sich radial nach außen und erzeugen einen dreidimensionalen Effekt, der an einen Datenstrom oder einen virtuellen Raum erinnert. Kleine Lichtpunkte sind im Hintergrund verstreut, was dem Bild eine zusätzliche Tiefe verleiht.
Wie lassen sich Raum und Zeit mit der Quantenwelt in Einklang bringen?

Die theoretische Hochenergiephysik steht vor drei grundlegenden Problemen. Das erste hat mit dem Standardmodell der Teilchenphysik zu tun, der wohl erfolgreichsten Theorie der modernen Wissenschaft. Sie beschreibt das Verhalten von Teilchen auf kleinster Skala und wurde bei Experimenten inzwischen extrem gut überprüft.

Trotz seines großen Erfolgs wirft das Standardmodell noch viele Fragen auf. Warum hat es diese besondere mathematische Struktur mit drei Grundkräften, die mit einer bestimmten Anzahl von Elementarteilchen auf ganz spezielle Art und Weise wechselwirken? Es gibt kaum empirische Daten, um dieses Rätsel zu lösen. Damit fehlen handfeste Hinweise, die darauf hindeuten, was jenseits des Standardmodells liegen könnte.

Das zweite grundlegende Problem dreht sich darum, wie sich Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, welche die Schwerkraft beschreibt, mit der Quantenphysik vereinen lässt. Das Standardmodell der Teilchenphysik ist eine Quantentheorie. Es verbindet die drei übrigen Grundkräfte miteinander: den Elektromagnetismus sowie die starke und schwache Kernkraft. Die Schwerkraft scheint allerdings nicht in diesen Rahmen zu passen. Das liegt unter anderem daran, dass die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie auf völlig unterschiedlichen mathematischen Grundlagen fußen. Bisher gibt es zwar diverse Ansätze, aber noch keine überzeugende Lösung, um diese miteinander in Einklang zu bringen.

Das dritte Problem betrifft das Fundament der Quantentheorie an sich, genauer gesagt: die Quantenfeldtheorie. Dabei handelt es sich um eine Erweiterung der Quantenmechanik, die auch Felder einschließt. Während die Quantenmechanik aus mathematischer Sicht sehr gut verstanden ist, sieht das bei der Quantenfeldtheorie völlig anders aus. Eine solche ist auch das Standardmodell der Teilchenphysik.

Themenwoche »Quantenphysik neu gedacht«

Die Quantenmechanik war von Anfang an heftig umstritten. Auch 100 Jahre später ist sich die Fachwelt nicht einig: Was verraten die Formeln über die Realität? In dieser Themenwoche hinterfragen wir, was nötig ist, um die wahre Natur der Teilchen zu begreifen. Womöglich braucht es eine völlig andere Herangehensweise.

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Mehr zu den seltsamen Phänomenen aus der Welt der Teilchen und Atome finden Sie auf unserer Themenseite »Quantenphysik«.

Aus mathematischer Sicht ist diese Erweiterung sehr kompliziert. Um etwas konkret zu berechnen, sind stets mathematische Annäherungen nötig. Allerdings bringen diese Näherungen Schwierigkeiten mit sich: Zum Beispiel führen sie in Summe zu unendlichen Werten, die sich nicht beseitigen lassen. Obwohl das Problem schon lange bekannt ist, gibt es bis heute keine Beispiele für realistische Modelle von Quantenfeldern, die aus mathematischer Sicht wohldefiniert sind – also nicht unter dem Problem mit den unendlichen Werten leiden.

Wir glauben, dass sich diese drei Probleme nur durch die Entwicklung einer neuen, fundamentalen Theorie lösen lassen, die auf extrem einfachen Prinzipien basieren muss. Deshalb begannen wir vor 20 Jahren nach einem grundlegenden Prinzip zu suchen, das einerseits möglichst einfach ist, andererseits aber genügend mathematischen Reichtum besitzt, um die allgemeine Relativitätstheorie, die Quantentheorie und das Standardmodell der Teilchenphysik hervorzubringen. Dabei sind wir auf einen Ansatz gestoßen, den wir als Quanten-Holonomie-Theorie bezeichnen.

Gravitation quantisieren oder nicht?

Die wichtigste Erkenntnis der allgemeinen Relativitätstheorie ist, dass die Raumzeit kein äußerer, starrer Rahmen ist, in dem sich physikalische Phänomene abspielen. Stattdessen sind auch Raum und Zeit Teil der Physik und stellen dynamische Objekte dar. Demnach krümmt Materie die Raumzeit, was wiederum die Flugbahn von Materie steuert. Diese wechselseitige Beziehung führt zu der Schwerkraft, die wir beobachten können. Einsteins Gravitationstheorie ist damit eine geometrische Theorie.

Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass nur eine Theorie der Quantengravitation die Schwerkraft mit der Quantenphysik vereinen kann. Sprich: Man muss die Schwerkraft – und damit die Geometrie – durch eine Quantentheorie ausdrücken. Bislang gab es zahlreiche Versuche, das umzusetzen. Doch noch existiert keine allgemein akzeptierte Quantengravitationstheorie.

Allgemeine Relativitätstheorie | Einsteins Relativitätstheorie beschreibt die Schwerkraft als Folge der Raumzeitkrümmung. Je größer die Masse eines Objekts, desto stärker wird die Raumzeit verformt.

Es gibt aber eine zweite Möglichkeit, die beiden Konzepte zusammenzuführen. Man könnte umgekehrt versuchen, die Mathematik der allgemeinen Relativitätstheorie auf die Quantentheorie zu übertragen. Diesen bisher kaum aufgegriffenen Ansatz verfolgen wir. Und wie sich herausstellt, bringt dieses Vorgehen sowohl die Grundbausteine der Quantenfeldtheorie als auch zentrale Elemente von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie hervor, ebenso wie einige wichtige Bestandteile des Standardmodells.

Der mathematische Reichtum des leeren Raums

Der zentrale Raum einer Quantentheorie ist der Konfigurationsraum: Er enthält alle möglichen Zustände und Anordnungen eines Systems. Um die Quantentheorie zu geometrisieren, müsste man also eine Geometrie des Konfigurationsraums konstruieren. Dafür starten wir mit dem wohl einfachsten Ausgangspunkt, den man sich vorstellen kann: dem leeren dreidimensionalen Raum. Daraus bauen wir einen Konfigurationsraum auf.

Eine grundlegende Eigenschaft des leeren Raums ist, dass man Dinge darin verschieben kann. Wenn sich zum Beispiel ein Objekt an einem Ort befindet, kann man es zu einem anderen Ort transportieren. Wir setzen hierbei noch nicht die Existenz von Materie voraus – was wir bewegen, ist unwichtig. Alles, was zählt, sind die mathematischen Darstellungen der Verschiebungen. Zum Beispiel kann man zwei davon miteinander verknüpfen, um eine dritte Verschiebung zu erhalten. Wenn ein Weg von Punkt A nach B und ein anderer von B nach C führt, kann man sie kombinieren, um eine Strecke von A nach C zu erhalten. Eine solche Eigenschaft führt zu der Holonomie-Diffeomorphismus-Algebra oder kurz: HD-Algebra.

HD-Algebra | Man kann zwei Verschiebungen in der HD-Algebra miteinander verknüpfen, um eine dritte Verschiebung zu erhalten. Wenn ein Weg von Punkt A nach B und ein anderer von B nach C führt, kann man sie kombinieren, um eine Strecke von A nach C zu erhalten.

Es gibt unendlich viele verschiedene Möglichkeiten, ein Objekt zwischen zwei Punkten A und B in einem dreidimensionalen Raum zu verschieben. Man kann es beispielsweise erst 349-mal nach rechts drehen, dann dreimal nach oben und anschließend 53-mal nach links. All diese verschiedenen Möglichkeiten sind in so genannten Eichfeldern codiert. Ein Eichfeld enthält also eine Art Anweisung, die vorgibt, wie man ein Objekt zwischen zwei Punkten bewegen kann. Alle möglichen Eichfelder, die verschiedene Anweisungen enthalten, bilden gemeinsam einen unendlich großen Konfigurationsraum. Jeder Punkt in diesem Konfigurationsraum entspricht einem bestimmten Eichfeld.

Die HD-Algebra und der Konfigurationsraum von Eichfeldern sind also eng miteinander verknüpft. Wenn ein Punkt im Konfigurationsraum gegeben ist (also ein Eichfeld beziehungsweise eine Anweisung) und man ein Objekt zwischen zwei Punkten A und B verschieben möchte, dann wählt man ein Element der HD-Algebra, das diese beiden Punkte verbindet, und fügt das Eichfeld ein, um die Verschiebung auszuführen.

Eichfelder

Um Eichfelder zu verstehen, kann man zunächst eine Kurve anschauen. Über jeden Punkt auf der Kurve legt man gedanklich eine zweidimensionale Ebene. Auf dem Punkt a befindet sich beispielsweise die Ebene Pa. Diese enthält einen Vektor, den wir ν nennen. Nun kann man sich von Punkt zu Punkt bewegen, etwa zu b, wo die Ebene Pb ist. Dort kann man ebenfalls den Vektor ν betrachten. Seine Ausrichtung ist jedoch willkürlich, man könnte sich beispielsweise dafür entscheiden, den Vektor ν zu drehen, wenn wir von a nach b gehen.

Im Allgemeinen ist die Information, wie sich ein Vektor entlang eines Pfads dreht, in der Mathematik als »Zusammenhang« und in der Physik als »Eichfeld« bekannt. Die entsprechende Transformation von Pa nach Pb ist die Holonomie-Abbildung des Eichfelds. Dieses Konzept ist nicht auf Kurven beschränkt, sondern lässt sich auf beliebige Geometrien wie Torus, Kugel oder vierdimensionale Raumzeit verallgemeinern.

In der Ebene oder im dreidimensionalen Raum nutzt man Vektoren (die meist durch Pfeile dargestellt werden), um Objekte durch den Raum zu bewegen. Auf ähnliche Weise lassen sich Verschiebungen im Konfigurationsraum ausdrücken, die in diesem Fall aber komplizierter sind als einfache Pfeile. Fügt man der HD-Algebra diese Verschiebungen hinzu, erhält man die so genannte quantisierte HD-Algebra, kurz QHD-Algebra.

Die QHD-Algebra besitzt interessante Eigenschaften. Zum Beispiel enthält sie ein zentrales Element bestimmter Quantenfeldtheorien, nämlich die »kanonischen Vertauschungsrelationen«. Dabei handelt es sich um mathematische Gleichungen, aus denen beispielsweise die heisenbergsche Unschärferelation hervorgeht.

Zudem ist die QHD-Algebra sehr elementar. Sie ergibt sich allein aus den grundlegenden Eigenschaften des leeren dreidimensionalen Raums. Deshalb haben wir die QHD-Algebra als mathematisches Fundament unserer neuen Theorie gewählt. Wie sich zeigt, führt sie zu einer überraschend reichhaltigen Mathematik, die weitere Bausteine der theoretischen Hochenergiephysik enthält.

Die Geometrie von Konfigurationsräumen

Dafür muss man den Konfigurationsraum geometrisieren. Wenn man einen Raum mit Geometrie versieht, bedeutet das, vereinfacht gesagt, dass man eine Möglichkeit einführt, Abstände zwischen verschiedenen Punkten im Raum zu messen – eine »Metrik«. In diesem Fall interessieren uns also Distanzen zwischen Eichfeldern, da der Konfigurationsraum ja aus solchen besteht. Wir mussten daher einen Weg finden, einen Abstand zwischen diesen abstrakten Objekten zu definieren.

Dafür brauchten wir einen so genannten Dirac-Operator, eine bestimmte Art von Ableitung. Den Operator hatte der Physiker Paul Dirac erstmals 1928 eingeführt, als er nach einer Version der Schrödingergleichung suchte, die mit Einsteins spezieller Relativitätstheorie kompatibel ist. Seine Arbeit führte Dircac zur Vorhersage von Antimaterie, die kurze Zeit später auch experimentell nachgewiesen wurde. Seither sind Dirac-Operatoren ein wichtiger Bestandteil der Teilchenphysik.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass Dirac-Operatoren auch eine geometrische Rolle spielen. Denn sie enthalten Informationen über die Geometrie des zu Grunde liegenden Raums, auf den sie angewendet werden. Damit eignen sich die Operatoren als Baustein, um die Geometrie des Konfigurationsraums zu konstruieren.

Dirac-Operatoren

Für Schülerinnen und Schüler würde es vieles vereinfachen, wenn die Gleichung (x + y)2 = x2 + y2 wahr wäre. Diese Gleichung ist im Allgemeinen natürlich falsch. Aber lässt sie sich vielleicht doch realisieren? Eine gängige Praxis in der Mathematik besteht darin, neue Objekte zu erfinden, die gewünschte Eigenschaften erfüllen. Im obigen Beispiel könnten wir stattdessen (1 + yγ2)2 = x2 + y2 betrachten, wobei γ1 und γ2 zwei noch unbekannte Objekte sind. Wir prüfen, welche Eigenschaften γ1 und γ2 erfüllen müssen, damit die Gleichung gilt. Die Lösung dafür ist die so genannte Clifford-Algebra.

Ähnliches überlegte sich Paul Dirac, als er 1928 nach einer Gleichung suchte, die sowohl Einsteins spezielle Relativitätstheorie als auch die Schrödingergleichung erfüllt. Ein Schlüsselelement der Schrödingergleichung ist der »Laplace-Operator«, eine zweifache Ableitung. Dirac brauchte allerdings eine einfache Ableitung, deren Quadrat den Laplace-Operator ergibt. Die Lösung für dieses Problem ist der Dirac-Operator. Um diesen zu konstruieren, braucht man ebenfalls die Clifford-Algebra.

Der Dirac-Operator leitet eine Funktion in jede Richtung von Raum und Zeit ab und speichert das Ergebnis für jede Richtung separat in der Clifford-Algebra. Man kann den Dirac-Operator in jeder Dimension formulieren – selbst wenn der Raum gekrümmt ist. Zum Beispiel ist es möglich, einen Dirac-Operator für Funktionen auf einer Kugel zu konstruieren. Der Operator speichert geometrische Informationen über den zu Grunde liegenden Raum und ist der Ausgangspunkt von Alain Connes’ nichtkommutativer Geometrie.

Dirac-Operatoren sind hauptsächlich in Bezug auf Räume mit drei räumlichen und einer zeitlichen Dimension bekannt. Wir haben diesen Operator allerdings auf dem unendlich-dimensionalen Konfigurationsraum konstruiert, der die Eichfelder enthält. Mit der Methode lassen sich geometrische Größen elegant in diesem Raum einführen.

Wie sich herausstellt, liefert ein solcher Dirac-Operator (und seine Verallgemeinerung, der so genannte Bott-Dirac-Operator) die grundlegenden Elemente der Quantenfeldtheorie. In einem bestimmten Grenzfall führt dieser Ansatz zu einer Quantenfeldtheorie, die sowohl Materie- als auch Kraftfelder in einem gekrümmten dreidimensionalen Raum umfasst. Zudem liefert der Operator einige Bausteine der allgemeinen Relativitätstheorie: Aus ihm gehen zum Beispiel Teile der Lorentz-Symmetrie hervor, das Rückgrat von Einsteins spezieller und allgemeiner Relativitätstheorie.

Nichtkommutative Geometrie und das Standardmodell der Teilchenphysik

Der Grund, warum wir vor etwa 20 Jahren mit der Suche nach der QHD-Algebra begonnen haben, hat mit einem recht jungen Forschungsgebiet der Mathematik zu tun: die »nichtkommutative Geometrie«, die der Mathematiker Alain Connes in den 1980er Jahren eingeführt hat. Connes erkannte, dass sich die riemannsche Geometrie (auf der Einsteins allgemeine Relativitätstheorie fußt) auch durch Dirac-Operatoren und Algebren ausdrücken lässt. Diese äquivalente Beschreibung ist zwar sehr abstrakt, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Man kann sie problemlos auf eine größere Klasse von Algebren verallgemeinern, die als nichtkommutativ bezeichnet werden. Damit ergibt sich eine völlig neue Vielfalt exotischer Geometrien.

Wie Connes und sein Kollege Ali Chamseddine herausfanden, lässt sich das Standardmodell der Teilchenphysik zusammen mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie als eine nichtkommutative Geometrie formulieren. Das erregte in den 1990er Jahren die Aufmerksamkeit vieler Fachleute. Allerdings enthält Chamseddines und Connes' Version des Standardmodells keine Quantenfeldtheorie – das Modell wird im Grunde klassisch beschrieben.

Nichtkommutative Geometrie

Die nichtkommutative Geometrie ist eine Verallgemeinerung der klassischen Geometrie. Auf sie stößt man, indem man sich das Verhalten von Funktionen auf geometrischen Räumen ansieht.

Um das zu verstehen, kann man zum Beispiel den geometrischen Raum der reellen Zahlen betrachten, den Zahlenstrahl. Die Geometrie des Raums ist durch eine Metrik gegeben, die eine Abstandsmessung ermöglicht. Zwei Punkte a und b darauf haben den Abstand b-a. Das lässt sich auch über Funktionen und ihre Ableitungen definieren. Wenn man eine Funktion f(x) mit f'(x) ≤ 1 hat, dann ist das Wachstum der Funktion höchstens eins. Damit gilt f(b) – f(a) ≤ b-a. Wenn wir speziell die Funktion f(x) = x betrachten, haben wir tatsächlich f(b) – f(a) = b-a, was dem Abstand zwischen a und b entspricht. Das ist ein stark vereinfachtes Beispiel, um Abstände auf einem geometrischen Räumen einzuführen. Aber diese Vorgehensweise lässt sich auf eine breite Klasse geometrischer Räume verallgemeinern, die als glatte Mannigfaltigkeiten bekannt sind. In diesem Fall wird die Ableitung mit dem Dirac-Operator ersetzt.

Das System von Funktionen f(x) und g(x) auf geometrischen Räumen ist kommutativ, das heißt, die Reihenfolge bei der Multiplikation spielt keine Rolle: f(x)g(x) = g(x)f(x). In der nichtkommutativen Geometrie untersucht man hingegen Funktionen, bei denen diese Beziehung nicht mehr gilt.

Beispiele für nichtkommutative Geometrien gibt es in der Quantenmechanik, etwa bei der heisenbergschen Unschärferelation. Es macht einen Unterschied, ob man erst den Impuls und dann den Ort eines Teilchens misst oder umgekehrt. Die Messungen entsprechen Funktionen, die nicht kommutieren. Daher impliziert die Quantenmechanik automatisch eine nichtkommutative Geometrie.

Alain Connes verband klassische Raumzeit-Geometrie mit einer nichtkommutativen Geometrie, indem er über jeden Punkt in der Raumzeit eine endlichdimensionale nichtkommutative Geometrie legte. So erhielt er seine Version des Standardmodells der Teilchenphysik zusammen mit der allgemeinen Relativitätstheorie. In diesem Beispiel dient die nichtkommutative Geometrie als vereinheitlichender Mechanismus.

Was uns aber ins Auge stach: Chamseddines und Connes' Formulierung des Standardmodells fußt auf einer bestimmten Art von Algebren, die als »almost commutative algebras« bekannt sind. Sie ähneln dem klassischen Grenzfall einer HD-Algebra: Sie gehören zum selben Typ von Algebra. Damit enthält die HD-Algebra eine mögliche Verbindung zum Standardmodell der Teilchenphysik.

Erste Antworten deuten sich an

Die Quanten-Holonomie-Theorie erklärt, warum unsere Welt den Regeln der Quantenphysik folgt. Denn die wichtigsten Bausteine der Quantenfeldtheorie – die kanonischen Vertauschungsrelationen und die Zeitentwicklung – entspringen der QHD-Algebra und der Geometrie des Konfigurationsraums. Allerdings wissen wir noch nicht, ob das gesamte Standardmodell in unserer Theorie enthalten ist.

Ganz ähnlich liefert unser Ansatz auch eine mögliche Antwort auf die Frage, warum die Welt relativ ist. Wir konnten Elemente der Lorentzsymmetrie aus dem Bott-Dirac-Operator folgern, aber wir wissen nicht, ob die gesamte Konstruktion dieser Symmetrie gehorcht. Genauso wenig können wir aktuell mit Sicherheit sagen, dass Einsteins Relativitätstheorie aus der Theorie folgt. Es entsteht zwar ein dynamisches geometrisches Feld, das dem der Raumzeit ähnelt, aber bisher ist unklar, ob die zeitliche Entwicklung mit der von Einstein beschriebenen übereinstimmt.

Unsere Theorie sagt zudem eine neue Art von Symmetrie zwischen bosonischen und fermionischen Feldern voraus, das heißt zwischen den Kraft- und Materieteilchen. Das ähnelt der Supersymmetrie, die in der Stringtheorie eine zentrale Rolle spielt. Da wir allerdings noch nicht wissen, ob das Standardmodell der Teilchenphysik aus unserem Ansatz folgt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Schlüsse daraus ziehen.

Materie hat in unserer Theorie einen geometrischen Ursprung – eine völlig neue Interpretation

Darüber hinaus entstehen Materieteilchen, die Fermionen (zu denen im Standardmodell beispielsweise Quarks und Elektronen gehören), indem man den Dirac-Operator auf dem Konfigurationsraum konstruiert. Das bedeutet, dass Materie in unserer Theorie einen geometrischen Ursprung hat. Das stellt eine völlig neue Interpretation dar.

Als wichtiger Punkt kommt hinzu, dass wir in bestimmten Fällen zeigen können, dass unser Ansatz mathematisch wohldefiniert ist. Auf dieses Ziel strebt die Quantenfeldtheorie seit Jahrzehnten hin. Und wir sehen auch, dass sich aus unserer Konstruktion eine Quantenfeldtheorie ergibt. Aber wir haben noch nicht untersucht, wie das genau funktioniert. Denn die Grenze, in der Quantenfeldtheorien entstehen, ist singulär, das heißt, sie enthält Unendlichkeiten. Das könnte erklären, warum es bisher unmöglich war, Quantenfeldtheorien in vier Dimensionen rigoros zu konstruieren.

Wir sind gespannt, welche weiteren Ergebnisse aus unserem Ansatz folgen werden. Wir haben die QHD-Algebra vor rund zehn Jahren entwickelt. Das ist in der theoretischen Physik eine sehr kurze Zeitspanne. Zudem wurde sie bisher nur von einem sehr kleinen Forscherteam untersucht – nämlich uns beiden. So gesehen ist es bemerkenswert, wie viel sie bereits geliefert hat.

Könnte das eine endgültige Theorie sein?

Eine Theorie ist endgültig, wenn sie sich nicht weiter reduzieren lässt. Zum Beispiel ist die Chemie keine endgültige Theorie, weil sie – zumindest prinzipiell – aus der Atomphysik folgt. Ebenso ist die Atomphysik nicht endgültig, weil auf tieferen Ebenen Kern- und Teilchenphysik existieren. Um zu beurteilen, ob die Quanten-Holonomie-Theorie endgültig ist, müssen wir also herausfinden, ob sie sich reduzieren lässt.

Dafür kann man sich die Grundvoraussetzungen ansehen, auf denen die Theorie fußt. Je mehr es gibt, desto wahrscheinlicher lässt sie sich reduzieren. Die Teilchenphysik trifft zum Beispiel viele Annahmen: die Anzahl und Art der Teilchen, die verschiedenen Kräfte sowie die unterschiedlichen Kopplungen zwischen Teilchen und Kräften.

Unser Ansatz ist hingegen äußerst minimalistisch. Wir brauchen keine zusätzlichen Dimensionen, exotische Symmetrien oder riesige Mengen an Grundzuständen wie die Stringtheorie, die wissenschaftliche Prinzipien wie die Falsifizierbarkeit in Frage stellen. Die von uns verwendete Mathematik ist größtenteils bekannt, wir wenden lediglich grundlegende Elemente wie Geometrie und Eichtheorie auf neue Art und Weise an. Wir setzen bloß einen dreidimensionalen Raum voraus, eine Wahl der Algebra und des Konfigurationsraums (das heißt die Verschiebung von Objekten im Raum) sowie eine Anwendung der nichtkommutativen Geometrie (Dirac-Operator). Darüber hinaus gibt es wenige technische Annahmen. Damit hat die von uns vorgeschlagene Theorie wahrscheinlich ein sehr hohes Maß an Irreduzibilität. Falls sie sich als richtig erweist, könnte sie tatsächlich endgültig sein.

Soweit wir wissen, ist die QHD-Algebra und die daraus erzeugte Theorie die einzige, die einfach genug für eine endgültige Theorie erscheint und gleichzeitig genügend mathematische Komplexität mit sich bringt, um potenziell die gesamte Hochenergiephysik zu umfassen. Deshalb sind wir überzeugt, dass unser Ansatz die vielversprechendste Hypothese ist, die es aktuell in der theoretischen Physik gibt. Bisher haben wir diesen neuen Weg allein erkundet – aber wir sind zuversichtlich, dass sich andere unseren Bemühungen anschließen werden.

Literaturtipp

In seinem englischsprachigen Buch »Shell Beach – The Search for the Final Theory« beschreibt der Autor Jesper Grimstrup die Hintergründe seiner Forschung.

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  • Quellen

Grimstrup, J., Aastrup, J., ArXiv 10.48550/arXiv.2504.03391, 2025

Grimstrup, J., Aastrup, J., ArXiv 10.48550/arXiv.2501.00005, 2025

Grimstrup, J., Aastrup, J., ArXiv 10.48550/arXiv.1910.01841, 2019

Grimstrup, J., Aastrup, J., ArXiv 10.48550/arXiv.1504.07100, 2015

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