Quantencomputer: Ein Quanten-Katzenzustand mit sieben Leben

Vermutlich hätte Erwin Schrödinger sich auch in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können, was einmal aus seinem berühmten Gedankenexperiment werden würde. Die zugleich tote und lebendige Katze, mit der er im Jahr 1935 theoretisch ergründen wollte, welche Auswirkungen die Regeln der Quantenmechanik wohl auf die makroskopische Welt haben könnten, ist mittlerweile zu einem allgegenwärtigen Bild in der Quantenphysik geworden. Eine Arbeitsgruppe von der University of New South Wales im australischen Sydney hat das Ganze jetzt auf die Spitze getrieben. Sie realisierte im Labor nicht nur so genannte makroskopische Katzenzustände im Kern eines Antimon-Atoms, sondern posierte in einem Pressebild sowie einem dazugehörigen Erklärvideo auch noch in herrlich verschrobener Weise mit einem Stubentiger vor einer wild gemusterten Tapete.
Im Mikrokosmos können Objekte mehrere Zustände auf einmal einnehmen. Ein Atomkern kann gleichzeitig nach links und nach rechts rotieren. Erst bei der Messung dieses Drehimpulses durch einen Experimentator entscheidet sich, welche der Möglichkeiten Realität wird. Bei Dingen, die sehr viel größer sind als Atome, wirkt eine Überlagerung mehrerer Zustände hingegen absurd. Eine Katze kann nicht gleichzeitig tot und lebendig sein – das widerspricht allen Alltagserfahrungen. So können sich auch die Recheneinheiten eines klassischen Computers, die so genannten Bits, lediglich im Zustand 0 oder 1 befinden – aber niemals dazwischen.
Die Qubits in einem Quantencomputer dagegen können in einem überlagerten Zustand gleichzeitig 1 und 0 darstellen. Der Überlagerungszustand ist jedoch mit jedem zusätzlichen Qubit schwerer zu erreichen und zu erhalten, denn jedes zusätzliche Qubit erhöht die Dekohärenz; also die Wahrscheinlichkeit, dass das System einen einzigen Zustand einnimmt. Verschiedene Forschungsgruppen gehen deswegen einen anderen Weg: Anstatt die Anzahl der Qubits zu erhöhen, steigern sie die Anzahl der Qubit-Zustände. Sie arbeiten mit so genannten Qudits, also Quantenbits mit d Zuständen. Somit können mehr Daten in nur einer Recheneinheit verschlüsselt und verarbeitet werden. Klassische Systeme zeichnen sich in der Regel durch eine große Vielfalt an Zuständen aus, weshalb Qudits in Anlehnung an Schrödingers Gedankenexperiment als Katzenzustände bezeichnet werden.
Genau das hat nun die australische Forschungsgruppe um den Quantenphysiker Andrea Morello mit dem Atomkern des chemischen Elements Antimon vollbracht. Das Team berichtet davon im Journal »Nature Physics«. Antimon ist ein silbergraues Halbmetall, das vor allem in der Halbleitertechnik verwendet wird. Es hat einen beträchtlichen Kernspin und besitzt damit einen großen magnetischen Dipol. Das Entscheidende aber ist: Der Spin von Antimon kann acht verschiedene Zustände annehmen statt nur zwei, wie es zum Beispiel bei Elektronen der Fall ist. Diese Kernspin-Zustände können genutzt werden, um Qudits zu codieren.
Während in einem gewöhnlichen Qubit ein einziger Fehler ausreicht, um die Quanteninformation zu zerstören, hat dieses makroskopische Antimon-Katzen-Qudit ganz im Sinne des Sprichworts sieben Leben. Die Ergebnisse liefern eine neue und robustere Methode zur Durchführung von Quantenberechnungen – und sie haben wichtige Auswirkungen auf die Fehlerkorrektur, eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem funktionierenden Quantencomputer.
»Es sind sieben aufeinander folgende Fehler nötig, um die 0 in eine 1 zu verwandeln«, erklärt Erstautor Xi Yu. »In dieser Hinsicht ist die Überlagerung von Antimon-Spin-Zuständen ›makroskopisch‹, weil sie in einem größeren Maßstab stattfindet.« Die Bedeutung des Experiments liegt darin, dass es die Tür zu einer neuen Art von Quantenberechnungen öffnet. Die Informationen werden zwar immer noch in Binärcode codiert, aber es gebe mehr »Raum für Fehler«.
Die Antimonkatze ist in einen Silizium-Quantenchip eingebettet, ähnlich denen, die in herkömmlichen Computern und Mobiltelefonen stecken. Dieser wurde so angepasst, dass er Zugang zum Quantenzustand eines einzelnen Atoms ermöglicht. »Wenn ein Fehler auftritt, erkennen wir ihn sofort, und wir können ihn korrigieren, bevor sich weitere Fehler ansammeln«, erklärt Morello. »Um die ›Schrödinger-Katze‹-Metapher fortzusetzen: Es ist so, als ob wir unsere Katze mit einem großen Kratzer im Gesicht nach Hause kommen sehen. Sie ist noch lange nicht tot, aber wir wissen, dass sie sich geprügelt hat; wir können den Verursacher ausfindig machen, bevor es wieder passiert und unsere Katze weitere Verletzungen davonträgt.«
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