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Quantenvorteil: IBM erreicht nächsten Meilenstein des Quantencomputings

Ein Forschungsteam will gezeigt haben, dass Quantencomputer bereits jetzt klassische Rechner in realen Anwendungen übertreffen können. Sie setzen darauf, Fehler zu reduzieren statt zu korrigieren.
Ein Quantencomputer von IBM
Der Kryostat von IBMs »Q System One«. Der Eagle-Prozessor hat 127 Qubits – doch noch in diesem Jahr will das US-Unternehmen seinen bisher leistungsstärksten Prozessor, den Condor-Chip, mit 1121 Qubits vorstellen.

Vier Jahren ist es her, dass ein Team von Google Quantum AI verkündet hat, sein Quantencomputer könne klassische Rechner übertreffen – allerdings nur bei einer sehr speziellen Aufgabe ohne praktische Anwendungen. Jetzt zieht eine Gruppe von Konkurrent IBM nach und will bewiesen haben, dass Quantencomputer tatsächlich bereits jetzt gewöhnliche Computer schlagen können – sogar in nützlichen Aufgaben wie der Berechnung von Materialeigenschaften oder der Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen.

In einem Proof-of-Principle-Experiment, das in der aktuellen Ausgabe von »Nature« beschrieben wird, simulierten die Forscherinnen und Forscher das Verhalten eines magnetischen Materials auf dem Eagle-Quantenprozessor von IBM. Dabei ist es ihnen gelungen, das Quantenrauschen – die größte Hürde für den Erfolg dieser Technologie – zu umgehen und zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Es seien vor allem diese neuartigen, Fehler reduzierenden Techniken gewesen, die es dem Team ermöglicht hätten, Quantenberechnungen »in einer Größenordnung durchzuführen, in der klassische Computer Schwierigkeiten haben«, sagt Katie Pizzolato, Leiterin der Quantentheorie-Gruppe von IBM in Yorktown Heights, New York.

Obwohl das Problem, das die Wissenschaftler in Angriff genommen haben, ein stark vereinfachtes, unrealistisches Modell eines Materials verwendet, »stimmen die Ergebnisse optimistisch, dass dies auch bei anderen Systemen und komplizierteren Algorithmen funktionieren wird«; davon ist John Martinis überzeugt, ein Physiker an der University of California, Santa Barbara, der das Google-Team im Jahr 2019 zu seinem Meilenstein geführt hat. Das Experiment sei ein Gradmesser für den Stand der Technik bei Quantencomputern, sagt auch Sabrina Maniscalco, Geschäftsführerin des Quantencomputer-Start-ups Algorithmiq in Helsinki. »Diese Maschinen werden kommen.« Maniscalcos Unternehmen entwickelt Algorithmen, die ebenfalls das Rauschen bei quantenchemischen Berechnungen unterdrücken oder reduzieren.

Quantencomputer nutzen besondere Quantenphänomene aus, darunter etwa die Fähigkeit eines Objekts, gleichzeitig in zwei Zuständen zu existieren (Überlagerung), sowie die, dass mehrere Objekte sich einen gemeinsamen Quantenzustand teilen können (Verschränkung). Doch noch ist nicht entschieden, wie das Quantenäquivalent zu den Bits gewöhnlicher Computer am Ende tatsächlich realisiert wird. Physiker haben in den zurückliegenden Jahren mit etlichen verschiedenen Ansätzen experimentiert. Manche halten einzelne Ionen gefangen, andere verwenden die Spins von Elektronen in Halbleitermaterialien.

Beim IBM-Ansatz, der auch von Google und anderen Unternehmen verwendet wird, ist jedes Qubit ein winziger supraleitender Schaltkreis. Die Qubits müssen ihren Quantenzustand lange genug beibehalten, damit eine Berechnung durchgeführt werden kann und die Quantencomputer effektiv arbeiten können. Das IBM-Team schreibt nun in der jüngsten Veröffentlichung, dass die Erhöhung der Lebensdauer der Qubits ein entscheidender Entwicklungsschritt gewesen sei.

Rauschunterdrückung führt zumindest kurzfristig zum Erfolg

Abhinav Kandala und seine Mitarbeiter führten präzise Messungen des Rauschens in jedem ihrer Qubits durch. Das Rauschen folgt in vielen Fällen vorhersehbaren Mustern, die durch die Position der Qubits, mikroskopische Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung und andere Faktoren bestimmt werden. Mit dem Wissen konnten die Forscher zurückrechnen, wie ihre Messungen – in diesem Fall des vollständigen Magnetisierungszustands eines zweidimensionalen Festkörpers – ohne Rauschen aussehen würden. So waren sie in der Lage, Berechnungen mit allen 127 Qubits von Eagle und bis zu 60 Rechenschritte durchzuführen – mehr als bei jedem anderen bekannten Quantencomputerexperiment.

Quantenphysiker John Martinis sagt, die Ergebnisse stützten die kurzfristige Strategie von IBM, nützliche Berechnungen zu ermöglichen, indem Fehler abgemildert werden, anstatt sie zu korrigieren. Längerfristig hoffen aber sowohl IBM als auch die meisten anderen Unternehmen, eine echte Quantenfehlerkorrektur zu implementieren, eine Technik, die eine große Anzahl zusätzlicher Qubits für jedes Daten-Qubit erfordert. Google etwa konzentriert sich derzeit auf die stete Verfeinerung solcher Quantenfehlerkorrekturtechniken.

Etliche Forscherinnen und Forscher sind davon überzeugt, dass nur die Quantenfehlerkorrektur Berechnungen möglich machen wird, an denen die größten klassischen Supercomputern scheitern. Sie zeigen sich weniger optimistisch, dass die Rauschunterdrückung dafür reichen wird.

Der Eagle-Prozessor von IBM hat 127 Qubits – doch noch in diesem Jahr will das US-Unternehmen seinen bisher leistungsstärksten Prozessor, den Condor-Chip, mit 1121 Qubits vorstellen. Man habe auch Prozessoren mit bis zu 4158 Qubits in der Entwicklungspipeline, sagt Jay Gambetta, Leiter des IBM-Quantenforschungszentrums. Um jedoch das Ziel zu erreichen, Maschinen mit 100 000 Qubits zu bauen, die dann eines Tages vollständig fehlerbereinigte Algorithmen ausführen können, werde sein Team bis 2033 noch erhebliche technische Probleme lösen müssen.

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