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Quantengravitation: Ein Versuch, Gravitonen auf die Spur zu kommen

Die Quantennatur der Gravitation ist eine der größten offenen Fragen der Physik. Jetzt gibt es einen Vorschlag, sie experimentell zu testen und die Grenzen der Messbarkeit zu verschieben.
Eine künstlerische Darstellung eines astronomischen Phänomens, das zwei schwarze Kugeln zeigt, die von leuchtenden, orangefarbenen Partikeln umgeben sind. Diese Kugeln scheinen in einem Wirbel aus blauen und weißen Gaswolken zu schweben, was den Eindruck von Bewegung und Energie vermittelt. Die Szene erinnert an die Kollision oder Interaktion von Himmelskörpern im Weltraum.
Wenn zwei Schwarze Löcher einander umkreisen, bringen sie die Raumzeit zum Schwingen und senden Gravitationswellen aus.

Bereits im Jahr 1959 bekam es seinen Namen und wurde doch bis heute nicht direkt nachgewiesen: das Graviton. Ganz so wie Photonen die elektromagnetische Kraft vermitteln, sollen Gravitonen Träger der Gravitationskraft sein. Könnte man die bislang noch hypothetischen Elementarteilchen endlich experimentell untersuchen, hätte man die Antwort auf eine der größten Fragen der modernen Physik: Folgt die Gravitation auch den Regeln der Quantenmechanik? Der theoretische Physiker Ralf Schützhold vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf schlägt nun in einem Aufsatz ein Experiment vor, mit dem die Emission und Absorption von Gravitonen kontrolliert und perspektivisch auch die Quantennatur der Schwerkraft getestet werden könnte. Er hat seine Überlegungen im Fachjournal »Physical Review Letters« veröffentlicht.

Unser heutiges Verständnis der Gravitation beruht auf Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. In ihr wird Gravitation als Folge der Krümmung der Raumzeit beschrieben, die durch Materie verursacht wird. Innerhalb dieses Paradigmas lassen sich zahlreiche Gravitationsphänomene erklären – von der Bewegung der Planeten und Sterne bis hin zur Entwicklung des gesamten Universums. Darüber hinaus hat die Theorie bislang unbekannte Aspekte des Kosmos offenbart, etwa die Existenz von Schwarzen Löchern und Gravitationswellen.

Gravitationswellen sind Raumzeitwellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Obwohl sie bereits vor mehr als einem Jahrhundert vorhergesagt wurden, dauerte es etwa 50 Jahre, bis indirekte Hinweise auf ihre Existenz gefunden wurden – und noch einmal 40, bis das LIGO-Experiment sie erstmals direkt nachwies. LIGO, kurz für Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, ist ein ausgeklügelter Detektor, der winzige Phasenverschiebungen zwischen Laserstrahlen in einem Interferometer misst, die entstehen, wenn eine vorbeiziehende Gravitationswelle die Raumzeit minimal dehnt und staucht. Die bislang registrierten Gravitationswellen stammen aus extremen astrophysikalischen Ereignissen – etwa der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher.

Energieübertragung zwischen Gravitationswelle und Laserlicht

Einzelne Gravitonen direkt zu produzieren und nachzuweisen, gilt mit heute existierenden Technologien als praktisch unmöglich: Man bräuchte einen erdgroßen Detektor, der die Sonne umkreist, um alle Milliarden Jahre mal ein Graviton einzufangen. Wollte man ein solches Teilchen pro Jahrzehnt detektieren, so eine andere Berechnung, müsste man ein Gerät von der Größe Jupiters neben einem Neutronenstern platzieren. Kurz gesagt: völlig unrealistisch.

Gravitationswellen sind winzige Erschütterungen der Raumzeit, die Albert Einstein 1915 in seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hat und die erstmals 2015 nachgewiesen wurden. Die Raumzeitbeben entstehen, wenn irgendwo im Weltall riesige Massen beschleunigt werden, beispielsweise bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Die dabei hervorgerufenen Schwingungen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Raumrichtungen aus – und können nahezu ungehindert das gesamte Weltall durchdringen. Auf der Erde kann man Gravitationswellen mit Laserinterferometern nachweisen: Die Anlagen bestehen aus zwei jeweils drei bis vier Kilometer langen Tunneln, die wie ein »L« angeordnet sind und in denen Laserstrahlen hin und her laufen. Trifft eine Gravitationswelle einen dieser Arme, wird die Strecke minimal gestaucht, wodurch das Licht die Distanz zum Ende des Tunnels um den Bruchteil einer Sekunde schneller zurücklegt.

Ralf Schützhold möchte Gravitonen nun indirekt aufspüren, indem die Energieübertragung einer vorbeiziehenden Gravitationswelle auf einen Laserstrahl gemessen wird. Ähnlich wie bei LIGO soll ein Laserpuls in zwei Teilpulse aufgespalten werden, die anfangs senkrecht zueinander verlaufen. Nachdem die beiden Teilpulse wieder zusammenlaufen, folgt jedoch eine zweite Stufe, in der sie denselben Weg zurücklegen und anschließend überlagert werden. Ihre Interferenz auf einem Detektor ergibt ein Signal, das proportional zu ihrer Phasendifferenz ist. Ohne Gravitationswellen wäre diese Differenz null. Trifft jedoch eine passend polarisierte Gravitationswelle auf das Interferometer, verzerren die dadurch verursachten Raumzeitdeformationen minimal die Frequenz der Photonen.

Das bedeutet: Ein winziger Teil der Energie wird zwischen den Photonen und der Welle ausgetauscht. Dadurch erhöht sich entlang eines Arms des Interferometers die Photonfrequenz leicht, während sie im anderen Arm abnimmt – und dadurch entsteht später eine nicht verschwindende Phasenverschiebung. Diese Verschiebung ist zwar äußerst klein, könnte jedoch verstärkt werden – dank einer Besonderheit des vorgeschlagenen Aufbaus. Nach der Frequenzmodulation der beiden Teilpulse summieren sich die winzigen Unterschiede im zweiten Abschnitt des Experiments zu einer messbaren Phasenabweichung. Diese könnte ein Hinweis darauf sein, ob Gravitonen absorbiert oder emittiert worden sind, und die Graviton-Hypothese stützen. Das Prinzip erinnert an die stimulierte Emission von Photonen in einem Laser. Dort regt ein eintreffendes Photon ein bereits angeregtes Atom dazu an, ein weiteres Photon mit gleicher Energie, Phase und Richtung abzugeben.

Die Umsetzung wäre zwar eine enorme technische Herausforderung, etwa durch die Notwendigkeit einer extrem stabilen Langstreckenoptik und ultrapräziser Laser, doch grundsätzliche physikalische Hindernisse sieht Schützhold nicht.

Wenn das in das Interferometer eingespeiste Licht sich in einem hochgradig verschränkten Quantenzustand befindet, könnten Messungen des elektromagnetischen Feldes Aufschluss über spezifische Quantenzustände des Gravitationsfeldes geben

Die Idee sei ihm auf einer Konferenz im Jahr 2024 gekommen, erzählt er. Damals habe er sich mit dem kanadischen Physikerkollegen Don Page über ein anderes Projekt unterhalten. Pages Frage, wie viel Energie zwischen den Gravitationswellen und den Laserstrahlen bei LIGO ausgetauscht wird, habe ihn nicht losgelassen. »Daraufhin habe ich angefangen, darüber nachzudenken, ob man Licht nicht auch zur gezielten Emission von Gravitonen verwenden könnte«, sagt Ralf Schützhold. Aus diesen Überlegungen sei dann der Vorschlag zu dem Experiment entstanden.

Da der vorgeschlagene Versuchsaufbau so allerdings noch keinen direkten Rückschluss darauf zulässt, ob die Gravitation tatsächlich gequantelt ist, geht Schützhold noch einen Schritt weiter: Wenn das in das Interferometer eingespeiste Licht sich in einem hochgradig verschränkten Quantenzustand befindet, könnten Messungen des elektromagnetischen Feldes Aufschluss über spezifische Quantenzustände des Gravitationsfeldes geben. All dies würde zu den wachsenden Bemühungen beitragen, eines der tiefsten Geheimnisse der Natur zu ergründen – nämlich die Quantennatur der Gravitation bei niedrigen Energien im Labor zu erforschen statt in den unendlichen Weiten des Alls.

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  • Quellen
Schützhold, R., Physical Review Letters 10.1103/xd97-c6d7, 2025

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