Quantengravitation: Entropie führt mit Quanten-Update zu Einstein

1915 stellte Albert Einstein unser Weltbild auf den Kopf, als er seine allgemeine Relativitätstheorie vorstellte: Raum und Zeit sind demnach kein bloßer Rahmen, in dem sich die Physik abspielt, sondern sie sind Teil der Physik selbst. Raum und Zeit reagieren auf andere physikalische Objekte wie Materie oder Energie; die Zeit dehnt sich aus und der Raum wird verformt. So sammelt sich in einem Schwarzes Loch so viel Masse auf kleinem Raum, dass dort die Zeit quasi stehenbleibt. Diese seltsam anmutende allgemeine Relativitätstheorie ist inzwischen extrem gut überprüft – ohne sie wären zum Beispiel moderne Navigationssysteme undenkbar.
Doch es gibt ein zentrales Problem: Diese Theorie passt nicht zur zweiten Säule der modernen Physik, der Quantentheorie. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen zahlreicher Forscherinnen und Forscher lassen sich beide Ansätze bisher nicht miteinander verbinden. Viele Fachleute sind überzeugt, dass eine gemeinsame Sprache fehlt, welche die unterschiedlichen Bereiche miteinander in Einklang bringt. Eine solche könnte die Informationstheorie bieten, wie ein noch nicht begutachtetes Ergebnis der Physiker Albert Much und Philipp Dorau von der Universität Leipzig nahelegt. Die beiden Forscher haben aus der Quanteninformationstheorie die einsteinschen Formeln abgeleitet – mit ersten Quanteneffekten.
Die Arbeit der beiden Physiker baut auf einem erstaunlichen Ergebnis des Jahres 1995 auf. Damals stellte der Theoretiker Ted Jacobson erstmals fest, dass die klassischen Gleichungen der Relativitätstheorie aus der Informationstheorie folgen. Entscheidend ist hierbei die Entropie, ein Maß für Information. Jacobson interessierte sich dafür, wie sich die Entropie in einer gekrümmten Raumzeit verändert. Da sich das nicht ohne Weiteres berechnen lässt, nutzte er das »starke Äquivalenzprinzip« von Einstein: Die gravitative Anziehung (und damit auch eine gekrümmte Raumzeit im Sinne Einsteins) ist äquivalent zu Beschleunigung – wir können nicht unterscheiden, ob wir die Schwerkraft spüren oder im All in einer Rakete beschleunigt werden.
Beschleunigte Objekte ähneln Schwarzen Löchern
Deswegen vereinfachte Jacobson seine Überlegungen, indem er einen kleinen Teil einer gekrümmten Raumzeit betrachtete; also einen lokal flachen Abschnitt, der beschleunigt wird. Doch auch Beschleunigung birgt ihre Besonderheiten – zumindest wenn man die spezielle Relativitätstheorie von Einstein berücksichtigt. Da man massereiche Objekte unmöglich auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen kann, verläuft durch eine beschleunigte Raumzeit stets eine Art Grenze, die sie in zwei unverbundene Teile trennt: ähnlich wie bei einem Ereignishorizont für ein Schwarzes Loch ist es unmöglich, über diese Grenze hinweg zu kommunizieren.
Anschließend untersuchte Jacobson die Entropie des Ereignishorizonts im beschleunigten Raumzeitsystem anhand der einfachen thermodynamischen Formel , die angibt, wie sich die Wärme Q in Abhängigkeit der Entropieänderung und der Temperatur T eines Systems verhält. Jacobson wollte herausfinden, wie sich der Wärmefluss am Ereignishorizont durch die Entropieänderung im Sinn der Thermodynamik beschreiben lässt. Dafür griff er auf eine zweite zentrale Gleichung zurück: die Bekenstein-Hawking-Formel, die angibt, wie groß die Entropie eines Objekts mit Ereignishorizont ist (sie hängt von der Fläche, also der Größe des Horizonts ab). Indem Jacobson all dies miteinander verband – Entropieänderung des Horizonts einer beschleunigten flachen Raumzeit, gekoppelt mit der Bekenstein-Hawking-Formel – erhielt er schließlich Einsteins Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Das Besondere daran: Auf der informationstheoretischen Seite fließen nicht die einsteinschen Gleichungen ein, sie purzeln durch die Entropiebetrachtung heraus.
»Eigentlich wollten wir dieses Paper von Jacobson kritisieren«, erklärt Much. Die Arbeit wurde tausende Male zitiert, doch einige Herleitungen seien aus mathematischer Sicht nicht ganz rigoros ausgeführt. »Und dann war ich im Herbst 2025 auf einer Konferenz, und alle sprachen immer wieder über Jacobsons Arbeit.« Deshalb wandte er sich an den Physiker Philipp Dorau, der an der Universität Leipzig promoviert. Much und Dorau nahmen sich darauf aufbauend vor, herauszufinden, wie sich Jacobsons Ergebnis verändert, wenn man Effekte der Quantenfeldtheorie miteinbezieht.
Die Quantenfeldtheorie ist eine Art Quantenmechanik 2.0: In dieser durchziehen verschiedene Quantenfelder die Raumzeit wie eine Art Meer, und Wellen darin entsprechen den uns bekannten Elementarteilchen. Wenn Fachleute von einer Theorie der Quantengravitation sprechen, beziehen sie sich dabei meistens nicht auf die Quantenmechanik, sondern meinen damit meistens eine Quantenfeldtheorie der Gravitation.
Quantenfeldtheorie
Anfang des 20. Jahrhunderts entstand die Quantenmechanik – und revolutionierte die Vorstellung von Materie. Plötzlich war ein Elektron nicht mehr bloß ein punktförmiges Teilchen; vielmehr besaß es in manchen Situationen Eigenschaften, die eigentlich lediglich Wellen innehaben. In den folgenden Jahren verallgemeinerten die Fachleute die quantenphysikalischen Konzepte, indem sie den Formalismus nicht nur auf die Mechanik, sondern auch auf den Elektromagnetismus und die Kernkräfte übertrugen.
Das führt jedoch schnell zu Problemen: So kann etwa die Quantenmechanik an sich nur Systeme mit einer festen Teilchenzahl beschreiben, die sich nicht ändert. Im Fall des Elektrons und seines Antiteilchens, des Positrons, trifft das aber beispielsweise nicht zu. Sie löschen sich gegenseitig aus. Für solche Systeme braucht es daher eine allgemeinere Theorie.
Und so entwickelte sich die Quantenphysik weiter. In den 1950er und 1960er Jahren setzten sich sogenannte Quantenfeldtheorien immer mehr durch. In diesen ist die Raumzeit niemals leer, sondern von verschiedenen Feldern durchzogen. Schwingungen darin entsprechen Teilchen oder Antiteilchen. Doch die Quantenfelder sind niemals ruhig: Sie sind der Theorie zufolge stets von kleinen Kräuselungen durchzogen, die extrem kurzlebigen Teilchen entsprechen. Die »virtuellen« Teilchen lassen sich nicht direkt detektieren – ihre Auswirkungen allerdings konnten bereits nachgewiesen werden.
Allerdings lässt sich der von Jacobson eingeschlagene Weg nicht ohne Weiteres auf eine quantenfeldtheoretische Version verallgemeinern. Der Startpunkt für Much und Dorau war zunächst derselbe wie bei Jacobson: Sie vereinfachten die Beschreibung einer gekrümmten Raumzeit, indem sie einen kleinen Bereich davon in eine flache, beschleunigte Raumzeit mit einem Ereignishorizont verwandelten. In dieser sind aber nun auch Quantenfelder angesiedelt. Der Wärmefluss am Ereignishorizont entspricht in dem Fall der Entropieänderung und ist also durch die Quantenzustände innerhalb dieser Raumzeit bestimmt – und das führt zu Problemen.
Wie sich herausstellt, versagt die gewöhnliche Definition von Entropie in der Quantenfeldtheorie: Sie liefert stets unendlich große Werte. Deshalb haben Fachleute in der Vergangenheit eine neue Größe definiert, die sogenannte relative Entropie. Diese bezeichnet die Differenz der Entropie eines Quantenzustands abzüglich der Entropie des Vakuums, wodurch sich endliche Werte ergeben. Bislang lässt sich die relative Entropie allerdings nur für wenige Spezialfälle berechnen; das Gebiet ist ein aktives Forschungsfeld. Und auch die Bekenstein-Hawking-Formel, die Jacobson bei seiner Herleitung verwendet hat, muss für quantenfeldtheoretische Anwendungszwecke neu formuliert werden. All das ist Much und Dorau gelungen. »Wir haben uns im Prinzip angeschaut, wie sich die Fläche des Ereignishorizonts verändert, wenn wir Masse draufschmeißen«, sagt Much.
»Im Prinzip sagt uns das Ergebnis, dass Entropie und Gravitation zwei Seiten derselben Medaille sind«Albert Much, Physiker
»Es war wie ein Dominoeffekt, plötzlich hat alles angefangen, Sinn zu ergeben«, fährt er fort. »Es hat uns überrascht, wie schnell das alles ging.« Die Untersuchung der Entropie in der beschleunigten Raumzeit führte die Forscher auf die Gleichungen der »semiklassischen Gravitation«. Das ist eine Art erste Annäherung an die Quantengravitation, bei der man Quantenfelder in einer gekrümmten Raumzeit betrachtet. Diese werden in dem Fall von der Krümmung beeinflusst, üben aber selbst keinerlei Wirkung auf die Raumzeit aus – verformen sie also nicht. Letzteres ist aber ein wichtiger Effekt, den man für eine Quantentheorie der Gravitation berücksichtigen muss.
»Im Prinzip sagt uns das Ergebnis, dass Entropie und Gravitation zwei Seiten derselben Medaille sind«, sagt Much. Untersucht man die Entropieänderung – also die Veränderung der Information – eines Ereignishorizonts, erhält man dadurch die semiklassischen einsteinschen Gleichungen. Das könne man wie eine Art Wörterbuch sehen, das zwischen Informationstheorie und Gravitation übersetzt. Und damit diene diese Verbindung vor allem als Testfeld: »Wenn ich auf der einen Seite einen Kandidaten für eine Quantengravitationstheorie beschreibe, also zum Beispiel eine gequantelte Art der Raumzeit, dann kann ich schauen, ob mich die Beschreibung deren relativer Entropie zu einer Form einer Gravitationstheorie im Sinne von Einstein führt«, erklärt Much. Sein Ziel ist es nun, solche Fälle zu untersuchen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.