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Quantenkosmologie: Das Paradoxon fehlender Information im Universum

Verbindet man Quantenphysik und Kosmologie, stößt man auf ein Universum, das überraschend simpel wirkt – zu simpel. Die überraschende Rolle eines Beobachters soll das Rätsel lösen.
Eine dichte, wirbelnde Wolkenformation in bläulichen und grauen Tönen umgibt eine dunkle, zentrale Leere.
Laut Theorie sollte unser Universum extrem langweilig sein und nur aus einem Zustand bestehen.

Seit Jahrzehnten tüfteln theoretische Physikerinnen und Physiker an einer Quantenkosmologie. Die geheimnisvollen Regeln der Quantenmechanik einerseits und der Schwerkraft andererseits ermöglichen es, sich viele verschiedene Arten von Universen bis ins kleinste Detail auszumalen. Mit solchen spannenden Gedankenexperimenten ließen sich bereits viele Fragen beantworten, etwa rund um Schwarze Löcher.

Doch als eine Forschungsgruppe im Jahr 2019 ein Universum untersuchte, das dem unseren in vielerlei Hinsicht ähnelt, stieß sie auf eine Überraschung: Das hypothetische Universum scheint lediglich einen einzigen möglichen Zustand zu besitzen. Damit ließe sich sein Inhalt beschreiben, ohne auch nur ein einziges Bit an Information zu übermitteln. Dieses Ergebnis widerspricht offenbar der Tatsache, dass unsere Welt von vielfältigen und komplizierten Objekten wie Schwarzen Löchern, Sternen, Planeten und Menschen bevölkert ist. Dennoch gibt es guten Grund, den Berechnungen zu vertrauen – auch wenn sich unser Universum von der Vorhersage unterscheidet.

Inzwischen gibt es eine mögliche Lösung für dieses Rätsel. Demnach kam das paradoxe Ergebnis zustande, weil es einer objektiven Beschreibung des Zustands eines ganzen Universums entspricht. Aber vielleicht ist eine solche Beschreibung unmöglich. Denn sie geht implizit von einem Universum aus, das ohne Beobachter existiert. Genau das könnte der springende Punkt sein: Die Komplexität des Universums könnte ohne Beobachter ihre Bedeutung verlieren.

Eine seltsame Übereinstimmung

Seit mehr als 100 Jahren widerstehen die Quantenphysik und die Gravitation der Vereinigung zu einer übergreifenden Quantengravitationstheorie. Die Stringtheorie, bei der die Grundbausteine unserer Welt als winzige schwingende Fäden beschrieben werden, bietet eine vermeintliche Lösung. Doch die zugehörige Mathematik ist extrem herausfordernd, und die Folgen der Theorie sind schwer zu entschlüsseln.

In den 1990er Jahren zeigte der Physiker Juan Maldacena vom Institute for Advanced Study in einer bahnbrechenden Arbeit, dass sich die verworrenen Berechnungen der Stringtheorie manchmal umgehen lassen; sie lassen sich teilweise auf bekannte Konzepte aus der Teilchenphysik übertragen. Der Haken an der Sache: Dieser Ansatz funktioniert nur, wenn das Universum eine seltsame »Anti-de-Sitter«-Geometrie besitzt.

Ein Anti-de-Sitter-Universum kann man sich wie einen Lampenschirm vorstellen. Alles, was in seinem Inneren passiert – von kollidierenden Teilchen bis hin zu rotierenden Schwarzen Löchern – wird durch Schatten auf der Oberfläche des Schirms sichtbar. Es ist, als ob das 3-D-Universum im Inneren der Dose dem projizierten, zweidimensionalen Schattenwurf entspricht. Das Konzept bezeichnen Physiker als Holografie.

Holografisches Universum | Alle Information innerhalb eines Universums könnte in dessen Rand codiert sein – das zumindest besagt das holografische Prinzip. Dieses wurde aber nur für seltsame »Anti-de-Sitter«-Geometrien bewiesen, die sich von der Form unseres Universums unterscheiden.

Die Holografie hat zu mehreren großen Durchbrüchen geführt. Im Jahr 2019 nutzte Maldacena gemeinsam mit Ahmed Almheiri, Raghu Mahajan und Ying Zhao das holografische Prinzip, um besser zu verstehen, was im Inneren eines Schwarzen Lochs passiert. Aufbauend auf früherenArbeiten entwickelten sie schließlich die »Inselformel«, die die Ränder verschiedener Regionen innerhalb eines Schwarzen Lochs nachzeichnet. Die Formel half ihnen und anderen, ein langjähriges Rätsel zu lösen: Wie können Schwarze Löcher Informationen darüber preisgeben, was in sie hineingefallen ist?

Dieser Erfolg stimmte Physikerinnen und Physiker zuversichtlich, dass die Inselformel auch bei der Entwicklung einer Quantentheorie der Gravitation helfen könnte. »Ein wichtiger Punkt ist dabei die Quantenkosmologie«, sagt Henry Maxfield, Physiker an der Stanford University, also der Versuch, das frühe Universum zu verstehen.

Das Problem ist, dass wir nicht in einem Anti-de-Sitter-Lampenschirmkosmos leben. Da sich unser Universum offenbar immer weiter ausdehnt, kann es keine Grenzen haben. Egal wie weit man reist, man stößt nie an einen Rand. Eine Möglichkeit, das zu erklären, ist eine »abgeschlossene« Geometrie: In diesem Fall kehrt ein Reisender, der sich geradlinig bewegt, irgendwann immer dorthin zurück, wo er gestartet ist – ähnlich wie wenn man in einem Flugzeug immerzu nach Osten fliegt.

Da unser Universum abgeschlossen sein könnte, wandte Maldacena die Inselformel auf ein solches Modell an. Dabei entdeckte er etwas, das seine Kollegen nur schwer akzeptieren konnten: Die abgeschlossene Region schien fast leer. »Ich war ziemlich schockiert«, sagt die Physikerin Zhao. »Ich habe versucht, mit ihm darüber zu diskutieren.« Es sollte noch einige Jahre dauern, bis Zhao schließlich ein Schlupfloch in Maldacenas Universum fand.

Ein völlig leeres Universum

In den abgeschlossenen Universen, die Maldacena untersuchte, fehlte es nicht an Masse oder Energie. Es fehlte etwas viel Wichtigeres: Information.

In der Quantenphysik muss man alle möglichen Zustände eines physikalischen Systems berücksichtigen. Dazu greifen Fachleute auf ein abstraktes Konzept namens Hilbertraum zurück. Dieses ist nach dem deutschen Mathematiker David Hilbert benannt, und seine Dimension hängt mit der Anzahl der Quantenzustände zusammen. Je mehr Dimensionen, desto mehr Informationen können die Hilberträume codieren.

Ein einfaches System wie ein Computerbit, das entweder Null oder Eins sein kann, könnte beispielsweise einen zweidimensionalen Hilbertraum haben. Die meisten Quantensysteme sind aber viel komplexer. Selbst ein einzelnes Wasserstoffatom: Dessen Elektron kann immer höhere Energieniveaus erreichen, wenn man mehr Energie zuführt. Die Zahl der möglichen Zustände ist daher unbegrenzt, und der zugehörige Hilbertraum unendlichdimensional. Tatsächlich trifft das auf die meisten realen Quantensysteme zu.

Baby-Universen | Driften neben unserem Universum noch lauter andere Universen wie riesige Seifenblasen durchs Weltall? Manche Forscher sind überzeugt von diesem Gedanken, der sich jedoch so gut wie nicht überprüfen lässt.

Fachleute gehen deswegen davon aus, dass auch unser Universum unendlich viele Zustände besitzt. Doch als Maldacena die Inselformel auf ein abgeschlossenes Universum anwandte, wies der zugehörige Hilbertraum nur eine Dimension auf. Das gesamte theoretische Weltall und alles darin kann sich demnach nur in einem einzigen Quantenzustand befinden.

Dieses Muster wiederholte sich, als Fachleute andere Arten von abgeschlossenen Universen untersuchten. Während sich die Gruppe um Maldacena Schwarzen Löchern widmete, beschäftigten sich Maxfield und sein Kollege Donald Marolf mit hypothetischen Quantenblasen der Raumzeit, sogenannten Baby-Universen. Sie fanden dabei die gleiche seltsame Einfachheit vor. Diese vermeintlich simple Gestalt zog sich wie ein Trend durch. »Schließlich haben wir es geglaubt«, resümiert Zhao.

Die Komplexität kehrt zurück

Berechnungen zeigen immer wieder, dass jedes abgeschlossene Universum nur einen möglichen Zustand hat. Das erscheint paradox. Denn unser Universum, das vielleicht auch abgeschlossen ist, wirkt unendlich viel komplexer. »Allein auf meinem Schreibtisch gibt es unendlich viele Zustände«, sagt Edgar Shaghoulian, Physiker an der University of California in Santa Cruz. Wie lässt sich das erklären?

Im Jahr 2023 erkannte Shaghoulian eine Gemeinsamkeit mit einem anderen Forschungsbereich. Das merkwürdige Verhalten tauchte schon früher in topologischen Feldtheorien auf, mit denen sich die Gestalt von geometrischen Räumen beschreiben lässt. Und wie sich zeigt, haben auch topologische Feldtheorien eindimensionale Hilberträume. Wenn man den geometrischen Raum aber in mehrere Bereiche aufteilt, dann lässt er sich auf viele verschiedene Arten beschreiben. Um all diese neuen Möglichkeiten zu erfassen, braucht man einen größeren Hilbertraum. »Die Spielregeln ändern sich«, sagt Shaghoulian. Der Physiker vermutete daher, dass es eine ähnliche Möglichkeit geben könnte, ein abgeschlossenes Universum zu unterteilen. Dafür brachte er einen Beobachter ins Spiel.

Die Quantenmechanik unterscheidet zwischen einem Beobachter – etwa einer Person, die ein Experiment durchführt – und dem System, das er beobachtet. Das System ist in der Regel etwas Kleines und Quantenhaftes wie ein Atom. Ein Beobachter ist hingegen makroskopisch und wird daher gut durch die klassische Physik beschrieben. Shaghoulian erkannte, dass diese Aufspaltung in Makro- und Mikrokosmos jener Unterteilung der geometrischen Räume ähnelt, welche die Hilberträume topologischer Feldtheorien vergrößert. Vielleicht könnte ein Beobachter denselben Effekt auf die Hilberträume von abgeschlossenen Universen haben?

Im Jahr 2024 wechselte Zhao an das Massachusetts Institute of Technology, wo sie dieser Möglichkeit nachging. Zusammen mit ihren zwei Kollegen Daniel Harlow und Mykhaylo Usatyuk erkannte sie, dass der Beobachter eine neue Art von Grenze einführt. Sie konnten zeigen, dass ein klassischer Beobachter innerhalb eines abgeschlossenen Universums die gesamte Komplexität der Welt zurückbringt. Das Team veröffentlichte Anfang 2025 seine Ergebnisse, etwa zur gleichen Zeit, als eine andere Forschungsgruppe eine ähnliche Idee vorstellte.

Die vollständige Lösung des Rätsels ist aber noch nicht bekannt. Das Paradoxon selbst könnte ein Missverständnis sein, das sich mit einem neuen physikalischen Argument auflöst.

Aber bisher besteht die einzige Erklärung darin, einen Beobachter in das geschlossene Universum einzuführen und zu versuchen, seine Anwesenheit zu erklären. »Kann ich wirklich mit Zuversicht sagen, dass es richtig ist, dass es das Problem löst? Ich glaube nicht. Aber wir versuchen unser Bestes«, sagt Zhao.

Wenn sich die Idee bewahrheitet, würde die subjektive Natur des Beobachters einen Paradigmenwechsel in der Physik mit sich bringen. Denn normalerweise suchen Physiker nach einem objektiven Blick, nach einer eigenständigen Beschreibung der Natur. Sie wollen wissen, wie die Welt funktioniert und wie Beobachter zu einem Teil dieser Welt werden. Aber je mehr sich die Fachwelt mit abgeschlossenen Universen auseinandersetzt, desto weniger scheint diese Objektivität möglich. Vielleicht sind subjektive Ansichten alles, was wir jemals leisten können.

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  • Quellen

Levine, A. et al., ArXiv 10.48550/arXiv.2501.02632, 2025

Shaghoulian, E., ArXiv 10.48550/arXiv.2305.10635, 2023

Zhao, Y. et al., ArXiv 10.48550/arXiv.2501.02359, 2025

Zhao, Y. et al., ArXiv 10.48550/arXiv.1908.10996, 2019

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