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News: Quantensprung auf der kosmischen Entfernungsleiter

Beim Messen astronomischer Entfernungen bahnt sich eine Revolution an: Mit bisher nicht für möglich gehaltener Präzision haben amerikanische, britische, japanische und deutsche Radioastronomen den Abstand der Erde zur Galaxie NGC4258 im Sternbild 'Jagdhunde' mit 23,5 Millionen Lichtjahren bestimmt. Genaue Entfernungen extragalaktischer Systeme sind entscheidend, um Ausdehnung, Alter und Entwicklung unseres Universums zu verstehen.
Das neue Verfahren beruht auf einfachen geometrischen Berechnungen. "Damit steht jetzt eine Methode zur Verfügung, die sensationell genaue Werte beim Bestimmen der Entfernungen extragalaktischer Quellen liefert und alle Stufen der kosmischen Entfernungsleiter überspringt – ohne daß dafür das Eichen an bekannten, galaktischen Objekten notwendig ist", bestätigt Christian Henkel vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Außerdem hat das internationale Wissenschaftler-Team bei diesen Untersuchungen auch zum ersten Mal direkt die Bewegungen in einer Akkretionsscheibe um den aktiven Kern einer Galaxie beobachtet. Dieses Ergebnis hat das internationale Forscherteam, zu dem auch Henkel gehört, am 5. August 1999 in Nature veröffentlicht.

Das genaue Messen der Entfernung von Galaxien ist ein entscheidender Schlüssel beim Erforschen des Universums, seines Alters, seiner Ausdehnung und damit auch seines künftigen Schicksals. Das Bestimmen dieser Entfernungen ist allerdings sehr schwierig. Zwar gibt es zahlreiche komplizierte – indirekte – Methoden, doch keine ist perfekt. Ihr gemeinsamer Nachteil: "Sämtliche Verfahren benötigen eine Eichung an der Helligkeit gut bekannter, nahegelegener Quellen", erläutert Henkel. "Da solche Quellen nicht immer häufig sind und externe Galaxien sich in ihren Eigenschaften durchaus von denen unserer Milchstraße unterscheiden, können extragalaktische Entfernungsbestimmungen mit erheblichen systematischen Fehlern behaftet sein." Er erklärt: "Dies ist auch der Grund für den langjährigen Streit um den 'richtigen' Wert der Hubble-Konstante – sie verknüpft die extragalaktische Entfernungsskala mit der Expansion des Universums."

Nur auf den ersten – optischen – Blick ist der Spiralnebel NGC4258 im Sternbild der Jagdhunde eine völlig "normale" Galaxie. Detaillierte Karten im "Radiokontinuum" – also der gesamten, von dem Objekt ausgesandten Radiostrahlung – haben gezeigt, daß es sich keinesfalls um ein Standard-Objekt handelt. Vielmehr gehört das System zu der "AGN-Klasse" (Active Galactic Nuclei), Galaxien mit aktivem Kern, vermutlich mit einem supermassiven Schwarzen Loch mit vierzig Millionen Sonnenmassen im Zentrum.

Solche auf engstem Raum zusammengedrängte, unvorstellbar dichte Ansammlungen von Materie zeichnen sich vor allem durch ihre gewaltigen Anziehungskraft aus: Geraten vorbeiziehende Sterne in ihren Bann, werden sie zerfetzt und die Trümmer wegen ihres Drehimpulses zunächst auf kreisförmige Bahnen in eine Akkretionsscheibe gezwungen. Bei NGC4258 entdeckten die Radioastronomen außer herausschießenden "Jets", das sind Strahlen gebündelter heißer Materie, die nahezu Lichtgeschwindigkeit haben ("Plasma").

Noch spektakulärer war jedoch der Fund einer großen Zahl von "Wasserdampf-Masern". Dabei handelt es sich um gasförmige Klumpen, die – wie ein Laser Lichtwellen – Radiostrahlung verstärken und dadurch gewaltige "Leuchtkräfte" entwickeln, hundert- bis mehr als tausendfach heller als die Sonne. Der so angeregte Wasserdampf (H2O) strahlt als Maser bei 1,3 Zentimeter Wellenlänge in Form einer einzigen, besonders intensiven Spektrallinie und ermöglicht damit Hinweise auf Struktur und Dynamik seiner Umgebung.

Mit ihrem 100-Meter-Teleskop kamen die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie einer systematischen "Drift" der H2O-Maser in NGC4258 auf die Spur. Der Wasserdampf wird um etwa zehn Kilometer pro Jahr beschleunigt und, weil von der Erde weggerichtet, seine Wellenlänge in den längeren Bereich "rotverschoben". Dieses Phänomen ließ sich jedoch erst mit der weiteren Entdeckung von "H2O-Hochgeschwindigkeitskomponenten" erklären: Die schnellen Wasserdampf-Maser bewegen sich – bei gleichbleibender Umdrehungsgeschwindigkeit – mit tausend Kilometern pro Sekunde entweder auf die Erde zu oder von ihr weg.

Dieses Puzzle aus vielen Einzelbeobachtungen fügte sich durch den Einsatz des amerikanischen Very Long Baseline Array (VLBA) zu einem überschaubaren Bild. Bei dem 1993 fertiggestellten VLBA beobachten zehn identische Radioteleskope an Standorten zwischen Hawaii und der Karibik gleichzeitig ein kosmisches Objekt. In diesem Verbund zusammengeschaltet, erreicht das VLBA ein mehrere hundertfach besseres Auflösungsvermögen als beispielsweise das Hubble-Weltraumteleskop.

Zusätzlich beteiligte sich auch das 100 Meter-Teleskop des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Effelsberg/Eifel an diesen Messungen. Sie fanden während vier bis acht Monate dauernden Abschnitten in den Jahren 1994 bis 1997 statt – und lieferten die bisher tiefsten Einblicke in die Spiralgalaxie NGC4258. Zum ersten Mal konnten die Bewegungen einer Akkretionsscheibe um den aktiven Kern einer Galaxie im Detail verfolgt werden: Der Tanz der Wasserdampf-Maser um ein Schwarzes Loch.

Das aber brachte die internationalen Radioastronomen auf eine zündende Idee: Der Vergleich mit unserem Sonnensystem. Auch darin kreisen rotierende Körper – die Planeten – in einer Scheibe um ein zentrales Objekt – die Sonne –, die mit ihrer Anziehungskraft das Geschehen bestimmt. Und dafür gelten die Bewegungsgesetze, die Johannes Kepler (1571-1630) gefunden hat. Die Akkretionsscheibe in "NGC4258" samt ihren Wasserdampf-Masern konnte mit einer "Kepler-Scheibe" verglichen werden.

Das enorme Auflösungsvermögen des VLBA lieferte die Einzelheiten für die Entfernungsberechnung – die von der Distanz zum Zentrum abhängigen, unterschiedlichen Geschwindigkeiten der einzelnen Komponenten des Systems, etwa die Drehgeschwindigkeit der Scheibe, ebenso wie die Drift oder die von den Wasserdampf-Masern während der dreijährigen Meßkampagne zurückgelegten Wegstrecken (0,1 Millibogensekunden). Henkel sagt: "Die so bestimmten Geschwindigkeiten sind mit Keplerbahnen hervorragend verträglich."

Die gewonnenen Daten öffnen noch einen zweiten Weg, die Entfernung von NGC4258 direkt zu bestimmen: ein Vergleich der räumlichen Bewegung der einzelnen Wasserdampf-Maser mit ihrer bekannten Rotationsgeschwindigkeit.

Eine kritische Analyse beider Meßmethoden brachte das Ergebnis: Beide Verfahren führen zu übereinstimmenden Werten. "Die Kombination der Daten ergibt eine Entfernung von 23,5 Millionen Lichtjahren zu NGC4258, mit einem Fehler von lediglich vier Prozent, das entspricht etwa einer Million Lichtjahre", erklärt Henkel. "Ein über einen längeren Zeitraum laufender Datensatz sollte in der Lage sein, diesen Fehler noch weiter zu verringern, doch schon jetzt ist die so gemessene Entfernung beispiellos genau."

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