Quanten-Dolly: Schlupfloch in einem Quantengesetz

Steht der Dolly-Moment der Quantenphysik bevor? 1996 sorgte die Geburt des ersten geklonten Säugetiers weltweit für Aufsehen; es war ein Durchbruch in der Stammzellbiologie. Ähnliches könnte sich nun in der Quantenwelt abspielen. Dort gibt es ein eigentlich unumstößliches Gesetz: Ein Qubit lässt sich nicht kopieren. Doch jetzt haben der Physiker Achim Kempf von der University of Waterloo und Koji Yamaguchi von der University of Electro-Communications in Tokio ein Schlupfloch gefunden. Wie sie in einer noch nicht begutachteten Arbeit erklären, kann man Qubits klonen, wenn man sie dabei gleichzeitig verschlüsselt. »Die Sache hat auch Anwendungspotenzial«, sagt Kempf, »damit lässt sich endlich Quanteninformation redundant in Quanten-Clouds speichern – so, wie es klassische Clouds wie Dropbox machen.«
Die Quantenwelt verhält sich völlig anders als die Welt, die wir im Alltag erleben: Teilchen sind auf kleinster Ebene keine reinen Teilchen, sondern haben auch wellenartige Eigenschaften; ihre Geschwindigkeit und Position lassen sich nicht mehr beliebig präzise bestimmen, und Informationen, die sie mit sich tragen, können nicht vervielfältigt werden. In der klassischen Realität ist es kein Problem, Inhalte zu duplizieren: Ein Schaf lässt sich klonen, ein Buch kann mit einem Fotokopierer kopiert werden und eine Computerdatei lässt sich copypasten.
Tatsächlich sind alle Informationen innerhalb unserer Rechner mehrfach vorhanden; schließlich könnte es ja bei Signalübertragungen zu Fehlern kommen, so dass ein Informationsbit von einer 1 zur 0 wird oder umgekehrt. Dem beugt man durch Fehlerkorrekturverfahren vor, die unter anderem auf Redundanz setzen: Statt einer einzelnen Eins werden gleich mehrere davon versendet; etwa 111.
Mit Anbruch des Quantenzeitalters stellte sich die Frage: Wie lässt sich Quanteninformation verarbeiten? Im Jahr 1982 erkannte der Physiker Nick Herbert, dass es durch das Kopieren von Qubits möglich wäre, Informationen überlichtschnell zu übertragen. Kurz darauf bewiesen seine Kollegen William Wootters und Wojciech Zurek das »No-Cloning-Theorem«, das diese Möglichkeit verhindert. Demnach ist es aus mathematischer Sicht unmöglich, den Quantenzustand eines Qubits auf ein anderes zu kopieren, ohne das ursprüngliche Qubit dabei zu verändern. Sprich: Ein Qubit lässt sich nicht klonen.
Für die Entwicklung von Quantencomputern ist das problematisch – insbesondere, weil Qubits extrem störanfällig sind. Inzwischen haben Fachleute allerdings ausgeklügelte Quantenfehlerkorrekturverfahren entworfen, die künftig zuverlässige Quantenberechnungen ermöglichen sollen. Dabei entspricht der Gesamtzustand mehrerer Qubits der relevanten Information und hat auch dann noch den richtigen Wert, wenn einzelne Bestandteile fehlerhaft sind. Damit ist die Fehlerkorrektur auf Quantenebene auch ohne Quanten-Dollys möglich. Wenn es allerdings um das redundante Speichern von Daten geht, ist die Fachwelt eher ratlos. Hat man nur ein einzelnes Qubit als Quanteninformationsspeicher, würde die Information verloren gehen, sobald das Qubit gestört wird. Eine Art Cloud-Lösung, wie sie bei klassischen Daten genutzt wird, scheint durch das »No-Cloning-Theorem« unmöglich.
Wie Kempf und Yamaguchi nun aber gezeigt haben, lässt sich das Theorem in gewissen Situationen umgehen. »Man kann Qubits doch kopieren, und zwar, wenn man sie gleichzeitig verschlüsselt«, sagt Kempf. Seinen Berechnungen zufolge lässt sich die Quanteninformation eines Ausgangs-Qubits in verschlüsselter Form auf zwei oder mehr Qubits übertragen.
Konkret funktioniert das so: Man braucht n »Klon-Qubits« (abgekürzt durch K), die mit je einem anderen Schlüssel-Qubit S verschränkt sind. Damit hat man n Qubit-Paare (K, S). Anschließend lässt man das Ausgangs-Qubit – das man kopieren möchte – mit den n verschiedenen Klon-Qubits K wechselwirken. Da diese aber mit je einem Partner S verschränkt sind, die sich wie ein Rauschen auf ihre Zustände auswirken, wird die Quanteninformation des Ausgangs-Qubits auf den Klon-Qubits verschlüsselt. Möchte man die Quanteninformation wieder abrufen, kann man eines der verschlüsselten Klon-Qubits nehmen (egal welches) und dann mit Hilfe aller Schlüssel-Qubits S entschlüsseln. Dadurch geht die Quanteninformation auf den n – 1 übrigen Klon-Qubits jedoch verloren; man kann die Information also nur einmal abrufen.
Geklonte Quanten-Schafe
Das Prinzip lässt sich beispielhaft auf fiktive Schafe übertragen. Dollys Quanten-Erbgut lässt sich auf n verschiedene Klon-Schafe übertragen, die wiederum mit je einem Schlüssel verbunden sind, die das Dolly-Erbgut gemeinsam verschlüsseln. Die Klon-Schafe können in verschiedenen Scheunen untergebracht werden, während die Schlüssel gemeinsam an einem Schlüsselbund befestigt werden. Um Dolly zu klonen, muss man eines der Klon-Schafe auswählen und mit Hilfe der Schlüssel das Erbgut entschlüsseln.
Das Verfahren hat Gemeinsamkeiten mit der Quantenfehlerkorrektur. »Beide nutzen Verschränkung, um Quanteninformation zu delokalisieren«, sagt Kempf. Anders als bei der Fehlerkorrektur lasse sich aber prinzipiell aus jedem verschlüsselten Klon die ursprüngliche Information ableiten.
Haben die Forschenden damit das »No-Cloning-Theorem« umgangen? »Nein, da sie nicht ohne Weiteres an die Quanteninformation des n-Qubit-Zustands herankommen«, sagt der Physiker Sascha Heußen von der neQxt GmbH in Köln. »Um die Information zu lesen, brauchen sie einen Schlüssel, der nach einmaliger Benutzung unbrauchbar wird.«
»Kempf und Yamaguchi beschreiben in ihrer Arbeit ein Protokoll, um damit eine Quanten-Cloud aufzubauen«, erklärt der Physiker Leon Alexander Rullkötter vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart und Heilbronn, der im Team Quantencomputing arbeitet. Damit ließe sich Quanteninformation dezentral und verschlüsselt an n verschiedenen Orten speichern. Mit dem Schlüssel kann man jederzeit auf eines der n verteilten Qubits zugreifen, um die Information abzurufen. Bisher ließ sich nur ein einziges Qubit an einem Ort speichern, erklärt Kempf. Falls dieses durch äußere Einflüsse gestört wird, ist die Quanteninformation jedoch verloren. Das verschlüsselte Klon-Verfahren ermöglicht es hingegen, die Quanteninformationen auf mehrere Einheiten zu verteilen – falls einige der n verteilten Qubits ihre Informationen verlieren, kann man immer noch auf die restlichen zurückgreifen. »Solange noch ein einziger verschlüsselter Klon übrig ist, kann man ihn mit unserer Methode entschlüsseln«, sagt Kempf.
»Wir haben einen Qubit-Quantenzustand auf etwa fünf bis zehn Qubits verschlüsselt kopiert und anschließend wieder entschlüsselt. Das Protokoll funktioniert«Leon Rullkötter, Physiker
Und nun hat das Team um Christian Klaus Tutschku, zu dem auch Rullkötter gehört, das Protokoll auf einem IBM-Quantenchip ausgeführt – und dabei echte Quanten-Dollys erschaffen. Dieses Projekt ist Teil einer neuen kanadisch-deutschen Zusammenarbeit zwischen Quantenforschungsbereichen der University of Waterloo und des Fraunhofer-Instituts. »Wir haben zunächst mit einem Proof-of-Principle auf einem einzigen Quantenchip begonnen«, erklärt Rullkötter, »und einen Quantenzustand auf etwa fünf bis zehn Qubits verschlüsselt kopiert und anschließend wieder entschlüsselt. Das Protokoll funktioniert.« Aktuell schreiben die Fachleute die Ergebnisse auf und wollen sie bald veröffentlichen. »In der Wissenschaftscommunity hat die Arbeit von Kempf und Yamaguchi schon einiges an Aufmerksamkeit erregt«, sagt Rullkötter. Das habe sich beispielsweise auf »SciRate« gezeigt, einer Plattform, auf der wissenschaftliche Arbeiten bewertet werden können.
Welche weiteren Auswirkungen das verschlüsselte Quanten-Klonen haben könnte, ist noch unklar. »Die Theorie dahinter steht erst ganz am Anfang, aktuell werden die Potenziale und Anwendungen untersucht und die Theorie natürlich immer weiter ausgebaut«, erklärt Rullkötter. Kempf und Yamaguchi erklären, dass das Verfahren auch bei Quantensensoren Anwendung finden könnte, die hochpräzise Messungen ermöglichen. Ob die Veröffentlichung wirklich einen Quanten-Dolly-Moment markiert, wird die Zeit zeigen.
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