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Kernphysik: Radikaldiät

Das Gegenteil der Kernspaltung - die Kernfusion - könnte uns in Zukunft umweltfreundliche Energie liefern. Doch während einige Wissenschaftler schon an neuer Kraftwerkstechnologie feilen, haben andere noch grundlegende Fragen.
Fusion zweier Kerne
Die Sonne macht es uns vor: Sie produziert täglich unglaubliche Mengen an Energie, indem sie Wasserstoff-Kerne zu Helium-Kernen verschmilzt. Das Schöne daran ist, dass hierbei kein radioaktiver Abfall entsteht und keinerlei Schadstoffe freigesetzt werden. Denn ein bei der Fusion entstandener Helium-Kern hat weniger Masse als die Kerne, aus denen er gebildet wurde. Dieser Massenverlust m wird nach Einsteins berühmter Formel E = mc2 als Energie E freigesetzt – und weil die Lichtgeschwindigkeit c so groß ist, sind die erzeugten Energiemengen enorm.

Halo von 6He | Im instabilen Helium-Isotop 6He können sich die beiden zusätzlichen Neutronen relativ weit vom Kernzentrum entfernen.
Nun lassen sich nicht nur Wasserstoff-Kerne, sondern auch die vieler anderer Atome verschmelzen – eine riesige Spielwiese für an den physikalischen Grundlagen interessierte Forscher. Ein internationales Team um Riccardo Raabe von der Universität von Leuven wollte nun wissen, wie sich die Zahl der Neutronen in einem Kern auf dessen Fusionsfreudigkeit auswirkt. Dazu wandten sie sich 6He zu, das zwei Neutronen mehr als das gewöhnliche Helium 4He besitzt. Während der Kern von 4He mit seiner perfekten Pärchenbildung von je zwei Neutronen und Protonen aber außergewöhnlich stabil ist, werden die zwei zusätzlichen Teilchen im 6He nicht wirklich in den Kern integriert. Sie schwirren stattdessen rastlos um ihn herum und bilden eine Art "flauschige Hülle", die sich relativ weit ausdehnt.

Wie sich dieser "Halo" auf eine Kernfusion auswirkt, war bislang umstritten. Die meisten Forscher waren überzeugt, dass die Verschmelzung weitaus leichter stattfinden würde als bei 4He. Schließlich nähert sich das 6He dem Atomkern, mit dem es verschmelzen soll, zuerst mit seinem dicken, ungeladenen Bauch aus zusätzlichen Neutronen. Wenn diese schon vorab eine Bindung zu dem zweiten Kern aufbauen, sollte es leichter sein, die beiden durch die Protonen aufgeladenen Kernzentren zusammenzubringen. Andere Wissenschaftler waren da skeptisch, da das schwere Helium nicht besonders stabil ist und somit die Gefahr besteht, dass das 6He bei einem Fusionsversuch einfach zerbricht, seine Bruchstücke auseinanderfliegen und daher den Fusionspartner nicht alle erreichen.

Riccardo Raabe und seine Kollegen bombardierten nun eine das radioaktive Uran-Isotop 238U enthaltende Folie mit einem dünnen Strahl an geladenen 6He-Kernen. Dieser Beschuss würde auf jeden Fall geladene Partikel freisetzen – ganz egal, ob die Uran-Kerne von den Helium-Kernen nur gerammt würden oder beide ganz oder teilweise verschmelzen. Allerdings lässt sich aus der Art der Teilchen, die von den Forschern eingefangen werden, nicht sagen, welcher Prozess stattgefunden hat. Um ihren experimentellen Beweisstücken nun die Geschichte ihrer Entstehung zu entlocken, wandten die Wissenschaftler daher einen Trick an: Sie berechneten für alle möglichen Szenarien eines Zusammentreffens der Kerne die zu erwartenden Energien der einzufangenden Teilchen. Durch Vergleich dieser Energien mit den tatsächlich gemessenen, konnten sie dann die jeweilige Geschichte der Partikel rekonstruieren.

Was sie herausfanden, entsprach weder dem einfachen Bild des zerfallenden 6He noch dem einer vollständigen Fusion der beiden Kerne. Vielmehr scheint die Anziehung zwischen den Uran-Kernen und dem Halo so groß zu sein, dass das Uran dem dicken Helium die beiden Neutronen geradezu entreißt und sie selbst verschluckt. Die von den Forschern beobachtete Reaktion war also nicht wie beabsichtigt die von 238U mit 6He, sondern die von einem zwei Neutronen schwereren 240U mit einem verschlankten 4He.

Die Wissenschaftler um Riccardo Raabe gelang es damit erstmals, ein solches komplexes Experiment mathematisch konsistent zu beschreiben. Und welche Lehre lässt sich daraus ziehen? Nun, vor allem Astronomen könnten großes Interesse zeigen – denn in kosmischen Ereignissen wie zum Beispiel einer Supernova spielt die Fusion von solch instabilen Atomkernen eine große Rolle. Und nicht zuletzt haben solche Prozesse für die Fülle an lebenswichtigen Elementen auf der Erde gesorgt.

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