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News: Radikale auf dem Neptun

Auf einem der äußersten Planeten unseres Sonnensystems, dem Neptun, tritt ein Gas in Mengen auf, die bislang mit keinem theoretischen Modell zu erklären waren. Erst durch Aufnahmen im infraroten Licht, die ein Satellit gemacht hat, sind die Wissenschaftler der Lösung des Rätsels einen großen Schritt näher gekommen: In den äußersten Schichten der Neptunatmosphäre bildet sich im Sonnenlicht eine extrem reaktionsfreudige Vorstufe des Gases.
Methan besteht aus einem Kohlenstoffatom, an das vier Wasserstoffatome gebunden sind. Im Sonnenlicht kann eines davon abdissoziieren, zurück bleibt Methyl. Dieses Molekül hat dann ein ungepaartes Elektron und ist deshalb extrem reaktionsfreudig. Innerhalb kürzester Zeit verbindet es sich mit einem weiteren Methyl zu Ethan, das aus zwei Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatomen aufgebaut ist.

Soweit die etwas vereinfachte Photochemie der kurzkettigen Kohlenwasserstoffe. Danach hängt die Konzentration des Ethans von der Intensität des Sonnenlichtes ab. Da der Planet Neptun viel weiter von der Sonne entfernt ist als der Jupiter und deshalb 33mal weniger Licht als der Riesenplanet empfängt, sollte es auf Neptun eben auch 33mal weniger Ethan geben. Aber "die Konzentration des atmosphärischen Ethans ist auf Jupiter und Neptun etwa gleich", sagt Paul Romani vom Goddard Space Flight Center.

Um diesen Widerspruch zwischen realen Meßwerten und theoretischer Vorhersage zu bereinigen, stellte Romani ein neues Modell auf. Danach gibt es auf dem Neptun gewaltige Stürme, die manchmal so groß wie die ganze Erde sind. Sie tragen Methan in die obersten Schichten der Atmosphäre, wo das Sonnenlicht besser wirken kann und das Methan zu Methyl umsetzt, welches weiter zu Ethan reagiert.

Leider ließ sich die neue Hypothese nicht einfach mit erdgebundenen Teleskopen überprüfen, denn Methyl strahlt infrarotes Licht ab, das von der Erdatmosphäre geschluckt wird. Doch Romani gelang es, die Forscher der European Space Agency für sein Modell zu interessieren. Mit deren Infrared Space Observatory (ISO) waren die nötigen Beobachtungen möglich.

"Wir nahmen die Angaben von Romani und stellten fest, daß es genug Methyl in den geeigneten Schichten der Atmosphäre geben sollte, um mit dem ISO die Methyl-Emissionen zu sehen – immerhin über eine Entfernung von rund 4,5 Milliarden Kilometern", erzählt Bruno Bezard vom Pariser Observatorium, der Leiter des ISO-Teams. "Wir wollten auch mit den anderen Gasplaneten vergleichende Studien machen. Für Saturn haben wir sie bereits durchgeführt."

Nach den Messungen beläuft sich die Methylkonzentration in der Neptunatmosphäre auf durchschnittlich ein Teilchen in 30 Millionen. Auf dem Saturn ist sie zwei- bis dreimal so hoch. Romani ist sehr zufrieden mit diesen Werten. "Die Menge des Methans in der oberen Neptunatmosphäre liegt zehn- bis hundertmal über dem Sättigungsniveau. Wir glauben, daß es durch die Stürme dorthin gerät", sagt er. Dadurch ist die vermehrte Methylbildung begünstigt. Und über die Bestätigung des Modells hinaus haben die Ergebnisse gezeigt, daß die Verfolgung der Methylkonzentrationen es ermöglicht, einen bescheidenen Wetterbericht für weit entfernte Gasriesen anzufertigen.

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