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Neuer Stammbaum: Rätsel um Entstehung der Kartoffel gelöst

Die Kulturkartoffel mit ihren typischen Knollen ist das Ergebnis einer uralten Kreuzung. Wer die Elternpflanzen sind, hat die Fachleute überrascht – und es könnte Folgen haben für die moderne Züchtung.
Eine Nahaufnahme von frisch geernteten Kartoffeln, die teilweise in dunkler Erde eingebettet sind. Im Hintergrund ist eine Gartenharke zu sehen, die in die Erde gesteckt ist. Einige grüne Blätter der Kartoffelpflanze ragen aus der Erde heraus. Der Himmel ist klar und blau.
Der einzige essbare Teil der Kartoffelpflanze sind die unterirdisch wachsenden Speicherorgane namens Knollen. Ihre eigentlichen Früchte, tomatenähnliche Beeren, enthalten Solanin und sind darum für uns Menschen leicht giftig.

Die moderne Kartoffel ist vor etwa neun Millionen Jahren aus einer Kreuzung zwischen Tomatenpflanzen und kartoffelähnlichen Gewächsen in Südamerika hervorgegangen. Das vermutet ein internationales Forschungsteam, nachdem es 144 Genome von 27 Arten aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) analysiert hat. Wie die Wissenschaftler aus China, Kanada, Deutschland und den USA im Fachmagazin »Cell« schreiben, fanden sie heraus, dass sämtliche Arten der Sektion Petota, zu denen die kultivierte Kartoffel wie auch zahlreiche Wildspezies gehören, einen stabilen Genmix von Etuberosum- und Tomatenpflanzen enthalten (eine Sektion ist eine Teilgruppe einer Gattung). Das deute darauf hin, dass Vertreter dieser Gruppen sich einst gekreuzt haben und die daraus hervorgehende Hybridpflanze damit begann, Knollen auszubilden. Damit scheint das alte Rätsel um die Herkunft der Kartoffel gelöst.

Solanum tuberosum, wie die kultivierte Kartoffel mit botanischem Namen heißt, ist eine der wichtigsten Nutzpflanzen. Weltweit werden jährlich zwischen 350 und 370 Millionen Tonnen davon geerntet. Wie die Kulturkartoffel mit ihren typischen essbaren Knollen entstanden ist, war allerdings lange Zeit unklar. Moderne Kartoffelpflanzen sehen fast genauso aus wie Nachtschattengewächse aus Chile, die der Sektion Etuberosum angehören – doch diese bilden keine Knollen aus. Überdies teilen Kartoffelpflanzen viele ihrer Gene mit Tomaten, auch die entwickeln aber keine derartigen Speicherorgane.

Das Forschungsteam verfolgte daher die Ursprünge der wichtigsten knollenbildenden Gene der Kartoffel zurück. Die Fachleute fanden heraus, dass das SP6A-Gen von Tomatengewächsen stammt. Es funktioniert wie ein Hauptschalter, der der Pflanze mitteilt, wann sie mit der Knollenbildung beginnen soll. Eine weitere wichtige Erbanlage namens IT1 steuert das Wachstum der unterirdischen Seitensprosse, aus denen die Knollen hervorgehen; sie stammt von Etuberosum-Gewächsen, also Verwandten der Wildkartoffeln. Fehlt eines dieser Gene, sind die hybriden Nachkommen nicht in der Lage, Knollen zu produzieren.

»Wir wussten bereits, dass die drei Linien Petota, Etuberosum und Tomato eng miteinander verwandt sind, aber dass die Kartoffel durch eine Hybridisierung entstanden ist, war eine echte Überraschung!«Sandra Knapp, Botanikerin

»Wir wussten bereits, dass die drei Linien Petota, Etuberosum und Tomato eng miteinander verwandt sind«, sagt die an der Studie beteiligte US-amerikanische Botanikerin Sandra Knapp auf Nachfrage, »aber dass die Kartoffel durch eine Hybridisierung entstanden ist, war eine echte Überraschung!« Offenbar habe das Kreuzungsereignis neue Gen-Gen-Wechselwirkungen ermöglicht, die wiederum zur Ausbildung neuer Eigenschaften führten, die so in den Elternarten nicht vorhanden waren.

Kartoffeln sprießen aus der Knolle

Im Fall der Kartoffel fiel das Kreuzungsereignis zeitlich mit der Auftürmung der Anden zusammen, fand also in einer Phase statt, in der neue ökologische Lebensräume entstanden. Dank der Knollen, in denen die Pflanzen Nährstoffe unterirdisch speichern können, waren die frühen Kartoffeln wohl in der Lage, sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen und dem rauen Klima in den Bergen zu trotzen.

Knollen ermöglichen es Kartoffelpflanzen außerdem, sich ohne Samen oder Bestäubung zu vermehren. Individuen entstehen, indem sie einfach aus einer Knolle sprießen. Diese Eigenschaft befeuerte eine rasche Ausbreitung und die Besiedlung verschiedener ökologischer Nischen, von milden Graslandschaften bis hin zu hohen und kalten Almwiesen in Mittel- und Südamerika. Allerdings gibt es in der modernen Landwirtschaft auch Probleme mit dieser Art der Vermehrung. Pflanzkartoffeln sind anfällig für Krankheiten, die von Viren und Pilzen ausgelöst werden – unter anderem, weil die Knollen genetisch identisch mit der Mutterpflanze sind. 

Vielfalt der Kartoffel | Kartoffelpflanzen warten mit einer großen Bandbreite an Sorten auf. Ihre Knollen können sich in Farbe, Form, Geschmack und Kocheigenschaften unterscheiden.

Um die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Arten der Solanaceae-Familie auf Genomebene zu untersuchen, rekonstruierten die Forschenden den Stammbaum unter Verwendung eines Maximum-Likelihood-Ansatzes. Dabei wird der Parameterwert gesucht, der die beobachteten Daten am plausibelsten erklärt. Es stellte sich heraus, dass eine Schwesterbeziehung zwischen den Sektionen Petota und Tomato, wie sie bislang angenommen wurde, nicht sehr wahrscheinlich ist; ebenso wenig eine Schwesterbeziehung zu Etuberosum. Vielmehr stellte sich heraus, dass Tomato und Etuberosum als Eltern von Petota in Frage kommen.

»Unsere Ergebnisse zeigen, wie die Kreuzung zwischen Arten die Herausbildung neuer Merkmale auslösen und so die explosionsartige Entstehung weiterer Arten ermöglichen kann«, sagt Zhiyang Zhang, Erstautor und Wissenschaftler an der Chinesischen Akademie für Agrarwissenschaften. Nun wolle man versuchen, das Hybridisierungsereignis künstlich nachzustellen, um den Ursprung der Knollenbildung auf genetischer Ebene zu entschlüsseln. Die Studie eröffne neue Möglichkeiten, die Kartoffelzüchtung entscheidend voranzubringen – dazu gehöre etwa der langgehegte Traum der Molekularbiologen, Hybridkartoffeln zu entwickeln, die sich stabil durch Samen statt durch Knollen vermehren lassen. 

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  • Quellen
Zhang, Z. et al., Cell 10.1016/j.cell.2025.06.034, 2025

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