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Ornithologie: Räuberlärm verhindert Nachwuchs

Singammer

Kleine Singvögel müssen beständig auf der Hut sein, denn eine ganze Armada an Fressfeinden hat es auf sie und ihren Nachwuchs abgesehen. Falke, Marder und Co sorgen für ein natürliches Gleichgewicht und halten so die Bestände in einem ökologisch verträglichen Rahmen. Doch dazu müssen sie nicht einmal persönlich anwesend sein, wie nun Liana Zanette von der University of Western Ontario im kanadischen London an Singammern (Melospiza melodia) beobachtet haben: Die Tiere haben die Furcht vor den Beutegreifern so verinnerlicht, dass allein schon deren Lautäußerungen ausreichen, um den Fortpflanzungserfolg zu verringern.

Singammer | Die Singammer zählt zu den am weitesten verbreiteten Singvögeln Nordamerikas und zeichnet sich – wie der Name schon andeutet – durch einen wohlklingenden Gesang aus.

Die Biologen hatten dazu auf einigen Inseln vor British Columbia Brutplätze der Vögel großräumig umzäunt und mit grobmaschigen Netzen abgeschirmt, so dass sich zwar die Singammern frei bewegen konnten, aber Räuber keinen Zugriff auf die Brut hatten. Während ein Teil der Population aber völlig unbehelligt seine Brut aufziehen durfte, wurden die anderen immer wieder mit den Rufen von Waschbären, Greifvögeln oder Eulen beschallt. Und das hatte Folgen: Die entsprechend belasteten Weibchen verlagerten ihre Nester in dichte, dornige Dickichte, und sie verbrachten mehr Zeit damit, nach Fressfeinden Ausschau zu halten. Dafür suchten sie seltener und kürzer nach Futter. Vor allem aber produzierten die Singammern weniger Eier und versorgten anschließend den Nachwuchs schlechter: Statt durchschnittlich elf Mal wie die Vergleichsgruppe, zogen sie nur acht Mal pro Stunde los, um Insekten zu fangen und zum Nest zu schaffen. Insgesamt zogen sie deshalb 40 Prozent weniger Küken auf als ihre unbeeinflussten Artgenossen.

Nestlinge | Weil ihre Eltern seltener auf Futtersuche gehen und weniger Nahrung mit zum Nest bringen, verhungern die Küken von gestressten Tieren häufiger.

Ökologen bezeichnen diesen Zusammenhang auch als "Environment of Fear": Allein schon das Wissen um die Anwesenheit eines Fressfeinds sorgt dafür, dass die potenziellen Opfer ihr Verhalten ändern, selbst wenn ihre Verfolger nicht physisch auftauchen. Der damit verbundene Stress senkt die Lebenserwartung und offensichtlich auch den Fortpflanzungserfolg. Beobachtet wurde diese Räuber-Beute-Beziehung unter anderem auch an Wölfen und Hirschen im Yellowstone. Nachdem die Beuetgreifer in den 1920er Jahren in der Region ausgestorben waren, gewöhnten sich die ortsansässigen Pflanzenfresser an eine für sie risikoarme Umwelt, in der sie praktisch keine Fleischfresser fürchten mussten.

Ihr Bestand nahm ohne die natürlich Kontrolle stark zu und schädigte empfindliche Ökosysteme im Yellowstone-Nationalpark. 1995 wurden deshalb wieder Wölfe im Schutzgebiet angesiedelt, woraufhin die Zahl der Wapitihirsche wieder halbiert wurde – ein Effekt, der nicht allein auf die jagende Wölfe zurückzuführen ist, da sie dazu nicht genügend Tiere pro Jahr reißen können. Ihre bloße Anwesenheit könnte als zusätzlicher Stressfaktor jedoch ebenfalls eine große Rolle in der Bestandskontrolle der Wapitis spielen.

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  • Quellen
Science 334, S. 1398–1401, 2011

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