Direkt zum Inhalt

News: Rastloser Räuber

Jeder Kinogänger kennt ihn - aber für Meeresbiologen ist der Weiße Hai noch immer ein nahezu unbekanntes Wesen. Bisher hielten die Forscher den Fisch für ein verhältnismäßig ortstreues Tier, das bevorzugt in Küstennähe seine Raubzüge unternimmt. Satellitenbeobachtungen offenbarten jetzt monatelange Wanderungen von mehreren Tausend Kilometern in den offenen Ozean mit tiefen Tauchgängen. Was die Fische dort draußen treiben, ist den Forschern jedoch noch schleierhaft.
Vor mehr als 25 Jahren machte ein damals noch unbekannter Regisseur einen Fisch zum Kinohelden. Steven Spielbergs "Weißer Hai" schockierte mit seiner Mordlust zart besaitete Kinogänger und avancierte schnell zum Kassenknüller. Spielberg tat mit seinem Film jedoch Carcharodon carcharias, wie der Weißer Hai in Wissenschaftlerkreisen heißt, nicht unbedingt einen Gefallen, denn die Darstellung als menschenfressende Mordmaschine entspricht nicht der biologischen Realität. In Wirklichkeit bedroht der Mensch den Meeresräuber – und nicht umgekehrt.

Die Kenntnisse über die natürliche Lebensweise des mit einer Länge von bis zu sieben Metern und einem Gewicht von über 2000 Kilogramm größten Raubfisches der Erde sind jedoch immer noch spärlich. Man weiß, dass die Tiere sich häufig in Küstennähe aufhalten und dort vor allem Seehunde jagen. "Das Wanderverhalten und die ökologischen Präferenzen des Weißen Hais sind immer noch schwer fassbar" erläutert Barbara Block vom Monterey Bay Aquarium.

Um dieses Geheimnis zu lüften, befestigte Block mit ihrem Kollegen Andre Boustany und anderen Wissenschaftlern auf den Rücken von sechs ausgewachsenen Exemplaren – vier Männchen und zwei Weibchen – elektronische Fahrtenschreiber. Diese Geräte zeichneten alle zwei Minuten Wassertiefe, Temperatur und Lichtverhältnisse auf. Aus den Lichtdaten ließen sich Sonnenaufgang und -untergang und damit die genaue Position der Tiere ermitteln. Nach 650 Tagen lösten sich die Fahrtenschreiber, stiegen zur Wasseroberfläche auf und sendeten ihre gesammelten Daten über Satellit zu den Forschern.

"Ich war von den Ergebnissen völlig überrascht", erinnert sich Burney Le Boeuf von der University of California in Santa Cruz. "Wir hatten erwartet, dass sich die Weißen Haie als Küstentiere in der Nähe von Südkalifornien paaren und dann einige hundert Meilen nordwärts ziehen, um Seehunde zu jagen." Doch die Realität sah anders aus: Im Herbst hielten sich die Tiere zwar noch in Küstennähe auf, im Winter packte sie aber das Reisefieber. Drei Haie schwammen weit hinaus und verbrachten mehrere Monate auf der offenen See des subtropischen Ostpazifiks; einer erreichte sogar das 3800 Kilometer entfernte Hawaii.

Dabei tauchten die Tiere auf Tiefen bis zu 700 Metern hinab und verbrachten dort die längste Zeit des Tages. Auch dieses Verhalten kommt für die Meeresbiologen überraschend, vermuteten sie bisher die Raubfische doch eher in den oberen, wärmeren Wasserschichten. Haie sind allerdings wie Thunfische aufgrund ihrer Größe zu einer gewissen Temperaturregulation in der Lage und können sich daher auch bei den niedrigen Wassertemperaturen in der Tiefe noch aktiv bewegen und nach Beute jagen, vermutet Block.

Offensichtlich müssen die Meeresbiologen umdenken: Ein Bewohner der Küstengebiete verwandelt sich in einen Jäger des Freiwassers. Was die Tiere dort draußen treiben – ob sie sich hier vielleicht zur Paarung treffen –, bleibt nach wie vor verborgen. Aber immerhin verfügen die Wissenschaftler jetzt über wichtige Daten, die sie für den Schutz der bedrohten Tiere benötigen. "Der erste Schritt, um ihr Überleben auf der Erde zu sichern", betont Block, "ist herauszufinden, wohin sie gehen."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.