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Raubtiere: Wenn der Lippenbär zuschlägt

Erstmals hat eine Studie zusammengefasst, wo welche Raubtiere angreifen - und warum. Am gefährlichsten ist es in Südasien, und Bären spielen eine große Rolle.
Lippenbär in Indien

»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«, schrieb der englische Philosoph Thomas Hobbes. Und angesichts der Gräueltaten, die wir uns gegenseitig antun, ist das sicher nicht von der Hand zu weisen. Dennoch fürchten sich viele Menschen fast noch stärker vor Raubtieren wie Wölfen, Bären oder anderen Fleischfressern, obwohl die Wahrscheinlichkeit, ihnen zum Opfer zu fallen, sehr gering ist. Eine Gruppe um Giulia Bombieri von der Conservation Biology Unit im italienischen Trient hat sich die Mühe gemacht, global auszuwerten, wie viele Attacken es von verschiedenen Raubtieren auf Menschen in den letzten Jahrzehnten gab, was sie ausgelöst haben könnte und wie viele davon tödlich endeten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten Bombieri und Co in »PLOS Biology«.

Insgesamt konnte das Team über 5000 Attacken aus den letzten 70 Jahren zusammentragen, zu denen es einigermaßen gesicherte Erkenntnisse gab. Zwölf Raubtierarten kristallisierten sich als die Hauptangreifer heraus, darunter mehrere Bärenarten, Wölfe, Kojoten, Löwen, Tiger, Pumas und Jaguare. Zudem unterschieden die Wissenschaftler nach der Art des Angriffs, sofern es dazu Daten gab, etwa ob es sich um eine gezielte Attacke zur Nahrungssuche handelte, eine versehentliche Begegnung mit zu nahem Kontakt oder ein Muttertier, das seine Jungen verteidigt oder sich durch anwesende Hunde provoziert fühlt.

Unter den untersuchten Großräumen erwies sich Südasien am gefährlichsten, wo die Hälfte der erfassten Angriffe erfolgte. In Südamerika hingegen war ihre Anzahl am kleinsten, obwohl dort mit Jaguar und Puma ebenfalls zwei potenziell gefährliche Katzenarten zu Hause sind. Insgesamt am tödlichsten erwiesen sich Angriffe, wenn sie zu Nahrungszwecken erfolgten. Dann starben mehr als 90 Prozent der betroffenen Menschen, wobei in absoluten Zahlen auch hier Südasien führt: Tiger, Wölfe und Leoparden machen hier zwar nur extrem selten gezielt Jagd auf Menschen, erbeuten diese jedoch, wenn sich die Gelegenheit bietet. In den Sundarbans-Mangroven von Indien und Bangladesch bilden Tiger tatsächlich eine große Gefahr für Menschen, die hier jagen, fischen oder sammeln. In den untersuchten afrikanischen Staaten sterben durch Nahrung suchende Raubtiere zwar weniger Menschen, allerdings kommen hier praktisch ausschließlich derartige Attacken vor.

Prinzipiell lasse sich sagen, dass solche Angriffe deutlich häufiger in ärmeren Ländern stattfinden, schreiben die Autorinnen und Autoren. In hoch entwickelten Staaten hingegen kommt es überwiegend zu Zwischenfällen, wenn Menschen Freizeitaktivitäten in der Natur nachgehen: Jogger wecken bei Pumas den Jagdinstinkt, Spaziergänger mit Hund lösen bei Wölfen Revierverhalten aus, Wanderer geraten versehentlich zwischen Bärenmütter und ihren Nachwuchs oder überraschen Bärenmännchen, während diese durch den Wald streifen. Wiederum vor allem in Südasien sorgt dieser letzte Fall für zahlreiche Zwischenfälle mit Schwarz- und Lippenbären. Gezielte Attacken durch hungrige Bären bildeten dagegen eine ganz kleine Gruppe.

An den Zwischenfällen in Europa sind ebenfalls überwiegend Bären beteiligt (in diesem Fall Braunbären), während Wolfsangriffe extrem selten sind und meist durch verwundete Tiere geschehen oder wenn Hunde mit im Spiel sind. Das gilt auch für Regionen, in denen beide Arten häufiger sind. Bombieri und Co bestätigen damit eine frühere Studie, die sich den Angriffen von Raubtieren auf Menschen in Nordamerika und Europa gewidmet hatte. Demnach war die Zahl der registrierten ernsten Vorfälle zwischen Menschen und Wildtieren kontinuierlich gestiegen, doch hatte riskantes menschliches Verhalten fast die Hälfte der Angriffe überhaupt erst ausgelöst, etwa das Anfüttern von Fleischfressern, frei laufende Hunde oder wenn Jäger angeschossene Bären und Wölfe suchten.

Die hohe Anzahl an Attacken in Südasien wiederum hängt mit der besonderen Situation dort zusammen: Viele Menschen leben in engem Kontakt mit wilder Natur, in denen noch Tiger, Bären und Wölfe vorkommen. Auf der Suche nach Brennholz, wildem Honig oder Kräutern geraten sie versehentlich mit den Wildtieren zusammen oder werden gezielt als Beute gejagt – ein Risiko, das mit dem Bevölkerungswachstum in diesem Teil Asiens, aber auch in Afrika noch zunehmen wird.

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