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Raumfahrt: Der Plan hinter Chinas Mondmission

China holt ein Stück Mond auf die Erde. Die Mission Chang'e 5 leistet jedoch noch weit mehr: Sie untermauert Chinas Status als Weltmacht, die im Weltall noch sehr viel vorhat.
Der Mond

Update, 17. Dezember 2020, 7 Uhr: Die Rückkehrkapsel der chinesischen Mondsonde Chang'e-5 ist am Abend des 16. Dezember erfolgreich gelandet. Gegen 18.49 Uhr MEZ setzte die Kapsel sanft auf der schneebedeckten Steppe in der Inneren Mongolei auf. Bald darauf unterzog die Bergungscrew sie einer ersten Inspektion. Demnach gilt die Kapsel als intakt. Sie wird nun geborgen und ihre Fracht von bis zu zwei Kilogramm Mondgestein unter Reinraum-Bedingungen untersucht. Mit der Rückkehr der Probenkapsel ist es China als drittem Land überhaupt gelungen, Bodenproben vom Mond zur Erde zu transportieren. Bisher hatten das nur die USA (zuletzt 1972) und die ehemalige UdSSR (zuletzt 1976) geschafft.

Wer an einem Ort zum ersten Mal eine Flagge hisst, markiert sein Revier. Das wissen die Verantwortlichen der chinesischen Mondmission Chang'e-5. Daher haben die Planer dafür gesorgt, dass ihnen nicht das gleiche passiert wie den Astronauten von Apollo 11. Damals hatte Neil Armstrong Probleme, den Flaggstock in den Regolith zu rammen. Und dann fiel er auch noch um, als die Rückkehrfähre mit den Astronauten wieder gen Weltall abhob.

Ein ganzes Jahr haben die chinesischen Ingenieure deswegen an einer Fahne getüftelt, welche die extremen Temperaturwechsel von Mondtag und -nacht sowie die Weltraumstrahlung längere Zeit überstehen sollte. Mit Erfolg: Das nur 12 Gramm schwere Nationalfähnchen klappte nach der Probennahme am 3. Dezember wie vorgesehen auf der Landefähre aus und zeigt zukünftigen Generationen nun an, dass China 2020 einen bedeutenden Schritt machte, um mit den großen Raumfahrtnationen gleichzuziehen.

Chinas Flagge auf dem Mond

Das rote Hightech-Symbol verweist zudem im Kleinen auf das, was die Chinesen im Großen beabsichtigen. Das Reich der Mitte möchte mit der Mission nicht weniger als ihren Weltmachtstatus demonstrieren. Zugleich hat das Land wichtige technologische Hürden auf dem Weg zu einer bemannten Mondlandung in den 2030er Jahren genommen.

Mission unter Zeitdruck

Aber der Reihe nach: Die gut acht Tonnen schwere und acht Meter hohe Sonde, benannt nach der chinesischen Mondgöttin Chang'e, war am 23. November 2020 auf einer Langer-Marsch-5-Rakete gestartet. Nach fünf Tagen erreichte das vierteilige Raumfahrzeug den Mond. Im Mondorbit koppelte ein Lander ab, der am 1. Dezember auf der erdzugewandten Seite aufsetzte.

Unmittelbar nach der autonomen Landung begann der Roboter, Proben zu sammeln, angepeilt waren bis zu zwei Kilogramm. Die Ingenieure hatten dafür nur 24 Stunden eingeplant, da sie befürchteten, die Probeninstrumente könnten sich durch die Hitze des Mondtages zu sehr ausdehnen.

Einen Teil der Proben baggerte die Sonde mit einer Schaufel von der Oberfläche. Den anderen zog sie sich aus einem zwei Meter tiefen Bohrloch. Zwei Stunden früher als geplant hob das Rückkehrmodul wieder Richtung Mondorbit ab. Dort dockte es in einem Rendezvous-Manöver an den wartenden Orbiter und startete zurück zur Erde. Es wäre die erste vollständig geglückte Probenrückkehrmission, seit die sowjetische Sonde Luna 24 1976 das bislang letzte Stück Mond zur Erde brachte.

»Nach der Rückkehr wird die Kapsel in einem Prozessier-System geöffnet und die Probe darin aufbereitet«, erzählt Yangting Lin vom Institut für Geologie und Geophysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Er wird voraussichtlich einer der Geologen sein, die das Material untersuchen werden. »Diese Vorbehandlung dauert etwa drei bis sechs Monate. Danach erwarten wir die Proben zur Untersuchung.«

Warum ist der Mond an der Landestelle so jung?

China gehört neben den USA und Russland zu einem exklusiven Klub von Ländern, die sich ein Stück vom Mond auf die Erde geholt haben. Bisher besaß das Riesenreich lediglich eine winzige Apollo-Mondprobe, die US-Präsident Nixon 1970 während eines Staatsbesuchs als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Chang'e-5 ist aber nicht nur für die chinesische Wissenschaft von Bedeutung. Mit dem Material lassen sich womöglich auch wichtige Fragen zur Entwicklung des Mondes klären.

Das erste Rätsel ist das junge Alter der Landestelle selbst. Die Sonde steuerte den Oceanus Procellarum, den Ozean der Stürme, an. Er ist von der Erde aus als dunkle Fläche im Nordwesten der Mondscheibe zu sehen. Diese Maria genannten Tiefebenen sind von basaltischen Ergussgesteinen bedeckt. Im Bereich der Landestelle flossen sie vor nur 1,3 Milliarden Jahre über die Oberfläche – Milliarden Jahre später als an anderen Orten.

Chinas Mission und Europas Beitrag | Mehrere Kontrollzentren der ESA haben dabei geholfen, den Kontakt zu Chang'e 5 während der gesamten Missionsdauer zu halten.

Bisher ließ sich das Alter der Oberflächengesteine nur indirekt bestimmen, indem die Wissenschaftler die Anzahl der Einschlagskrater zählten und das Ergebnis mit dem direkt gemessenen Alter von Apollo-Proben kalibrierten. »Wir werden das Alter nun präzise mit Hilfe von Isotopenchronologie bestimmen«, sagt Lin. Daneben wolle man die Ergebnisse mit mineralogischen Untersuchungen kombinieren, um zu verstehen, warum die vulkanischen Eruptionen in dieser Region so lange andauerten, während der größte Teil des Magmas auf dem Mond schon vot drei Milliarden Jahren erstarrte.

Viele Wissenschaftler nehmen an, dass ein relativ hoher Gehalt an radioaktiven Elementen wie Uran und Thorium eine Rolle spielte. Diese hätten derart viel Zerfallswärme produziert, dass der Vulkanismus lange anhalten konnte. Die Geochemie des Mondbodens an der Landestelle von Chang'e-5 könnte dabei helfen, die Theorie entweder zu erhärten oder zu entkräften.

Schon das nächste Ziel im Blick

Doch auch nach Auswertung der Ergebnisse werden laut Lin viele Fragen offen bleiben. »Wir haben noch keine Proben von der erdabgewandten Seite und vom Südpol. Das ist aber wichtig, um beispielsweise den Unterschied von erdzugewandter und erdabgewandter Seite zu verstehen.«

Vermutlich müssen Lin und seine Kollegen nicht allzu lang auf die erforderlichen Missionen warten. Bisher hat sich das chinesische Mondprogramm keine Schwächen geleistet. 2004 überhaupt ins Leben gerufen, sind bisher sieben Sonden und Lander zum Mond geflogen, allesamt erfolgreich. Der bisherige Höhepunkt des Programms war 2019 die sanfte Landung der Vorgängersonde Chang'e-4 mit einem Rover auf der erdabgewandten Mondseite.

Drei weitere Chang'e-Missionen sollen noch folgen, unter anderem zum Südpol. Im Anschluss ist eine unbemannte und in den 2030er Jahren schließlich eine bemannte Forschungsstation geplant – neben laufenden Marsmissionen und einer Raumstation im erdnahen Orbit. Das ist ambitioniert.

Chinesische Astronauten auf dem Mond

»Ich habe keine Bedenken, dass die Chinesen das können«, sagt Maurizio Falanga, bis 2019 für sieben Jahre Exekutivdirektor am International Space Science Institute in Peking. »Sie haben alles gemacht, was dafür nötig ist. Sie verfügen über Kommunikation per Satellit für die Rückseite des Monds. Sie beherrschen das Docking und sind weich gelandet. Das ist nötig, wenn man Leute an Bord hat. Und sie haben Astronauten, die gewohnt sind, im Raum zu leben. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Kosten.«

Laut Falanga kosten die Chang'e Missionen 2 bis 6 zwar umgerechnet etwa 3,2 Milliarden Euro. Doch habe sich das Raumfahrtbudget Chinas in den vergangenen zehn Jahren als stabil erwiesen. Außerdem: Für westliche Verhältnisse ist das angesichts der anspruchsvollen Missionen nicht viel. »Man kann das Budget der chinesischen Mondmissionen nicht mit dem der Amerikaner oder Europäer vergleichen. Wir geben am meisten Geld für Löhne aus. In China sind die Löhne so niedrig, und gleichzeitig haben sie einen großen Pool an Ingenieuren.«

Allerdings kommt China noch nicht ganz ohne westliche Unterstützung aus. Um die Position des Fahrzeugs während kritischer Phasen des Flugs zu bestimmen, half die ESA mit Daten von Bodenstationen in Französisch-Guyana und dem spanischen Maspalomas auf Gran Canaria aus. »Man darf nicht vergessen, das wissenschaftliche Programm hat erst 2011 angefangen. Man kann in neun Jahren nicht einfach von null auf 100 fahren«, sagt Falanga. Er findet, dass die Chinesen intelligent vorgehen: »Sie wollen Kosten und Technologie teilen – aber unter eigener Führung.«

Dabei ist es kein Zufall, dass ausgerechnet der Erdtrabant im Zentrum der chinesischen Raumfahrt steht. »In der chinesischen Kultur hat der Mond große Bedeutung«, sagt der nächste deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer, der 2016 an einem Astronautentraining in China teilnahm. »Es gibt das Mondfest, den Mondkuchen und einen Mondfeiertag in China. In alten Zeiten wurde er als Medium gesehen, um miteinander zu kommunizieren. Chinesen fanden im Gedanken Trost, dass er eine Verbindung herstellt, wenn getrennt lebende Familienmitglieder zur gleichen Zeit zum Mond hochschauen.«

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