Raumfahrtmedizin: Die ISS ist nicht dreckig genug

Immer wieder haben Astronautinnen und Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS mit hartnäckigen Hautausschlägen, ungewöhnlichen allergischen Reaktionen oder einer verstopften Nase zu kämpfen. Das Leben in der Schwerelosigkeit, der Stress eines monatelangen Aufenthalts im All sowie die erhöhte Strahlenbelastung gehen nicht spurlos an den körpereigenen Abwehrkräften vorüber. Ein Team um den Mikrobiologen Rob Knight von der University of California hat einen weiteren Verdächtigen für das geschwächte Immunsystem der ISS-Besatzung ausgemacht: Sauberkeit. Das sterile Innere der ISS weist demnach eine geringe Vielfalt von Mikroben auf sowie einen Mangel an Mikroorganismen, mit denen Menschen auf der Erde von Natur aus in Kontakt kommen. Für ihre im Fachmagazin »Cell« veröffentlichte Studie verglichen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Mikrobenvielfalt auf der ISS mit dem Mikrobiom in verschiedenen Umgebungen auf der Erde.
Die 64. Besatzung der ISS, die von Oktober 2020 bis April 2021 auf der ISS gelebt und gearbeitet hat, schwang dafür die Wattestäbchen und sammelte 803 Proben von Oberflächen aus neun Modulen der Raumstation. Auf der Erde bestimmte Knights Arbeitsgruppe, welche Mikroben und welche Chemikalien in den Proben vorhanden waren. Dabei erwiesen sich Staphylokokken als häufigste Bakteriengattung auf der ISS. Viele Arten dieser Gattung besiedeln die menschliche Haut und die Schleimhäute und wurden somit ursprünglich von den Astronautinnen und Astronauten auf die ISS gebracht. In allen Modulen konnten die Forschenden Rückstände von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln nachweisen.
Dieses Mikrobiom der ISS verglich die Forschungsgruppe anschließend mit verschiedenen menschlichen Lebensräumen auf der Erde, beispielsweise mit Häusern in ländlichen und städtischen Regionen in Südamerika und Finnland sowie mit Büroräumen und Krankenhäusern. Je industrialisierter, urbanisierter oder isolierter eine solche von Menschen gebaute Umgebung ist, desto geringer ist dort die Vielfalt an nachweisbaren Mikroorganismen. Laut der Analyse der mikrobiellen Gensequenzen befindet sich die ISS in Sachen Artenvielfalt am extremen Ende des sterilen Spektrums. Die mikrobiellen Gemeinschaften auf der Raumstation ähneln denen auf Isolationsstationen in Krankenhäusern oder von der Außenwelt abgeschirmten Habitaten für Simulationen von Langzeitaufenthalten auf dem Mars.
Was auf der ISS hingegen fehlt, sind Mikroben, die in Gewässern oder Böden vorkommen und mit denen Menschen auf der Erde natürlicherweise in Berührung kommen. Auch in dieser Hinsicht setzt die Raumstation den irdischen Trend fort, denn je stärker eine von Menschen gebaute Umgebung von der Umwelt abgeschirmt ist, desto weniger dieser Mikroben tauchen in dort entnommenen Proben auf. Den Fachleuten zufolge ist dieser Mangel an nützlichen Mikroben im Weltraum ein ernst zu nehmendes Problem. Immer mehr Daten deuten auf einen Zusammenhang zwischen chronisch-entzündlichen Erkrankungen und einem verringerten Kontakt zu jenen nützlichen Mikroben hin.
Ein Weltraum-Mikrobiom für die Zukunft der Raumfahrt
Die geringe mikrobielle Vielfalt, der Mangel an nützlichen Mikroben sowie der starke Einsatz von Desinfektionsmitteln auf der ISS könnten somit suboptimal für das menschliche Immunsystem sein, schreibt das Forschungsteam. Das ist nicht nur eine bedeutsame Erkenntnis für die ISS, die sich dem Ende ihrer Betriebsdauer nähert, sondern auch für künftige Weltraummissionen. Hier werden sich Menschen ebenfalls monate- oder gar jahrelang im All aufhalten. Der Lösungsvorschlag der Fachleute lautet nicht, die Hygiene komplett über Bord zu werfen. Stattdessen schlagen sie vor, auf Weltraumstationen oder in Raumschiffen mikrobielle Ökosysteme zu erschaffen, die auch auf der Erde vorkommen – zum Beispiel indem nützliche Mikroben und die Böden, in denen sie leben, kontrolliert in diesen bislang so sterilen Umgebungen angesiedelt werden.
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