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21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: Gesund bleiben im All

In den 1970er Jahren dachte man noch, Menschen könnten allenfalls einige Wochen im Weltall überleben. Heute bleiben Astronauten bis zu einem Jahr auf der Internationalen Raumstation. Eine Reise zum Mars stellt die Medizin dennoch vor bisher ungelöste Aufgaben.
Virgin Spaceship Unity (VSS Unity) über der Mojave-Wüste

Wir alle warten seit Jahren gespannt auf kommerzielle Suborbitalflüge, wie sie etwa Virgin Galactic und andere Firmen schon bald anbieten wollen. Dabei steigt ein Raketenjet bis zur Grenze des Weltraums in 100 Kilometer Höhe auf. Von dort aus können Passagiere bereits deutlich die Krümmung der Erde erkennen und einige Minuten Schwerelosigkeit erleben. Das Vergnügen wird je nach Anbieter zwischen 30 Minuten und ein paar Stunden währen und anfangs etwa 100 000 bis 250 000 US-Dollar kosten. Das klingt nach viel Geld. Aber es ist nur ein Bruchteil jenes zweistelligen Millionenbetrags, den ein echter Orbitalflug kostet, bei dem man die Erde umrundet.

Gut möglich, dass in einigen Jahren hunderte Menschen pro Jahr in den erdnahen Weltraum fliegen. Letztlich sind Suborbitalflüge auch für Wissenschaftler interessant, denn sie bieten hervorragende Möglichkeiten für material- und biowissenschaftliche Forschung. Aus ärztlicher Sicht gleicht die Stippvisite im erdnahen Weltall einer besonders fordernden Kirmesattraktion: Es sollten keine Personen mitfliegen, die ein hohes medizinisches Risiko für Notfälle mitbringen, die die turbulente Reise psychisch nicht vertragen oder denen leicht übel wird. Aber darum werden sich die kommerziellen Anbieter vermutlich selbst kümmern.

Gut möglich, dass in einigen Jahren hunderte Menschen pro Jahr in den erdnahen Weltraum fliegen

Jenseits der Suborbitalflüge warten jedoch große Herausforderungen auf die Weltraummedizin. Das beginnt bei Flügen in den Erdorbit. Um dorthin zu gelangen, muss man etwa 400 Kilometer Höhe erreichen und dabei mit 28 000 Kilometern pro Stunde parallel zur Erdoberfläche fliegen. Dann "fällt" ein Raumschiff ohne weiteren Antrieb um die Erde. Insassen erleben dadurch permanente Schwerelosigkeit. Das Manöver ist deutlich anspruchsvoller als ein Suborbitalflug. Zum einen wegen des höheren Energiebedarfs und den leistungsfähigeren Raketen, die für den Start nötig sind; zum anderen müssen die Raumschiffe auch einen Schutz gegen die enorme Hitze mitbringen, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre durch Luftreibung entsteht.

Wenn der Hirndruck steigt

Der lange Aufenthalt in der Schwerelosigkeit verändert den Körper des Menschen. Mit den gesundheitlichen Folgen befasst sich die Weltraummedizin – und erlebt dabei immer wieder Überraschungen. Vor einigen Jahren beispielsweise klagten Astronauten, die sich monatelang auf der Internationalen Raumstation ISS aufgehalten hatten, über Sehprobleme. Einige von ihnen benötigten daraufhin deutlich stärkere Brillen.

Forschungsinstitut :envihab | In dem 3500 Quadratmeter großen Forschungsinstitut :envihab erforscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, was im Weltall mit dem menschlichen Körper passiert.

Inzwischen ist das Rätsel gelöst: Bei manchen der Raumfahrer war der Gehirndruck angestiegen. Ihr Denkorgan drückte dadurch auf die Augäpfel, und es kam zu Sehstörungen. Das kann noch viel schwerwiegendere Folgen haben. Betroffene können erblinden, eine Querschnittslähmung davontragen oder im schlimmsten Fall sogar sterben.

Bei manchem Astronauten war der Gehirndruck angestiegen – das Denkorgan drückte dadurch auf die Augäpfel, und es kam zu Sehstörungen

Aus diesem Grund gilt ein steigender Hirndruck momentan als das wichtigste medizinische Problem, das gelöst sein muss, bevor Menschen in Richtung Mars fliegen. Die Internationale Raumstation ist die ideale Testeinrichtung dafür. Inzwischen lassen die Raumfahrtagenturen ihre Astronauten dort bewusst bis zu einem Jahr arbeiten – das kommt der Reisedauer einer Marsmission schon recht nahe. Die Augen von ISS-Astronauten untersuchen Weltraummediziner seit einigen Jahren besonders intensiv. Da meist das rechte Auge stärker betroffen ist als das linke, liegt der Grund für den erhöhten Gehirndruck wahrscheinlich in einer gestörten Regulation der Hirndurchblutung. Vielleicht spielt aber auch die höhere Kohlendioxidkonzentration auf der Raumstation eine Rolle; das Gas kann die Durchblutung im Gehirn hemmen.

Weltraumtests auf der Erde

Das Problem zeigt jedenfalls, wie wichtig es ist, auch auf der Erde entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Die einzige Anlage, in der das derzeit möglich ist, steht seit 2013 auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. In den Laboren des ":envihab" können Wissenschaftler viele der Umweltbedingungen auf der ISS nachstellen, darunter den erhöhten Kohlendioxidgehalt in der Atemluft. Die NASA hat großes Interesse an der Anlage und beauftragt das DLR seit Jahren regelmäßig mit Studien. Dann liegen in den Räumen des :envihabs beispielsweise gesunde Probanden für Wochen und Monate auf einer zum Kopf hin gesenkten Liege. Dadurch wandert mehr Blut in Oberkörper und Kopf der Probanden, so wie es bei Astronauten in der Schwerelosigkeit der Fall ist. Wenn die Studienteilnehmer dann noch über einen längeren Zeitraum eine CO2-reichere Luft einatmen, lassen sich Veränderungen erforschen, die auch im Körper von Raumfahrern stattfinden. Und letztlich können Weltraummediziner testen, welche Form von Training und Ernährung am besten gegen diese Effekte hilft.

Was sich auf der Erde nicht richtig simulieren lässt, ist der Einfluss der kosmischen Strahlung. Außerhalb der schützenden Erdatmosphäre und des Erdmagnetfelds treffen viel mehr geladene Teilchen den Körper des Menschen. Die Partikel kommen zu einem guten Teil aus der Sonne. Andere stammen aus anderen Sternen oder gar fernen Supernova-Explosionen, die schwere Atomkerne mit gewaltiger Energie durch die Galaxie schießen. Sie werden im Vakuum nicht abgebremst, sondern können sich über Milliarden von Jahren im Weltall ausbreiten. Ein Teil derjenigen Partikel, die sich der Erde nähern, wird vom Erdmagnetfeld umgelenkt und bildet dann den Van Allenschen Strahlungsgürtel. Dieser stellt ebenfalls eine Gefahr für Astronauten dar.

Simulierte Schwerkraft | In einem Raum des :envihab schleudert eine Kurzarmzentrifuge Probanden im Kreis. Die Zentrifugalkraft könnte auf Weltraummissionen als künstliche Schwerkraft dienen und einige negative Effekte der Schwerelosigkeit mindern.

Die Intensität der kosmischen Strahlung variiert stark, und außerdem besteht sie aus verschiedenen Komponenten. All das macht es schwierig, die genaue Belastung für den Körper zu ermitteln. Fest steht jedoch, dass die Weltraumstrahlung gefährlich ist: Im Durchschnitt entspricht die tägliche Dosis auf der Internationalen Raumstation einer Jahresdosis auf der Erde. Fliegen Astronauten aus dem schützenden Erdmagnetfeld in Richtung Mars, dann verdoppelt sich die Belastung sogar noch. Raumfahrer bekommen dann also pro Tag so viel Strahlung ab wie auf der Erde in zwei Jahren! Auf dem Roten Planeten wären die Astronauten wieder etwas besser geschützt und täglich einer irdischen Jahresdosis ausgesetzt.

Tödliche kosmische Strahlung

Gegen den hochenergetischen Teil der Weltraumstrahlung schützt die Wand eines Raumschiffs kaum. Und bisher haben Wissenschaftler keinen anderen effektiven Schutz gefunden. Eine Möglichkeit wäre eine viele Meter dicke Schicht aus Wasser oder ein noch zu entwickelndes Material, dessen Atomgitter die Partikel aus dem All effektiv abbremst. Für die ersten Habitate auf Mond oder Mars böte sich noch eine andere Lösung an: Astronauten könnten in Höhlen leben, oder sie würden über der Siedlung eine meterhohe Schicht von Mond- beziehungsweise Marsgestein auftürmen. Damit ließe sich der Wohnbereich von der Weltraumstrahlung abschirmen.

Ein wirksamer Schutz ist auch deshalb nötig, weil die Sonne zu starken Eruptionen neigt. Dabei schleudert unser Zentralgestirn gewaltige Mengen an Materie ins Weltall. Diese Auswürfe lassen sich bislang nicht vorhersagen. Treffen sie ein Raumschiff oder Habitat, kann die Strahlenbelastung darin um mehr als das 1000-Fache ansteigen. Sie kann letztlich so hoch sein, dass Astronauten akut strahlenkrank werden und binnen Tagen oder sogar Stunden sterben. Zum Glück sind Sonneneruptionen extrem selten, und das Risiko, auf dem Weg zum Mars von solch einem Massenauswurf getroffen zu werden, ist sehr gering. Aber völlig ausschließen lässt es sich nicht.

Langfristig stellt die kosmische Strahlung somit sicherlich das größte Problem für die Gesundheit von Astronauten dar. Deshalb ist es aus medizinischen Gründen noch nicht vertretbar, Menschen auf dem Mars anzusiedeln, wie mancher auf der Erde immer mal wieder fordert. Wegen der technologischen Herausforderungen und der ungeklärten Finanzierung wird es ohnehin noch dauern, bis eine Reise zu unserem Nachbarplaneten Realität werden kann. Das müsste uns genügend Zeit lassen, um die medizinischen Herausforderungen besser zu bewältigen.

Die Folgen der Schwerelosigkeit

Aber selbst wenn etwaige Langzeitfolgen bekannt und beherrschbar sind, wird die Reise in den Weltraum den menschlichen Körper belasten. Zu Beginn der Schwerelosigkeit – so wie nach dem Raumflug – wird vielen Astronauten übel, manche müssen sich übergeben. Experten sprechen vom "space adaptation syndrome", dem Anpassungssyndrom an die Schwerelosigkeit. Ähnlich wie auf einem Schiff beim Wellengang müssen sich die Beschleunigungssensoren im Innenohr erst an die neue Situation gewöhnen und benötigen dafür mehrere Tage. Nach maximal einer Woche haben sich aber alle Astronauten an die Umgebung angepasst und genießen es, zu schweben. Nach der Landung steht allerdings erneut eine Umgewöhnung an: Vor allem beim Treppensteigen, Duschen (bei dem wir automatisch den Kopf schütteln) und bei schnellen Richtungswechseln müssen Raumfahrer nach ihrer Rückkehr für einige Tage vorsichtig sein.

Auch in anderer Hinsicht ist die Schwerelosigkeit eine Umstellung: Raumfahrer sind zwischen fünf und zehn Zentimeter größer als auf der Erde. Zum einen wird die Wirbelsäule nicht mehr durch die Schwerkraft zusammengestaucht. Zum anderen dehnen sich die Bandscheiben aus und füllen sich mit mehr Flüssigkeit. Das ist aber nicht für alle Astronauten eine Freude: Manche klagen über heftige Rückenprobleme und benötigen starke Schmerztabletten. Zum Glück gewöhnt sich der Körper mit der Zeit an die neue Umgebung. Zunächst dachten Mediziner übrigens, die Schmerzen wären typische Dehnungsschmerzen. Doch sie scheinen eher darauf zurückzugehen, dass die Rückenmuskulatur der Streckung entgegenarbeitet und sich irgendwann ein Muskelkrampf entwickelt.

Fitnesstraining im All

Bereits seit dem Beginn der bemannten Raumfahrt konzentriert sich die Raumfahrtmedizin darauf, negative Effekte der Schwerelosigkeit zu kompensieren. Dachte man in Zeiten von Skylab in den 1970er Jahren noch, dass es nie möglich sein würde, Menschen länger als für ein paar Wochen in die Schwerelosigkeit zu schicken, sind Astronauten inzwischen regelmäßig für sechs bis zwölf Monate auf der Raumstation. Manchmal kommen sie sogar fitter zurück, als sie es beim Start waren. Grund ist das professionelle Fitnessprogramm, das sie täglich absolvieren. Zentrale Bestandteile sind das Laufband, ein Fahrradergometer und das Training mit dem Resistive Exercise Device, einer Art Gewichthebevorrichtung.

Fitnesstraining auf der ISS | ESA-Astronaut Luca Parmitano trainiert auf einem Laufband in der Schwerelosigkeit. Astronauten auf der ISS müssen jeden Tag ein zweistündiges Fitnessprogramm absolvieren.

Auf der Raumstation funktioniert diese Form des Ausgleichs gut. Aber mit Blick auf interplanetare Reisen ist die Größe der Geräte ein Problem. Außerdem dauert das Fitnesstraining mehr als zwei Stunden täglich. Nicht alle Astronauten sind begeistert davon, jeden Tag so lange und intensiv trainieren zu müssen. Allerdings ist intensive körperliche Betätigung essenziell für die Gesundheit von Weltraumreisenden: Ohne tägliches Fitnesstraining schwinden Knochen und Muskeln.

Und dieser Schwund bringt ganz eigene Schwierigkeiten mit sich. Beim Knochenabbau gelangt beispielsweise Kalzium ins Blut und so in die Nieren. Dadurch steigt das Risiko der Bildung von Nierensteinen. Wenn sich diese im Harnleiter einklemmen, kann das zu extrem schmerzhaften Nierenkoliken führen – was leider in der Vergangenheit bei Astronauten schon öfter passiert ist. Speziell im Hinblick auf künftige Marsmissionen betrachten Experten die Bildung von Nierensteinen als ein weiteres großes Gesundheitsrisiko der bemannten Raumfahrt.

Die Europäische Raumfahrtagentur ESA und das DLR arbeiten seit Jahren an neuen Trainingsmethoden, die Menschen auch auf einem Marsflug fit halten könnten. Dafür müssen sie effektiv sein, nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, Spaß machen und keine komplexen Geräte erfordern – aber trotzdem helfen, Knochen, Kreislauffunktionen und Muskeln zu erhalten. Keine leichte Aufgabe. Ein viel versprechendes Konzept sind beispielsweise Kurzarmzentrifugen. In ihnen würden Astronauten mit dem Kopf im Zentrum gedreht. Durch die Zentrifugalkraft würde eine Ersatzschwerkraft auf den Körper der Astronauten wirken. Dadurch könnten sie leichtere Fitnessgeräte nutzen. Damit das Ganze mehr Spaß macht, könnten die Raumfahrer zudem eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen und in eine Computerumgebung eintauchen.

Kampf gegen Mikroben

Im Weltall passt sich auch das Immunsystem an die Schwerelosigkeit an. Leider in die falsche Richtung, denn es wird deutlich träger. Dieser Effekt tritt sofort ein, wenn Zellen schwerelos werden, und lässt sich in Laborversuchen reproduzieren. Bringt man beispielsweise Immunzellen in einem schnell rotierenden Klinostaten in künstliche Schwerelosigkeit, dann reagieren sie kaum noch auf Stimuli. Umgekehrt werden Zellen in einer Zentrifuge, in der sie einer erhöhten Beschleunigung ausgesetzt sind, sofort hochaktiv und reagieren äußerst aggressiv.

Bakterien hingegen fühlen sich in Schwerelosigkeit sehr wohl und vermehren sich meist schneller. Zudem bilden sie oft eine dickere Zellwand als auf der Erde, was sie widerstandsfähiger macht. Hinzu kommt, dass sich auf Oberflächen technischer Geräte Biofilme aus Bakterien und Pilzen bilden. Da diese Zellen im Weltall auch einer deutlich erhöhten Strahlung ausgesetzt sind, wächst die Gefahr von Mutationen, wodurch sie gefährlicher werden können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wieso Astronauten vor einem Weltraumflug in Quarantäne kommen: Sie sollen möglichst wenige krank machende Viren oder Bakterien mit an Bord nehmen.

Die Psyche muss mitspielen

Bei einer Reise zum Mars wäre die psychische Gesundheit der Astronauten ebenfalls ein wichtiger Faktor. Nach einiger Zeit würde die Erde zu einem winzigen, sternähnlichen Punkt verblassen. Vermutlich werden sich Menschen, die ihre Heimat in so großer Ferne sehen, schnell einsam und allein fühlen. Eine lange interplanetare Reise wird womöglich lange Phasen der Langeweile mit sich bringen, es sei denn, das Arbeitsprogramm der Raumfahrer ist so straff, dass dafür keine Zeit bleibt. Einige Wissenschaftler fordern deshalb, Marsreisenden spannende Aufgaben zu geben, die ihre vollkommene Aufmerksamkeit erfordern und keine Zeit zum Grübeln lassen.

Auch Konflikte zwischen Crewmitgliedern könnten zum Problem werden, zumal die Astronauten sie teilweise wohl ohne Hilfe der Bodenstation bewältigen müssten. Dasselbe gilt für etwaige Notsituationen. Darum legen die Raumfahrtagenturen bereits jetzt großes Augenmerk auf die Auswahl geeigneter Astronauten. Bei den Ausschreibungen bewerben sich auf wenige Stellen stets tausende Interessenten. Von denen, die die formellen Voraussetzungen erfüllen, werden dann die meisten nicht auf Grund medizinischer Kriterien ausgesiebt, sondern durch mentale Leistungstests und psychologische Auswahlverfahren. Die strenge Auswahl stellt sicher, dass beim Beginn der viele Millionen Euro teuren Astronautenausbildung ein guter Teil der psychologischen Betreuung bereits getan ist. Während des Trainings legen die Ausbilder dennoch speziellen Wert auf Teamarbeit und psychologische Schulungen.

Der Astronautenberuf ist ein Knochenjob

Schließlich bringt der Beruf des Astronauten viele Anforderungen mit sich: Interessenten müssen ihre eigene Karriere aufgeben, lange bevor sie wissen, ob sie wirklich ins All fliegen werden. Später werden sie dann allenfalls phasenweise Zeit im Weltraum zubringen. Den Großteil ihres Berufslebens werden sie auf der Erde sein und häufig in Raumfahrtagenturen administrative Aufgaben erledigen. Generell müssen sie als Astronaut ständig Dinge tun, die andere ihnen vorschreiben. Insbesondere während der Raumflüge sind Astronauten sehr fremdbestimmt und müssen das akzeptieren. Trotzdem heißt es, stets einen kühlen Kopf zu bewahren und in brenzligen Situationen auch eigenverantwortlich zu handeln.

Solche Notfälle können jede Weltraummission im Prinzip scheitern lassen. Je weiter ein Raumschiff von der Erde entfernt ist, desto länger braucht ein Funkspruch zur Erde. Auf dem Mars müssten Astronauten mitunter bis zu 40 Minuten auf eine Antwort der Bodenstation warten. In einer Notsituation kann das womöglich zu lange sein. Letztlich müssen sich die Astronauten also selbst helfen und im Training entsprechend darauf vorbereitet werden. Bei manchen Problemen könnte auch eine künstliche Intelligenz Hilfestellung leisten, etwa indem sie bei einer Verletzung medizinische Ratschläge gibt.

Überwintern in der Antarktis | Der Aufenthalt auf Forschungsstationen wie dem "Station Dome Concordia" in der Antarktis ähnelt in mancher Hinsicht einer Reise zum Mars: Während des Polarwinters ist die Besatzung monatelang auf sich gestellt.

Ebenso könnten 3-D-Drucker den Astronauten der Zukunft nützlich sein: Auf der Internationalen Raumstation sind sie mittlerweile ein großes Forschungsgebiet, das vielleicht eines Tages eine Industrialisierung des Alls ermöglichen wird. Denn irgendwann könnten die Geräte Bauteile direkt in der Schwerelosigkeit herstellen. Weltraumtechnik müsste dadurch nicht mehr den Beschleunigungen und Vibrationen eines Raketenstarts standhalten, was viele neue Optionen schaffen würde, etwas für den Satellitenbau. Und bei einer bemannten Marsmission könnte die Besatzung je nach Bedarf Hilfsmittel und Werkzeuge herstellen.

In Anbetracht der derzeitigen Entwicklungen geht die Raumfahrt also spannenden Zeiten entgegen: Zum einen werden private Anbieter im Lauf der kommenden zehn Jahre Touristen ins Weltall bringen. Zum anderen bereiten sich Raumfahrtagenturen weltweit auf Flüge vor, die über den Erdorbit hinausgehen sollen und Menschen zum Mond oder gar zum Mars bringen werden. Die Weltraummedizin stellt das vor eine große Herausforderung. Spezialisten arbeiten aber bereits intensiv an Lösungen für die bestehenden medizinischen Probleme, damit Menschen die Schwerkraft der Erde auch dauerhaft hinter sich lassen können.

Prof. Dr. Rupert Gerzer ist Prorektor an der Universität Skoltech in Moskau. Von 1992 bis 2015 leitete er das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln.

(Beitrag zum 21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: »Überleben im Weltraum – Auf dem Weg zu neuen Grenzen«, 24. Mai 2017)

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