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News: Rechner machen Börsenprofis Konkurrenz

Die Arbeitsgruppe des Clausthaler Mathematikers Dr. Michael Breitner hat durch den Einsatz neuronaler Netze die Optionspreisfindung um bis zu 50 Prozent verbessert. Die Preismodelle wurden bereits mit gutem Erfolg für Calls auf Aktien erprobt.
"Ob long, ob short, das Geld ist fort!", so heißt es oft über Optionen und andere Finanzderivate, die von manchen immer noch als Spielbälle der Spekulanten angesehen werden. Dr. M. H. Breitner, Dozent für Mathematik und Wirtschaft an der TU Clausthal, erforscht mit seiner Arbeitsgruppe neuartige empirische Optionspreismodelle basierend auf künstlichen neuronalen Netzen. Und ihre Modelle zeigten Erfolg: Für die Commerzbank, die Dresdner Kleinwort Benson, beide Frankfurt, und die Nord/LB, Hannover, wurden empirische Preismodelle für Calls auf BASF Aktien erprobt. Dr. Schäfer, Dresdner Kleinwort Benson, erwartet für das Hedging eine jährliche Kostensenkung von verkauften BASF Calls um gut 50 Prozent.

Wozu dienen nun Optionen überhaupt? Ein Beispiel: Die Lufthansa bestellt im Mai 1998 zwei neue Boeing Flugzeuge in den USA zum Preis von 460 Millionen US Dollar. Da erst bei Lieferung Ende 1999 bezahlt wird, kann die Lufthansa auf Grund des Wechselkursrisikos den DM Kaufpreis nicht kalkulieren. Der Kauf von 460 Millionen Dollar im Mai 1998 für ca. 1,78 DM/Dollar löst das Problem nur unbefriedigend, da viel kreditfinanziertes Kapital gebunden wird.

Besser ist, Dollar Kaufoptionen bis Ende 1999 mit Basispreis 1,75 DM/Dollar für 9,23 Pfennig je Dollar zu erwerben. Die Kaufoption dient also als Versicherung gegen einen steigenden Dollar. Fällt der Wechselkurs bis Ende 1999 unter 1,75 DM/Dollar, kann die Lufthansa 460 Millionen Dollar am Markt billiger kaufen und auch noch Millionen sparen.

Hauptzweck der Finanzderivate ist es also, Gewinnchancen und Verlustrisiken zwischen Handelspartnern so zu verteilen, daß der Käufer eine klare Kalkulationsbasis für einige Jahre im Voraus hat, zugleich aber nicht übervorteilt wird. Und der Anbieter der Option, die Bank, kann und will natürlich kein Samariter sein, sondern gleichfalls einen Gewinn erzielen. Was ist dann aber ein fairer Preis? Welcher Optionspreis ist angemessen?

Theoretische Optionspreismodelle sind in aller Munde seit die Amerikaner Myron Scholes und Robert Merton den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1997 erhalten haben. Den Grundstein legen Scholes, Merton und der 1995 verstorbene Fischer Black Anfang der siebziger Jahre in Chicago. Ihre theoretischen Modelle, die einfach handhabbar und schnell zu berechnen sind, haben die Optionspreisfindung revolutioniert. Modifiziert sind diese noch heute up to date.

Der Optionspreis hängt von Basispreis, Marktpreis des Basisobjektes, Restlaufzeit der Option, Kapitalanlagezins und zukünftiger Volatilität, d. h. der Stärke zukünftiger Preisschwankungen des Basisobjektes um einen Trend, ab. Die zukünftige Volatilität, als einzige Eingabegröße unbekannt, wird so angenommen, dass die theoretischen Modelle den Marktpreis wiedergeben. Beruhend auf Vereinfachungen und unrealistischen Annahmen sagen diese Modelle Optionspreisveränderung abhängig von den Eingabegrößen nur ungenau vorher. Insbesondere das Hedging der Emissionshäuser von Optionsscheinen, d. h. der Aufbau von Gegenpositionen zu verkauften Optionen zur Neutralisierung des Risikos, erfordert möglichst genaue Optionspreismodelle. Dies mußte 1997 auch die Citibank, Frankfurt, als marktführendes Emissionshaus schmerzlich erfahren. Durch schlechtes Hedging wurden in wenigen Monaten mehr als 100 Millionen DM verloren.

In mehreren Forschungsprojekten zeigt der Clausthaler Mathematiker Dr. Breitner mit seiner Arbeitsgruppe, daß empirische Modelle korrekte Optionspreise aus sehr, sehr vielen Marktpreisen verschiedener Optionen wesentlich genauer lernen können. Notwendiges Know-how aus Mathematik, Informatik und Wirtschaftswissenschaften wird dabei zum wirtschaftswissenschaftlichen Rechnen verschmolzen. Tausende von Marktpreisen über Jahre von den weltweiten Börsen fließen in die Modellrechnungen der neuronalen Netze ein, um ein genaues Optionspreismodell für nur ein Basisobjekt zu erhalten. Die Zeitreihen werden der Datenbank des Kooperationspartners Market-Maker GmbH, Kaiserslautern, entnommen.

Wie funktioniert ein neuronales Netz? Ein Kind lernt Sprechen durch Vorsprechen der Eltern, Zuhören und Nachsprechen. Die Eltern korrigieren das Kind. Genauso lernen empirische Optionspreismodelle mit Netzen in Rechnern. Das Netz, im Rechner eine veränderbare Beziehung zwischen Ein- und Ausgabegrößen, versucht die Marktpreise durch Anpassung der Netzparameter gut wiederzugeben. Eingabegrößen sind nun Basispreis, Marktpreis des Basisobjektes, Restlaufzeit und Handelstag. Annahmen über zukünftige Einflußgrößen entfallen. Im Gegensatz zu Kindern lernen leider nur wenige künstliche neuronale Netze erfolgreich. Da das Training mathematisch sehr schwierig ist, müssen tausende von Netzen trainiert werden um ein gutes Netz zu erhalten. Sehr schwierig ist es auch, Aufbau und Art der Netze geeignet zu wählen. Die extrem langen Rechenzeiten sind nur mit mathematisch ausgeklügelten Lernverfahren und Höchstleistungsrechnern zu bewältigen.

In Clausthal wird dazu im Forschungsprojekt "Neurorechnen" der Neurorechner SYNAPSE 2 von Siemens Nixdorf eingesetzt. Mathematische Herausforderung ist, daß der SYNAPSE 2 nur einen Bruchteil der Rechenoperationen eines Taschenrechners kennt und auch noch weniger genau rechnet. Für seinen deswegen recht geringen Preis bietet er aber eine große Rechenschnelligkeit. Der SYNAPSE 2 kann pro Sekunde mehr als 1 Milliarde Zahlen multiplizieren und addieren. Der Pferdefuß ist, daß alle Rechenoperationen zum Training der Netze durch die wenigen verfügbaren des SYNAPSE 2 ausgedrückt werden müssen.

Im Forschungsprojekt Wirtschaftswissenschaftliches Parallelrechnen werden die empirischen Optionspreismodelle auf einem Verbund von mehr als 40 IBM Workstations berechnet. Eingesetzt und weiterentwickelt werden mathematisch ausgereifte Optimierungsprogramme vom Konrad Zuse Zentrum, Berlin, und der University of California, San Diego. In der Regel gelingt es bereits heute, ein neues und gutes Optionspreismodell für ein Basisobjekt über Nacht zu erstellen. Selbst gute empirische Modelle verlieren täglich an Genauigkeit, da der Handelstag Eingabegröße ist und aus der Vergangenheit gelernt wird. Erfahrungsgemäß müssen diese Modelle deshalb mehrmals wöchentlich aktualisiert werden.

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