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Zytologie: Rehabilitiert nach über hundert Jahren

Manche Entdeckungen brauchen ihre Zeit, bis sie gewürdigt werden. Nicht anders erging es den von Walther Flemming vor über hundert Jahren bei der Zellteilung entdeckten Körperchen, die bisher lediglich als Abfallprodukt der Zelle angesehen worden sind. Doch ohne diesen "Müll" läuft gar nichts.
Flemming-Körper
Ganz sicher war sich Walther Flemming nicht, was er von den Strukturen, die er unter dem Mikroskop sah, zu halten hatte. Der Kieler Anatom hatte mit basischen Teerfarbstoffen experimentiert und damit Zellkerne angefärbt. In seiner Verlegenheit bezeichnete er die färbbaren Bestandteile nach dem griechischen Wort chroma für Farbe als "Chromatin" – und prägte damit einen grundlegenden Begriff der Genetik.

1882 schilderte er bei tierischen Zellen detailliert die einzelnen Phasen der Kernteilung, die er "Mitose" nannte: Das Chromatin verdichtet sich zu den Chromosomen, die über die Mitosespindel auf die entstehenden Tochterzellen verteilt werden. Unmittelbar danach – wenn die Kernteilung also abgeschlossen ist – beginnt die eigentliche Zellteilung oder Zytokinese, bei der das Zytoplasma mitsamt der einzelnen Zellorganellen aufgeteilt wird und sich die Mutterzelle schließlich in der Mitte durchschnürt. Dabei verdichtet sich die Kernspindel und löst sich nach und nach auf – bis auf wenige Reste in der Teilungsfurche, die Flemming 1891 beschrieb.

Diese als Flemming-Körper bezeichneten Gebilde, die nur kurz auftauchen und nach Abschluss der Teilung ganz verschwinden, wurden von späteren Forschergenerationen nicht weiter beachtet. Schließlich schien es sich dabei um nichts anderes zu handeln als verdichtete Mikrotubuli – jene Proteinfasern, aus denen die Mitosespindel besteht –, die schlicht und einfach bei der Furchung übrig geblieben sind. Mit anderen Worten: Müll.

Flemming-Körper | Sich teilende Eizellen aus dem Ovar eines Hamsters: Grün markiert sind isolierte sowie zwischen den Zellen liegende Flemming-Körper.
Vergleichen Sie hierzu auch das Video unter "Medien", das eine fehlgeschlagene Zellteilung eines Nematoden-Embryos zeigt, bei dem bestimmte Proteine der Flemming-Körper deaktiviert worden sind.
Doch manche Forscher meldeten Zweifel an der Müll-Hypothese. Darunter auch Ahna Skop, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley dem Geheimnis der rätselhaften Strukturen auf die Schliche kommen wollte. Zusammen mit ihren Kollegen gelang es der Zellbiologin Flemming-Körper aus sich teilenden Hamster-Eizellen zu isolieren.

Die nachfolgende Analyse zeigte, dass die Flemming-Körper aus nicht weniger als 500 verschiedenen Proteinen besteht. Doch sind diese Proteine für die Zellteilung noch wichtig?

Diese Frage lässt sich klären, wenn jedes einzelne Protein deaktiviert wird. Da das bei Säugetieren sehr schwierig zu bewerkstelligen ist, ließen die Forscher von ihren Hamstern ab und wendeten sich stattdessen dem kleinen Fadenwurm Caenorhabditis elegans zu – ein Organismus, der schon viele Fragen für Zellbiologen beantworten konnte.

Hier konnten Skop und Co nacheinander die Gene von 160 Proteinen über RNA-Interferenz ausschalten und zusehen, was geschah. Es zeigte sich, dass über die Hälfte der Flemming-Körper-Proteine für die Zytokinese unabdingbar sind: Fehlen sie, dann teilt sich der Kern zwar korrekt, die abschließende Zellteilung versagt jedoch. Übrig bleibt eine nicht lebensfähige Zelle mit zwei Kernen.

Die Forscher wollen mit ihrer Arbeit nicht nur einen grundlegenden biologischen Prozess besser verstehen. "Viele Krankheiten werden durch Zellen ausgelöst, die sich nicht richtig teilen oder bei denen, wie bei Krebs, die Teilung außer Kontrolle gerät", erläutert Skop. "Außerdem könnten Proteine, die während der Zellteilung aktiv sind, auch in den Nervenzellen unseres Gehirn oder bei der Wundheilung eine Rolle spielen. Wenn wir also begreifen, wie die Zellteilung funktioniert, dann könnten wir damit auch viele andere spezifische Zellfunktionen besser verstehen."

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