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Rekordwetter: Der Sommer, der nicht enden will

Temperaturen wie im Hochsommer: Das zeichnet den September 2023 in Mitteleuropa aus. In der 142 Jahre währenden Zeitreihe von Wetteraufzeichnungen schnitt kein September in Deutschland so sommerlich ab. Auch weltweit bricht der Monat viele Wetterrekorde.
Die Sonne geht im Hintergrund auf, vorne wabert Nebel über eine Wiese im September 2023
Der September 2023 wird in die Geschichtsbücher eingehen. Starke Hochdruckgebiete über Mitteleuropa sorgten für Sonnenschein und Wärme. Auch weltweit war der Monat einer der wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn.

Bald beginnt der Oktober, doch der Sommer will einfach nicht weichen. Bis Mitte der kommenden Woche steht weit verbreitet sehr warmes Wetter in Deutschland an, mancherorts könnte es sogar noch einmal richtig hochsommerlich werden. Die üblichen Regionen auf der Wetterkarte verfärben sich schon am Donnerstag und Freitag wieder dunkelrot. In Höchsttemperaturen ausgedrückt: 28 bis 29 Grad können am Oberrhein erreicht werden und auch im großen Rest des Landes wird es mit Temperaturen von mehr als 25 Grad ungewöhnlich warm. Nur der Norden bleibt bei wechselhaftem Wetter und kaum mehr als 20 Grad.

Damit endet der September, wie er begann – sehr warm bis heiß; ein veritabler Sommermonat verabschiedet sich. Und nicht nur das: Der September 2023 stellt einen neuen Wärmerekord auf, so viel ist wenige Tage vor Monatsende jetzt bereits klar, denn ein Kälteeinbruch ist nicht in Sicht. Kein September der 142 Jahre währenden Zeitreihe von Wetteraufzeichnungen in Deutschland schnitt so sommerlich ab. 17,4 Grad beträgt die Durchschnittstemperatur aktuell, das sind gleich vier Grad mehr als im langjährigen Schnitt – und sogar ein halbes Grad mehr als im bisherigen Rekordseptember 2006. Zum Vergleich: Der September ist damit genauso warm wie ein durchschnittlich temperierter Juli in Deutschland, der zu den Hochsommermonaten gezählt wird.

Die exakten Werte wird man spätestens am Wochenende kennen, wenn der Deutsche Wetterdienst seine offizielle Bilanz vorstellt. Aber schon jetzt spricht man dort von einem »ungewöhnlich warmen Monat«, der hohe Abweichungen in Serie brachte. So sagt es zumindest der Meteorologe Tobias Reinartz, der die Wetterlage regelmäßig verfolgt. Nach der wie einbetonierten Omega-Lage zu Monatsbeginn und teilweise sehr heißen Sommertagen möchte es der September zum Monatsende nun noch einmal richtig wissen. »Im Süden bleibt man auf der Sonnenseite«, sagt er. Bis zum Tag der Deutschen Einheit nächste Woche dürfte jeder Tag viel Sonne und sommerliche Werte bringen, prophezeit er. Einzige Ausnahme: der Samstag. Da drückt ein Tief seinen Wolkenschirm ins Land und dämpft die Temperaturen kurzzeitig.

Knifflig sei zudem die Frage, ob sich Hochnebel bilde, und falls ja, wie schnell er sich auflöse. Weil unter dem ausgestreckten Höhenrücken kaum Wind weht, sind vor allem die Flussniederungen Bayerns derzeit anfällig für zähen Hochnebel, der sich bis in den Nachmittag hält und damit sommerliche Werte verhindert. Das ist eine typische Begleiterscheinung der fortgeschrittenen Jahreszeit: Die tiefer stehende Sonne hat nicht mehr die Kraft, zähe Nebelpakete aufzulösen, wenn das Hoch wie am Wochenende direkt über Mitteleuropa liegt. Zu dieser Jahreszeit braucht es Wind, um die fluffig warme Mittelmeerluft in der Höhe nach unten zu mischen.

In ganz Europa bleibt es überdurchschnittlich warm

Und nicht nur in Deutschland ist es ungewöhnlich sommerlich: Fast ganz Europa kommt noch einmal ins Schwitzen bei extremen Temperaturabweichungen in dieser Woche. Von Portugal bis in das Baltikum ist es mindestens drei Grad wärmer, als üblicherweise zu dieser Jahreszeit zu erwarten wäre.

In einer Animation des französischen Wetterdienstes lässt sich erkennen, wie extreme Warmluft von Südwesten immer wieder auf den Kontinent gepumpt wird. Die Schattenseite dieser beständigen Hochdrucklage über großen Teilen Europas sieht man über Griechenland. Dort ist ein Höhentief von der Höhenströmung abgetropft, das der Region Thessalien erneut sehr viel Regen bringt und bringen wird – wie auch anderen Gebieten in der Landesmitte. 100 bis 200 Liter dürften bis Donnerstag verbreitet fallen, lassen die globalen Modelle vermuten; in einigen Regionen wahrscheinlich noch deutlich mehr, sagt Tobias Reinartz. Der Grund: »Weil das Höhentief fast stationär bleibt, fällt immer an derselben Stelle Starkregen.« Ganz so schlimm wie Anfang September dürfte es allerdings nicht werden. Und auch für Libyen gibt es wohl Entwarnung.

Beunruhigt sind dafür umso mehr die Klimaforscherinnen und -forscher. Denn auch global wird dieser September alle bekannten Rekorde reißen. Im Vergleich zur globalen Durchschnittstemperatur von 1991 bis 2020 wird der September fast ein Grad höher ausfallen, prognostizieren Klimaforscher wie Mika Rantanen von der Universität Helsinki. Das klingt nach wenig, ist im weltweiten Durchschnitt aber ein Meilenstein, zumal der bisherige Rekordwert für September gleich um ein halbes Grad übertroffen wird.

Schaut man sich dazu die Temperaturanomaliekarten an, erkennt man sofort, wie außergewöhnlich das Weltwetter derzeit ist. 2023 bildet einen ungeahnten Wärmeausreißer, die Temperaturkurve übertrifft alles Bisherige und zeichnet einen einsamen Weg nach oben. Oder um es mit den Worten einiger abgeklärter Klimatologen zu sagen, die des Alarmismus und unnötiger Zuspitzung eigentlich unverdächtig sind: Es ist völlig verrückt.

Diskussion um Ursachen der global hohen Temperaturen

Über die Gründe wird in Fachkreisen seit Monaten hitzig diskutiert. Die naheliegende Erklärung ist das Wetterphänomen El Niño in Kombination mit dem Klimawandel. Das Wetterphänomen im Pazifik lässt Wärme aus dem Ozean frei und sorgt für global höhere Temperaturen. So sieht das auch die Klimaforscherin Daniela Domeisen von der ETH Zürich: »Ich denke, dass die Rekordwerte dieses Jahr hauptsächlich dem Klimawandel und El Niño geschuldet sind«, sagt sie. Gerade nach den drei aufeinander folgenden La-Niña-Jahren, dem kalten Gegenpart von El Niño, falle besonders auf, wie stark die natürlichen Schwankungen, zu denen die beiden Phänomene gezählt werden, den Klimawandel verstärken könnten.

Doch in Fachkreisen wird auch über einen anderen Grund diskutiert: den gewaltigen Ausbruch des Hunga-Tonga-Vulkans im Januar 2022. Dabei wurden gewaltige Mengen Wasserdampf in die Atmosphäre geschleudert, bis weit in die Stratosphäre. Denkbar ist, dass auch der Ausbruch die hohen globalen Temperaturen zumindest mitverursacht. »Da ein solches Ereignis noch nie in diesem Ausmaß beobachtet wurde, ist es jedoch schwierig zu quantifizieren, was dies für die Stratosphäre und für die Erdoberfläche bedeutet«, sagt Domeisen.

Genaues weiß man nicht, zumindest noch nicht. Allerdings hält es die Züricher Klimaforscherin für nicht unwahrscheinlich, dass der heiße Herbst jetzt erst richtig losgeht und weitere Temperarturrekorde bevorstehen, zumindest global gesehen. Die Anomalien im tropischen Pazifik durch El Niño sind seit Jahresbeginn stetig gewachsen, ein Ende ist nicht Sicht.

Was das für Europa bedeutet, kristallisiert sich allmählich heraus: Es bleibt wohl wärmer, als man es für die Jahreszeit erwarten würde. Der Oktober bringt vermutlich erneut überdurchschnittliche Temperaturen; kalte und regenreiche Wetterlagen sind für den Monatsanfang eher unwahrscheinlich, zumindest im Süden. Mit einer südwestlichen Strömung könnte im ersten Monatsdrittel, nach einer möglichen Abkühlung Mitte kommender Woche, sogar erneut Sommerluft nach Mitteleuropa gepumpt werden. Das Ende des Sommers 2023 sollte man nicht zu früh ausrufen.

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