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Serie Renaturierung in Europa: Der Kampf gegen die Küstenfichten

Im schönen Jütland holzt die dänische Naturbehörde im großen Stil gesunde Bäume ab. Das könne doch kein Naturschutz sein, finden Anwohner. Besuch bei einem Wald, der mit der Kettensäge renaturiert wird.
Küstenlandschaft mit Blick auf das Meer und eine weitläufige Dünenlandschaft. Im Vordergrund sind hohe Gräser und vereinzelte violette Blumen zu sehen. Eine Person in dunkler Kleidung geht durch die Dünen. Der Himmel ist bewölkt, und die Küstenlinie erstreckt sich bis zum Horizont.
Die Dünenwälder wurden gepflanzt, um den Sandflug zu stoppen und Land besser bewohnbar zu machen. Aber eigentlich gehören sie hier nicht hin.

Eigentlich sollte es hier gar keinen Wald geben. Die dänische Westküste im nördlichen Jütland gehört den Dünen. Die Böden sind arm an Nährstoffen und reich an Sand und Kalk. Perfekte Bedingungen für die Dünengräser und Heidekräuter, die im Nordseewind wogen, so weit das Auge reicht. Und doch gibt es heute überall entlang der Küste Flecken mit dichten Wäldern. Klar abgegrenzt stehen sie in der Dünenlandschaft herum und sorgen für Streit.

»Das alles hier war früher einmal Meeresboden«, sagt Henrik Olsen. Der 63-Jährige ist Landschaftsökologe bei der dänischen Naturbehörde im Distrikt Thy und für das Management der staatlichen Flächen verantwortlich. An einem feuchten Junitag führt er auf einem Wanderweg durch ein Areal, das die Naturbehörde für allerlei Experimente nutzt. Es liegt südlich von Klitmøller, einem bei Surfern und Campern beliebten Urlaubsort.

Olsen pendelt für seinen Job durch halb Dänemark. Unter der Woche lebt er in einem alten Försterhaus im Wald in einer improvisierten WG mit Kollegen und Studierenden. Eine andere Arbeitsstelle näher an seiner Heimat will er sich nicht suchen, dafür liebt er die Natur »hier oben« zu sehr.

Auf einer Lichtung im Wald steht ein Stein mit den Vor- und Zunamen der »Klitplantøren« – der Dünenbepflanzer, die im 19. und 20. Jahrhundert die Baumplantagen angelegt haben. Die Männer haben damit den Sandflug gestoppt, der das Leben in der Region einst mühsam machte. Sie sind so etwas wie lokale Helden. Nun will Olsen mit seinen Kollegen ihr Werk rückgängig machen.

Hinter dem Stein steht adrett eine einzelne Küstenkiefer. Sie darf bleiben, sagt Olsen, doch viele ihrer Artgenossinnen werden in den kommenden Jahren der Kettensäge zum Opfer fallen. Olsens Erzfeindin ist ohnehin ein anderer Baum. Sein Gesicht verfinstert sich, wenn er ihren Namen ausspricht: die Sitka-Fichte. Sie gilt als gute Holzlieferantin, denn sie wächst schnell und schnurgerade bis zu 70 Meter hoch. In reinen Fichtenplantagen findet kaum ein Sonnenstrahl seinen Weg bis zum nadelbedeckten Boden.

Gedenkstein der Klitplantøren | Die Männer, die die Nadelwälder in den Dünen gepflanzt haben, sind so etwas wie lokale Helden, sagt Anthropologe Malthe Barnkob Lehrmann.

Sitka-Fichte und Küstenkiefer sind an der nordamerikanischen Westküste beheimatet und wurden von den Klitplantøren ausgewählt, weil sie mit dem Nordseewind und dem kargen Boden zurechtkommen. Hier und da wachsen auch Buchen, Eichen, Birken und europäische Nadelbäume wie die Gemeine Fichte und die Bergkiefer. Doch die nordamerikanischen Arten dominieren alles.

So intakt die Natur aussieht, das Artensterben macht auch vor dem idyllischen Thy nicht Halt. Was daher hier entstehen soll, ist ein Mischwald aus heimischen Baumarten mit vielen Lichtungen. Er soll seltenen Arten einen Lebensraum bieten, die mit den dunklen Nadelbaumplantagen nichts anfangen können. Dem Ziegenmelker zum Beispiel, der in Nord- und Zentraleuropa gefährdet ist. Auch der Boden soll lebendiger werden, mehr Moose und Insekten beheimaten.

Der Weg führt aus dem dunklen Wald in die offene Düne hinaus und läuft am Übergang zwischen beiden Welten entlang. Diese harte Grenze soll künftig einem »Mosaik« aus Habitaten weichen, erklärt Olsens jüngerer Kollege Malthe Barnkob Lehrmann.

Von Wäldern und Wiesen bis zu Dünen und Meeresböden – 80 Prozent aller Flächen der EU gelten als degradiert. Durch menschliches Handeln ist die Natur dort kaputt, und ökologische Funktionen laufen nicht mehr, wie sie sollten. Darum hat sich die EU 2024 mit dem Renaturierungsgesetz verpflichtet, bis 2050 die Wiederherstellung fast aller dieser zerstörten Lebensräume in Gang zu bringen.

Das umstrittene Gesetz steht unter heftigem Beschuss aus konservativen Kreisen. Die Renaturierung ist aber vielerorts längst im Gang. Unsere Autorin Iris Proff hat drei europäische Großprojekte besucht, die Methoden erproben, um verlorene Biodiversität in Wälder, Flüsse und Meere zurückzubringen. Überall zeigt sich: Ohne die lokale Bevölkerung geht es nicht.

Ein paar Schritte entfernt vom Weg stehen einige alte Fichten, die mit einem roten V markiert sind – V für »Veteranisierung«. Ihre dicken Stämme sind dreimal rundherum zwei Zentimeter tief eingesägt. Nun sterben sie einen langsamen Tod, denn der Transport von Wasser und Nährstoffen unterhalb der Rinde ist so unterbrochen. Manchmal nutzen die Forstexperten auch Sprengstoff, um einen Blitzeinschlag in die Baumkrone zu simulieren. »Die Leute hassen das«, sagt Lehrmann.

Aber es ist notwendig, will man das Ökosystem für die Zukunft umbauen. Die alten Bäume werden getötet, weil sie auf einer großen Fläche viele Samen verbreiten. Sie bleiben aber stehen, weil das Totholz Lebensraum für Pilze, Flechten, Spechte, Käfer und Fledermäuse schafft.

Henrik Olson | Der Landschaftsökologe pendelt für seinen Job bei der dänischen Naturbehörde durchs halbe Land nach Thy, denn er liebt die Natur »hier oben«.

Ein Stück weiter durchzieht eine Schneise den Wald. Hier hat die Naturbehörde auf einem ganzen Landstreifen Bäume fällen lassen. Einen »Schmetterlingskorridor« nennt Lehrmann das. Wie vielerorts in der Region wurde das Land einst mit Entwässerungskanälen trockengelegt. Die sollen nun zugeschüttet werden, um das Wasser zurück in die Landschaft zu holen. Bedrohte Fledermausarten und Wasserinsekten werden dann hier ein Zuhause finden. Obstbäume und blühende Büsche liefern Nahrung für Schmetterlinge.

Aktuell sieht das Areal aber eher aus wie ein Zombiekorridor. Der Wind pfeift, und überall stapelt sich totes Holz. Für das untrainierte Auge wirkt das nicht wie Renaturierung, sondern wie Naturzerstörung. Den Vorwurf kennen Olsen und Lehrmann nur zu gut.

»Renaturierung ist ein vielköpfiges Monster«

Ihre Arbeit ist Teil des Forschungsprojekts Superb, das in zwölf europäischen Ländern die Renaturierung von Wäldern erprobt und von der EU mit 20 Millionen Euro gefördert wird. Die Methoden, die sich auf den Demoflächen als brauchbar erweisen, sollen später in großem Maßstab umgesetzt werden. Erforscht wird nicht nur, was für die Natur funktioniert – sondern auch, wie man die Bevölkerung mitnimmt.

Seit Beginn des Projekts im Jahr 2021 hat die dänische Naturbehörde Anwohnerinnen und Anwohner einbezogen. Lehrmann ist Anthropologe, und seine wichtigste Aufgabe ist es, diesen Dialog zu leiten. Infotafeln sucht man hier vergebens. »Leute lesen solche Schilder nicht«, sagt er. Viel wichtiger sei es, die Menschen mitmachen, mitentscheiden zu lassen. Zum Beispiel konnten die Anwohner den Wanderweg, der an den Experimenten vorbeiführt, mitgestalten, und Schüler einer nahegelegenen Schule haben Bäume gepflanzt.

Dennoch bleiben viele Einheimische skeptisch. »Sie wollen nicht, dass sich etwas ändert«, sagt Olsen. Die Menschen in der Region identifizieren sich mit ihrer Natur, die Touristen kommen unter anderem deswegen hierher. Wann immer Bäume getötet werden, regen sich Widerstand und Unverständnis. Wohl auch, weil der schleichende Rückgang seltener Arten für die meisten Augen unsichtbar ist.

V für Veteranisierung | Diese alte Fichte stirbt einen langsamen Tod, weil der Flüssigkeitstransport unter der Rinde durch drei Schnitte mit der Kettensäge unterbrochen wurde. Als Baumleiche bereichert sie allerdings noch über Jahrzehnte das Ökosystem.

»Renaturierung ist ein vielköpfiges Monster«, sagt Lehrmann. Es gibt zahllose mögliche Wege und Prioritäten. Im Kern geht es der dänischen Naturbehörde darum, einen »ursprünglichen« Zustand wiederherzustellen, ohne eingeschleppte Arten. Aber was heißt »ursprünglich«? Ohne menschliche Eingriffe wäre hier nur Düne, kein Wald, nicht einmal einer aus Buchen und Eichen.

Kontrovers ist auch die Frage nach dem Klimaschutz. Bäume zu fällen, führt erstmal dazu, dass die Landschaft weniger Kohlenstoff speichert. »Es ist wichtig, von Anfang an klarzustellen, dass es hier nicht ums Klima, sondern um Biodiversität geht«, sagt Olsen. Klar, Klimaschutz sei wichtig – aber in seinen Projekten nicht von Priorität. »Wir sind eins der ärmsten Länder der Welt in Sachen Biodiversität«, sagt er.

An der Frage, wie viel Eingreifen sinnvoll ist, scheiden sich ebenfalls die Geister. Manche argumentieren, man müsse die Natur einfach sich selbst überlassen – »passive Renaturierung« nennt sich das. Die dänische Naturbehörde hingegen renaturiert aktiv: Sie fällt und pflanzt, holt Holz aus dem Wald, trägt Oberflächenböden ab, designt eine neue Landschaft.

»Diese Plantagen wurden von Menschen geschaffen, also braucht es auch Menschen, die sie in etwas Natürlicheres verwandeln«, sagt Lehrmann. Es ist ein Balanceakt. Um das Ökosystem nicht zu abrupt zu verändern, dürfen die Dänen die Nadelbäume nur einen nach dem anderen entnehmen. Gehen sie aber nicht entschlossen genug vor, kommen sie nicht gegen die Fichten an. Denn aus den Samen im Boden kommen immer wieder junge Bäume nach. Der Kampf gegen die Fichten wird Jahrzehnte dauern. Ganz los wird man sie vermutlich nie.

Einige Anwohner sind wütend und besorgt

Für den Abend hat die Naturbehörde die Anwohner und Anwohnerinnen zu einem Naturspaziergang eingeladen. Treffpunkt ist ein einsames Küstengebiet im Norden der Region Thy, wo ein »Naturnationalpark« entstehen soll.

21 solcher Parks will die dänische Regierung im ganzen Land schaffen. Sie sollen von jeder wirtschaftlichen Nutzung ausgenommen werden: keine Holzproduktion, keine Jagd, kein Camping. Der sperrige Name kommt daher, dass »Nationalparks« in Dänemark keinen besonderen Schutzstatus genießen, sondern vor allem dem Marketing der Tourismusbranche dienen.

Es ist Regen angekündigt für diesen Dienstagabend, dennoch sind an die 100 Leute gekommen. Eine Anwohnerin mit grauem Zopf ergreift das Mikrofon. Sie liebe die Natur, sagt sie. Aber sie mag auch die Fichten, die nach dem Willen der Naturbehörde hier ebenfalls verschwinden sollen. Außerdem hält sie es für eine schlechte Idee, dass hunderte Pferde, Kühe und Bisons frei herumlaufen sollen.

Diese Weidetiere sind ein Kernelement der geplanten Parks: Wenn sie auf den Wald- und Dünenböden grasen, verhindert das, dass die Wälder zu dicht wachsen. So die Idee. Aber viele haben Angst vor den Tieren oder befürchten Zustände wie in einem ähnlichen Projekt in den Niederlanden, wo tausend Pferde und Hirsche im Winter qualvoll verhungerten.

Ein Mann meldet sich zu Wort, offensichtlich in Rage. Er besitzt ein Sommerhaus mitten im Gebiet des geplanten Parks. Ihn stört vor allem der Zaun, den die Naturbehörde um sein Land ziehen will. Er erntet Beifall. Die Zäune sind ein Reizthema, selbst wenn sie nur einen Meter hoch sein sollen.

Auch Pia Slot ist skeptisch. Die Rentnerin sitzt in den Gremien verschiedener lokaler Naturschutzvereine und war anfangs eine Kritikerin der Renaturierungsvorhaben. »Dann habe ich einiges dazugelernt«, sagt sie. Heute kann sie mit Henrik Olsen und seinen Kollegen reden, ohne sich aufzuregen. Doch sie wirft ihnen immer noch vor, nicht gut zu kommunizieren. »Die Menschen denken, dass es keinen Wald mehr geben soll«, sagt sie. Die Großeltern hätten noch mühsam diesen Wald gepflanzt. »Und jetzt verändert sich alles.«

Die meisten Anwesenden, viele davon Naturenthusiasten, befürworten die Pläne aber. Auch einige Jäger sind gekommen, die die Idee mit dem Park gar nicht schlecht finden. Sie dürften dort zwar nicht mehr jagen, aber im Umland würde die Zahl an Wildtieren vermutlich zunehmen.

Als die Anwohner gegangen sind, ziehen die Mitarbeitenden der Naturbehörde ein Resümee. In ihren grün-braunen Hosen und Westen sehen sie aus wie Pfadfinder im Sommerlager. Sie sitzen ums Lagerfeuer, lachen und vertilgen die übriggebliebenen Sandwiches. Es seien »immer die gleichen Leute«, die zu diesen Veranstaltungen kämen, sagt einer. Auch die Argumente seien oft ähnlich und nicht immer nachvollziehbar. Ernst nehmen müsse man sie trotzdem.

Kritik im Gelände | Die Naturbehörde in Thy hat Anwohnerinnen und Anwohner zu einem Naturspaziergang eingeladen, um ihre Pläne für einen neuen Park vorzustellen. Nicht alle sind begeistert.

Deutschland setzt nicht auf »ursprünglichen« Naturwald

600 Kilometer weiter südlich liegen sieben weitere Demoflächen des EU-Projekts Superb, verstreut über Nordrhein-Westfalens Mittelgebirge. Was die dänische Naturbehörde in mühsamer Arbeit vorantreibt, hat hier in wenigen Jahren ein Insekt erledigt. Borkenkäfer und Dürre haben seit 2018 die Fichtenwälder ausradiert, die einst viele Hänge bedeckten.

Laut der Bundeswaldinventur sind rund fünf Prozent der deutschen Waldfläche verlorengegangen, über 500 000 Hektar. Diese ganze »Kalamitätsfläche« soll nun wiederbewaldet werden. Die Landesforstverwaltung in NRW erprobt, wie man dabei am besten vorgeht. Fichten werden nicht mehr gepflanzt, allerdings schießen sie noch ganz von selbst überall wieder aus dem Boden. Durch gezieltes Einbringen anderer Baumarten wird dagegengehalten. Möglichst diverse Mischwälder sollen entstehen.

Anders als in Dänemark sind fremdländische Baumarten wie die Douglasie hier nicht tabu. Der nordamerikanische Nadelbaum wächst schnell und gerade und liefert gutes Holz, ist aber dürretoleranter als Fichten. Die wirtschaftliche Nutzung von Wäldern ist in Deutschland ein viel größeres Thema als in Dänemark, wo ohnehin nicht viel Holz produziert wird. Umweltschützer warnen schon, die Douglasie könne zur »neuen Fichte« werden, mit der die Fehler der Vergangenheit wiederholt würden.

Doppelschlag durch Dürre und Käfer | Wie hier im Hochsauerlandkreis fielen in ganz Deutschland die dürregeschädigten Bäume reihenweise dem Borkenkäfer zum Opfer. Das Holz wurde mancherorts zu Tiefstpreisen verscherbelt. Waldumbau ginge auch schonender.

Wer mit deutschen Försterinnen und Förstern spricht, merkt allerdings: Der Wandel weg von der Monokultur und hin zum Mischwald ist in ihren Köpfen längst vollzogen. Dazu hat wohl auch der Borkenkäfer beigetragen. Für die Klimabilanz der Wälder und die Holzindustrie ist das Fichtensterben eine Tragödie. Doch Fichtenmonokulturen sind eben nicht nur im Klimawandel untauglich, sondern auch eine Katastrophe für die Biodiversität. In die Klagen mischten sich deshalb von Anfang an leise Stimmen, die sagten, der Borkenkäfer habe uns möglicherweise einen Gefallen getan.

Förster Marvin Stiehl kraust die Stirn, wenn er dieses Argument hört. Er ist für die Demofläche des Superb-Projekts in Wipperfürth tief im Bergischen Land verantwortlich. »Einen schnelleren Baumartenwechsel hätte man nicht hinbekommen können. Aber gut würde ich das nicht nennen«, sagt er. »Die Bestände sind quasi von heute auf morgen abgestorben und dann teils für null Euro nach China gegangen«, so der Förster. »Ich hätte gern den Waldumbau betrieben, aber schonender.«

Dänemarks erstaunliches Naturschutzabkommen

Ein neuer Tag bricht an im schönen Thy an der dänischen Westküste. Im Büro der Naturbehörde – einem ausgebauten Stall – wird langsam der Platz eng. Denn die Aufgaben nehmen stetig zu.

Deutschlands Nachbar schlägt bei der Naturschutzpolitik viele neue Wege ein. 2024 hat die dänische Regierung das sogenannte Dreierabkommen mit den Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden geschlossen. Es sieht vor, 15 Prozent der Agrarfläche aus der Produktion zu nehmen und Landwirte dafür zu kompensieren. Auf 250 000 Hektar soll Wald gepflanzt werden, auf 100 000 Hektar sollen trockengelegte Moore renaturiert werden.

Morten Brown Stummann ist bei der Naturbehörde in Thy für die Umsetzung dieses Abkommens in der Region zuständig. Die Nachfrage bei den Landwirten nach den Stilllegungsprämien sei hoch, erklärt er, nicht zuletzt deshalb, weil die Bauern damit vermeiden, künftig Abgaben zahlen zu müssen auf die Treibhausgase, die ihren trockengelegten Moorböden oder ihren Ställen entweichen.

Eine solche Politik von Zuckerbrot und Peitsche wäre in Deutschland kaum vorstellbar. Und trotzdem ziehen die dänischen Bauern nicht mit Traktoren und Mistgabeln nach Kopenhagen.

Fragt man Stummann, ob die dänische Naturschutzpolitik ein Vorbild für Deutschland sein könnte, zieht der junge Mann nur ungläubig die Augenbrauen hoch. Die Dänen halten ihr Land nicht für progressiv in Sachen Umwelt. Schließlich ist das Dreierabkommen nur zustande gekommen, weil die Küstengewässer so mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft belastet sind, dass die Fischerei in die Krise zu geraten drohte. Da schien die Transformation der Landnutzung der einzig gangbare Weg.

Wildreservat Hanstholm | Peter Bungaard und Henrik Olsen kommen seit Jahrzehnten in die Dünenlandschaft, unter anderem um Vögel zu beobachten.

Wenn die Natur alleingelassen wird

Gegen Mittag bricht Henrik Olsen mit seinem Kollegen Peter Bungaard vom Büro der Naturbehörde auf, um sich eine weitere Projektfläche anzusehen. Es ist ein Schlachtfeld. Überall stehen und liegen tote Fichten, der Boden ist mit Ästen und Baumstümpfen bedeckt. »Wir pflanzen hier nichts an«, sagt Olsen. Das Holz wird abtransportiert. Hier darf sich die Düne das Gebiet zurückholen.

Das Areal liegt im Wildreservat Hanstholm, einer weitläufigen Landschaft aus Dünen, Mooren, Wäldern und Seen, die seit den 1930ern für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Ein Refugium für Tiere und seltene Arten. Hier sieht man, was mit der Natur passiert, wenn Menschen sie nur ausnahmsweise betreten dürfen. Bungaard deutet auf einen Hügel am Horizont. »Wenn ich sterbe, soll meine Asche da verstreut werden«, sagt er. Lange sitzen die Männer in den Dünen und blicken mit ihren Ferngläsern ins Land.

Auf dem Rückweg pflückt Bungaard ein Zittergras vom Dünenboden. Die violetten Spitzen vibrieren im Wind. Das Gras gedeihe nur auf sehr nährstoffarmen Böden und sei ein Zeichen dafür, dass die Düne gesund ist, sagt der Biologe. Sicher hofft er, dass es irgendwann wieder überall in Thy zu finden ist.

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