Reptilien: Kameras enthüllen erstmals blitzschnelle Giftschlangen

Tief in uns ist eine Furcht vor Schlangen verankert, die sehr wahrscheinlich evolutionär bedingt ist: Schon Kleinkinder erkennen früh Schlangen und reagieren darauf. Und das ist auch potenziell gut so, denn wenn Giftschlangen attackieren, bleibt uns wie ihrer Beute praktisch keine Zeit zu reagieren. Wie der Biss im Detail abläuft und wie rasend schnell dies tatsächlich passiert, war lange Zeit für Menschen nicht auflösbar. Dank neuester Kameratechnik gelang es einem Team um Silke Cleuren von der Monash University in Melbourne, die Jagdtechnik verschiedener Giftschlangenarten aufzuzeichnen und für unsere Augen nachvollziehbar zu machen: Die Bilder zeigen, wie rapide die Tiere zuschnappen und wie effektiv sie dabei vorgehen. Die Videos offenbaren zudem, wie unterschiedlich die Jagdstrategien verschiedener Giftschlangenfamilien ablaufen.
Die ersten Versuche, die Bisse dieser Reptilien auf Film zu bannen, gehen in die 1950er Jahre zurück. Seitdem hat sich die Technik stetig verbessert und immer neue Details enthüllt, etwa dass sich die Attacken deutlich unterscheiden, wenn sich die Schlange verteidigen oder Beute machen will. Zumeist setzten die Wissenschaftler dabei jedoch lediglich auf eine Kamera, was immer nur eine einzige Seitenansicht der Schlangen erlaubte. Oft wiesen die Bilder auch eine geringe Auflösung auf, was eine richtige Detailanalyse erschwerte. Und dann erforschten die Arbeitsgruppen überwiegend eine oder wenige Arten, wie der an der Studie beteiligte Alistair Evans von der Monash University auf »The Conversation« schreibt.
Cleurens Team hingegen widmete sich gleich 36 Giftschlangenarten aus drei Schlangenfamilien, die vollständig oder zumindest zu Teilen giftig sind: Giftnattern wie Mambas und Kobras, Vipern wie Puffottern oder Klapperschlangen und Nattern, zu denen auch die für Menschen potenziell gefährliche Boomslang und die Mangroven-Nachtbaumnatter gehören. Viele dieser Arten werden in der Anlage »Venomworld« bei Paris gehalten, wo die Arbeitsgruppe ihre Tests durchführte und filmte.
Die Wissenschaftler hielten dazu den Reptilien mit Gel bestrichene und auf 38 Grad Celsius erwärmte Zylinder vor, die eine potenzielle Beute darstellen sollte. Zwei Hochgeschwindigkeitskameras zeichneten dabei aus unterschiedlichen Winkeln mit 1000 Einzelbildern pro Sekunde jegliche Bewegungen der Tiere auf. Und diese hatten es in sich, wie die 3-D-Rekonstruktionen der insgesamt 108 erfolgreich gefilmten Attacken belegten.
Vipern reagierten auf die vermeintliche Beute rasend schnell und benötigten weniger als 100 Millisekunden für einen erfolgreichen Angriff: Die Levanteotter (Macrovipera lebetina) benötigte sogar nur 22 Millisekunden für ihren Zugriff und beschleunigte dabei ihren Kopfbereich um bis zu 300 Meter pro Quadratsekunde. Ähnlich schnell war die Terciopelo-Lanzenotter (Bothrops asper), die als eine der gefährlichsten Schlangen Lateinamerikas gilt. Tatsächlich bissen diese Schlangen erst zu und injizierten ihr Gift, wenn der Biss richtig saß. Andernfalls reagierten sie ebenfalls rasend schnell, veränderten aber ihre Position und bissen erneut zu.
Giftnattern hingegen schlichen sich erst langsam an, bevor sie zustießen. Dafür bissen sie die präsentierte Walze mehrfach. Nattern wie die Mangroven-Nachtbaumnatter (Boiga dendrophila) besitzen wiederum Giftzähne, die weit hinten im Maul sitzen. Sie stürzten sich aus größerer Distanz auf ihre Beute, schnappten mit ihren Kiefern zu und bewegten sich dann schnell hin und her. Dabei rissen sie eine Wunde in das Gel, um eine maximale Menge an Gift injizieren zu können.
Mitunter brechen im Verlauf auch ihre Zähne ab, wie die Filmaufnahmen bestätigten: In einem Fall verschätzte sich eine der Giftschlangen und verlor ihren rechten Zahn. Dass Zähne regelmäßig in Beute steckenbleiben, zeigten bislang vor allem Untersuchungen des Kots: Darin tauchten regelmäßig Zähne der Schlangen auf.
Anm. d. Red.: Bei der Beschleunigung war die Einheit nicht vollständig angegeben: Es muss »pro Quadratsekunde" heißen. Wir haben den Fehler korrigiert.
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