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News: Revolutionäre Wanderschaft

Die neolithische Revolution brachte Ackerbau und Viehzucht nach Europa und erschütterte nachhaltig die alteingesessene Kultur der Jäger und Sammler. Waren es revolutionäre Ideen, die diesen Umsturz bewirkten, oder einwandernde Revolutionäre?
Jahrtausendelang lebte die Menschheit von der Hand in den Mund. Als Jäger und Sammler streiften die Menschen der Altsteinzeit durch die Wälder, ständig auf der Suche nach Nahrung. Doch vor etwa 10 000 Jahren gaben einige Bewohner des Vorderen Orients dieses Nomadenleben auf, zugunsten einer umwälzenden Erfindung: Ackerbau und Viehzucht. Unabhängig vom Jagd- und Sammelglück geworden, gestalteten sie als sesshaft gewordene Bauern ihre Umwelt und prägten völlig neue Sozialstrukturen. Die Veränderungen waren so einschneidend, dass Archäologen von der "neolithischen Revolution" sprechen, die ein neues Zeitalter, die Jungsteinzeit, einläutete.

Die Revolution benötigte nur wenige tausend Jahre, um sich fast über die ganze Welt auszubreiten, und erreichte, über Griechenland kommend, um 5500 vor Christus schließlich auch Mitteleuropa. Doch wer oder was drang da vor? Waren es die revolutionären Ideen, die nach Europa einsickerten und von den hier lebenden Bewohnern übernommen wurden? Oder waren es die Revolutionäre selbst, die nach Europa einwanderten und die einheimische Bevölkerung nach und nach verdrängten?

Genetische Untersuchungen, die vorzugsweise an den mütterlich übertragenen Mitochondrien – den "Kraftwerken" der Zelle – durchgeführt werden, ergaben bereits Hinweise auf eine Einwanderungswelle aus dem Orient nach Europa, die vor etwa 9000 Jahren begann. Die Genetiker fanden jedoch bei nur etwa einem Fünftel der Europäerinnen Spuren dieser Einwanderung; 80 Prozent tragen in ihren Mitochondrien genetische Marker von der altsteinzeitlichen Urbevölkerung.

Jetzt hat Lounès Chikhi vom University College London zusammen mit seinen Kollegen erneut nach genetischen Spuren früher Einwanderer nach Europa gefahndet. Dabei schauten die Wissenschaftler nicht bei den europäischen Frauen, sondern bei den Männern nach – genauer gesagt: bei deren Y-Chromosom. Ihre Untersuchung stützte sich auf 22 genetische Marker des Geschlechtschromosoms, die nicht rekombiniert werden und sich daher im Laufe der Zeit nur wenig verändern.

Die statistische Analyse dieser "molekularen Uhren" von über 1000 Männern aus ganz Europa bestätigte die neolithische Einwanderungswelle: Demnach ist im Durchschnitt mehr als die Hälfte der untersuchten Marker auf orientalische Einwanderer zurückzuführen; der genetische Beitrag der europäischen Urbevölkerung beträgt insgesamt weniger als 30 Prozent.

Auch geographisch spiegelt sich das Vordringen der Revolutionäre wider: Während bei albanischen, mazedonischen und griechischen Männern 85 bis 100 Prozent neolithische Marker zu finden sind, sinkt er bei Franzosen und Deutschen auf 15 bis 30 Prozent. Insgesamt schlägt sich der genetische Einfluss der Neubürger besonders in den Mittelmeerländern nieder – was mit den archäologischen Funden übereinstimmt, die den frühen Einzug von Landwirtschaft in dieser Region bestätigen.

Doch die Genetiker entdeckten auch eine Ausnahme von dieser Regel. Die Sarden zeigen – ähnlich wie die Basken – einen außergewöhnlich hohen Anteil alter paläolithischer Marker. Diese Völker widersetzten sich offenbar lange den Einwanderern aus dem Nahen Osten und blieben lieber für sich. Im restlichen Europa breiteten sich jedoch die neolithischen Revolutionäre aus – und mit ihnen ihre revolutionären Ideen.

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