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Kosmologie: Risse in der Kristallkosmik

Im Echo des Urknall finden pfiffige Kosmologen auch nach Milliarden von Jahren noch Brauchbares - zum Beispiel Hinweise darauf, dass nicht alles Zufall war, was Galaxien und den ganzen Rest zusammengeballt hat. Zumindest nicht die Art von Zufall, an die pfiffige Kosmologen bisher geglaubt hatten.
Erde und Mikrowellenhintergrund
Zugegeben: Die Neuigkeit ist weder brandheiß noch sonderlich aktuell. Sie ist, ehrlich gesagt, eigentlich sogar vergleichsweise verdammt kalt und rund 13,7 Milliarden Jahre alt. Und selbst die begeistertsten Kosmologen wissen das strenggenommen nicht erst seit gestern: In der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem frühesten aller Zeugen der Geburtsstunden unseres Universums, findet sich ein kalter Fleck, der – und damit zur Neuigkeit, die Marcos Cruz, Neil Turok und drei weiteren Kollegen von der Wissenschaftsgemeinde gerade aus der Hand gerissen wird – tatsächlich kein zufälliger kalter Fleck ist. Zeit für die Frage aller Fragen: Na und?

Strahlenspuren erzählen aus der Evolution des Universums | Die Evolution des Universums (Zeitachse von links nach rechts): Das älteste Licht wird durch den WMAP-Satelliten gemessen – die Strahlung verrät Signaturen aller bjekte, durch die sie gedrungen ist. Eines dieser Objekte könnten kosmische Texturen sein, vermuten die Forscher um Cruz.
Die Antwort ist simpel, die Hintergründe kompliziert. Wenn die Forscher der Universitäten von Cantabria sowie Cambridge recht haben, dürfte ihre Entdeckung unsere bislang nur vage theoretische Vorstellung vom Anbeginn aller Zeiten zunächst ändern und zudem vielleicht bald auf deutlich solidere Füßen stellen. Die Forscher von haben in einem Computermodel Daten der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung analysiert, die im Jahr 2003 von der Weltraumsonde WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) detailliert aufgezeichnet worden sind.

Die Hintergrundstrahlung – Stichwort "uralt" – ist ein Relikt aus der Frühzeit des Universums. Ihre heute noch messbaren Lichtquanten entstanden kurz nach dem Urknall, wurden zuerst von freien Elektronen herumgestreut und breiteten sich anschließend frei in alle Richtungen aus, als das Universum rund 400 000 Jahre nach dem Urknall abgekühlt war und sich Elektronen und Protonen zu Wasserstoff-Atomen zusammengeschlossen hatten. Das Abbild der letzten Streuereignisse ist für uns noch heute im von WMAP aufgezeichneten Mikrowellenhintergrund festgehalten: Er besteht aus den in 13,7 Milliarden Jahren Weltraumwanderung bis auf Mikrowellenlänge gedehnten Strahlung der Urphotonen, die mittlerweile auch nur noch eine mittlere Temperatur von 2,728 Kelvin aufweist.

Eine mittlere Temperatur, wohlgemerkt – denn durchaus erkennen penible Mikrowellenobduzierer einige wenige wärmere sowie – Stichwort "verdammt kalt" – kältere Strahlenregionen im kosmischen Hintergrund. Solche Temperaturvariationen weisen der gängigen Theorie zufolge auf dezente Fluktuationen in der Dichteverteilung des entstehenden Universums hin, die wahrscheinlich die Keimzellen der ersten Galaxien waren. Sie dürften rein zufällig und statistisch verteilt aufgetaucht sein. Oder nicht?

Einen besonders großen kalten Fleck konnten Forscher nie so recht in ihre kosmologischen Modelltheorien einpassen – eben jenen, den nun Cruz und seine Mitstreiter analysiert haben. Irgendwie erschien er zum Beispiel zu groß, um tatsächlich eine von vielen zufällig entstandenen Variationen zu sein.

Was genau den Fleck verursacht hat, glauben die Forscher um Cruz nun nach einer komplizierten statistischen Analyse ihrer Aussage nach "noch nicht genau" verstanden zu haben – immerhin aber "zu 99 Prozent", so Turok: Sie denken, dass eine so genannte Textur im frühen Gewebe des Universums den kalten Fleck verursacht hat. Das wäre spektakulär, denn nach Hinweisen auf solche Texturen haben schon lange Forscher Ausschau gehalten, die sich eher abseits der festgestampften Theorie-Pfade bewegen.

"Mit einprozentiger Wahrscheinlichkeit ist das nur eine statistische Fluktuation"
(Neil Turok)
Eine Textur ist eine Störung des Phasenübergangs im blutjungen All und vielleicht am ehesten mit Eiswürfeln zu erklären. Wie abkühlendes H2O beim Übergang von flüssigem Wasser zu Eis haben auch die Urteilchen des in den ersten Jahrhundertausenden kälter werdenden Universums nach und nach verschiedene Zustände eingenommen. Auch beim Gefrieren von Wasser entsteht allerdings nicht immer ein perfekter Eiskristall, bei dem sich wirklich alle H2O-Moleküle ideal in die Kristallstruktur einbetten: milchige Schlieren sind dann Zeugen eines unordentlichen Gefriervorgangs an einzelne Störungen, die zum Beispiel aus den im Wasser enthaltenen Fremdstoffen resultieren.

Analoges geschah auch im frühen Universum, als die verschiedenen Spezies der Elementarteilchen aus einem vereinheitlichten Vorgänger herauskondensierten. Störungen führen hier nicht zu Schlieren im Eis, sondern zu "dreidimensionalen, verdrillten Energieblobs", so die Vorstellung von Cruz und verschiedenen Theoretikern der Elementarteilchenphysik. Die Blobs entstehen, um Unvorstellbares anschaulich zu vereinfachen, durch einen Bruch der Symmetrie beim "Einfrieren" zu den heute bekannten Teilchen entlang einer gemeinsamen Bezugsfront. Zwischen unterschiedlich ausgerichteten Regionen baute sich dann eine Energieblase auf, die dann schließlich einen Gravitationssog ausübte – und genau dies führt dann vor Ort erst zu jenen Materieansammlungen, die später einmal in großem Maßstab zu den Galaxien werden. Kurz zusammengefasst bezeichnen die Forscher das als "Textur-Hypothese".

Kosmische Texturen verursachen Temperaturvariationen im Mikrowellenhintergrund | So genannte Texturen verursachen heiße und kalte Flecken in der kosmischen Hintergrundstrahlung: Passiert die Mikrowellenstrahlung eine sich entwindende Textur, dann wird sie in Richtung blaues oder rotes Wellenlängenspektrum verschoben. Der Wilkinson-MAP Satellit (oben) empfängt die Strahlung aus der Frühzeit des Universums und kann solche Variationen erkennen. (Im Diagramm verläuft die Zeitachse vertikal, die Raumachse des Alls horizontal.) Strahlung, die vom heißen Plasma des jungen Universums ausgeht (in der unteren Ellipse dargestellt) wanderte mit Lichtgeschwindigkeit zu uns. Sie durchdrang dabei teilweise Texturen, die sich im ausdehnenden Universum in immer größeren Ausdehnungen immer wieder bildeten, dann kollabierten und entwanden.
Ob die Hypothese stimmt und Texturen einst tatsächlich existierten, müsste, so ihre Verfechter schon vor Jahren, heute erkennbar sein. Denn beim Durchqueren der Textur kühlt Strahlung ab und würde sich als kältere Region im Mikrowellenhintergrund zeigen – eben als ebenso kalter Fleck wie der nun von Cruz und Kollegen untersuchte. Bislang war demnach nur die Frage noch ungeklärt, ob es sich bei dem Fleck um die Folge eines Ausreißers aus der typischen zufällige Dichteverteilung handelt (davon geht die althergebrachte Theorie aus), oder um den Hinweis auf eine Symmetrie-Störung (wie die Textur-Hypothese-Apologeten glauben). Die Antwort wiederum war letztlich eine Frage penibler statistischer Auswertung und ausreichender Daten. Cruz' Team beantwortet sie: Eindeutig, so die Forscher, kann der Fleck eben kein Zufall sein, sondern Folge einer Textur.

Alles nur eine Frage der richtigen Statistik oder gar des Glaubens? Keinesfalls, so Cruz: Das schöne sei, dass ihre Hypothese durchaus verifizierbar ist. Zum Bespiel dürfte die Strahlung eines durch frühe Texturpassage erzeugten Flecks nicht polarisiert sein – anders als Strahlung, die wegen einer statistisch zufällig geringeren Dichteverteilung kühl ist. Neue Polarisationsmessungen werden also mitentscheiden, ob die bislang nur von wenigen Anhängern vertretene Textur-Hypothese die althergebrachten Vorstellungen pulverisiert. Ihre Hypothese sei zwar radikal, so die Forscher selbst, immerhin aber doch weniger radikal als andere theoretische Ansätze, die den kalten Fleck gedanklich aus dem Mikrowellenhintergrund heraus waschen sollen. Die bisherige Standarderklärung der Geburt aller Elementarteilchen muss sich jedenfalls erst einmal warm anziehen.

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