kurze RNA: Neuer Verdächtiger im Fall Alzheimer
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland fast 1,2 Millionen Alzheimerkranke gezählt – Tendenz steigend. Trotz langer und intensiver Suche, sind die genauen Ursachen für das Absterben der Hirnzellen bei Betroffenen weiterhin nur unzureichend bekannt. Eine neue Studie der Non-Profit-Organisation Northwestern Medicine von der Northwestern University in Chicago ergab nun, dass in einem alternden und von Alzheimer betroffenen Gehirn ein Ungleichgewicht zwischen toxischen und schützenden kurzen RNAs (sRNAs) besteht. Dies könnte zum vermehrten Absterben von Neuronen und zu DNA-Schäden führen – und zur Entstehung der Alzheimerdemenz beitragen, wie das Forscherteam in »Nature Communications« schreibt.
RNA ist in den Zellen zentral an der Herstellung von Proteinen beteiligt. Es gibt allerdings auch vergleichsweise kurze Varianten mit anderen Funktionen, die sRNAs. Manche davon können etwa die längeren Pendants ausschalten und so die Produktion bestimmter Proteine stoppen. Dieser Prozess wird RNA-Interferenz genannt. Forschende um den Studienleiter Marcus Peter hatten bereits zuvor in einigen dieser sRNAs sehr kurze Sequenzen identifiziert, die sogar Zellen töten können, indem sie deren Produktion überlebensnotwendiger Proteine stoppen.
Normalerweise werden die toxischen sRNAs durch schützende sRNAs gehemmt. Die Experimente an Gehirnzellen von Mäusen und Menschen zeigen nun aber, dass letztere im Alter ab- und die zerstörenden sRNAs zunehmen. Die Experimente offenbarten außerdem, dass ältere Personen mit überdurchschnittlichem Gedächtnis – so genannte Superager, die eine geistige Leistungsfähigkeit aufweisen, die der von 50- bis 60-Jährigen entspricht – mehr schützende kurze RNA-Stränge in ihren Neuronen haben als üblich.
Menge an schützenden sRNAs erhöhen
Nervenzellen, denen schützende sRNAs fehlten, waren außerdem überempfindlich gegenüber dem Proteinfragment eines Amyloid-Vorläuferproteins namens Aβ42. Proteinklumpen aus Amyloid sind ein charakteristisches Merkmal eines Alzheimergehirns. Dass solche Fragmente wie Aβ42 toxisch sind und den Zelltod auslösen können, ist bekannt. Auch besteht ein starker genetischer Zusammenhang zwischen frühen familiären Formen von Alzheimer und dem Vorkommen von Aβ42. Erhöhten die Forschenden den Anteil an schützender sRNA in den Zellen, dämpfte dies die schädliche Wirkung der Proteinfragmente.
Die bisherige Therapieforschung zielt hauptsächlich auf die Amyloid-Plaques sowie Taufibrillen ab – ebenfalls schädlich Proteinverklumpungen im Gehirn von Demenzkranken. Entsprechende Behandlungsansätze haben jedoch bislang noch keinen durchschlagenden Erfolg gebracht. Die neuen Daten zeigen nun einen unerforschten Weg auf: »Unsere Daten unterstützen die Idee, dass eine Stabilisierung oder Erhöhung der Menge an schützender sRNA im Gehirn ein völlig neuer Ansatz sein könnte«, wird der Studienleiter Peter in der Pressemitteilung zitiert. Tatsächlich gibt es solche Wirkstoffe bereits. Sie müssen aber erst noch in Tiermodellen erprobt und verbessert werden.
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