Römisches Skelett: Hat hier ein Löwe einen Gladiator gebissen?

Fachleute haben nach eigener Aussage die Überreste eines römischen Schaukämpfers entdeckt, der von einer Raubkatze zerfleischt wurde. Das Skelett aus dem 3. Jahrhundert fand sich in einem Friedhof beim englischen York, wie Forscherinnen und Forscher um Tim Thompson von der irischen Maynooth University in »PLOS ONE« berichten. Der Fund liefere erstmals einen direkten Nachweis für Tierhetzen und Gladiatorenkämpfe in den Arenen des römischen Britanniens, die sonst fast nur durch Bilder auf Mosaiken, Keramik oder Reliefs sowie in antiken Texten bezeugt sind.
In den Amphitheatern des Römischen Reichs kämpften Gladiatoren gegen Gladiatoren, man hetzte – als eine Form der Hinrichtung – Raubtiere auf Kriegsgefangene und Straftäter, und es fanden Tierhetzen statt. Bei Letzteren, den »venationes«, traten bewaffnete Kämpfer gegen Bären, Raubkatzen oder Elefanten an. Das Team um Thompson ist nun überzeugt, auf das Skelett eines solchen Venators gestoßen zu sein. Bei Grabungen 2004 und 2005 an den einstigen Ausfallstraßen des römischen York (Eboracum) entdeckten Archäologen einen Friedhof mit knapp 100 Gräbern aus der Zeit des 1. bis 4. Jahrhunderts.
Wie anthropologische Analysen ergaben, handelte es sich bei fast allen Toten vom Fundplatz Driffield Terrace um Männer zwischen 18 und 45 Jahren. An vielen ihrer Knochen entdeckte man teils verheilte Spuren von Gewalteinwirkung: Frakturen am Schädel sowie gebrochene Zähne, Daumen und Wirbel. Zudem hatten Isotopenanalysen gezeigt, dass die Männer aus vielen Orten des Römischen Reichs in die britannische Provinz gekommen waren. Aus diesen Gründen deuten die Archäologen den Friedhof als Ruhestätte einer Gladiatorentruppe, auch wenn man keine Inschriften fand, die diese Deutung untermauern könnten.
Bissspuren eines Löwen an einem Gladiator
Am Skelett des vermeintlichen Venators, der in einem Alter zwischen 26 und 35 Jahren gestorben war, fielen den Forschern Löcher in den Beckenknochen auf. Diese identifizierte der Forensiker im Team als Bissspuren einer Raubkatze. Vermutlich war es ein Löwe, der am Hüftbereich des Mannes gefressen hat – entweder als dieser noch lebte oder kurz nachdem er gestorben war. Sollte die Deutung von Driffield Terrace als Gladiatorenfriedhof stimmen, könnte es sich bei dem Toten um einen Venator gehandelt haben. Es ist aber auch möglich, dass er ein Kriegsgefangener oder Straftäter war, der hingerichtet werden sollte – und dazu den Löwen vorgeworfen wurde.
Außergewöhnlich ist die Bestattung allemal. Vermutlich nach seinem Tod war der Mann enthauptet und sein Kopf im Grab wieder auf den Hals gesetzt worden. Er war allerdings nicht der Einzige, an dem man diese Prozedur durchgeführt hatte: Fast 70 Prozent der Toten von Driffield Terrace wurden post mortem geköpft. Eine Grabsitte, die die Menschen auch anderswo im römischen Britannien pflegten.
Gladiatorenkämpfe im Römischen Reich sind durch Darstellungen in antiken Bildern und Schriften gut belegt. Fachleute kennen jedoch kaum Überreste von Gladiatoren, also von Menschen, die tatsächlich in einer Arena kämpften, Blessuren davontrugen oder im Schaugefecht umkamen. Ausgenommen ist bislang ein Gladiatorenfriedhof in Ephesos in der heutigen Türkei. Dort legten Archäologen die Überreste von 68 Menschen frei, die teils verheilte und teils tödliche Schlag- und Stichwunden aufwiesen. Diese Verletzungen rührten demnach ausschließlich von Waffenkämpfen zwischen Menschen her.
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