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Verhaltensbiologie: Rollentausch

Zwar sind die Spalten unter "Frau sucht Mann" meist länger als im umgekehrten Fall, aber als "normal" im gesamten Tierreich wird denn doch in der Regel das Männchen als werbendes Etwas beim Thema Partnerfindung betrachtet. Ausnahmen bestätigen wie üblich die Regel - und Schwimmgrundeln empfinden klassisches Rollenverhalten offenbar gleich ganz als zeitlich begrenzte Angelegenheit mit Tauschoption.
Schwimmgrundeln
Mann muss begeistern, um Frau zu gewinnen: So sieht sie aus, die klassische Rollenverteilung im Blick der Verhaltensbiologen. Mutter Natur hat dementsprechend für zahlreiche Werbemaßnahmen gesorgt, die der angebeteten Heiratsmarktaspirantin signalisieren, dass sie den einzig Richtigen vor sich hat – oder aber dem unerwünschten Rivalen, dass er schleunigst das Feld räumen sollte.

Natürlich gibt es wie überall auch den umgekehrten Fall, dass die Weibchen den Hahn im Korb umgarnen und er genüsslich wählen darf. Das aber ist eher die Ausnahme als die Regel. Wie auch immer: Wer nun wen umwirbt, eines galt als sicher – an den jeweiligen Rollen des einzelnen Geschlechts ändert sich nichts.

Pustekuchen, melden Elisabet Forsgren von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim und ihre Kollegen. Die Forscher hatten sich das Paarungsgeschehen bei Schwimmgrundeln (Gobiusculus flavescens) genauer angesehen und dabei die verblüffende Entdeckung gemacht, dass diese kleinen, bunten Fische ganz offensichtlich nichts gegen einen Rollentausch haben.

Zu Beginn der Heiratssaison müssen, wie so oft, die Männchen ran. Heftig umwerben und bezirzen sie die Weibchen, die sich das Ganze geruhsam betrachten und sich eine sorgsame Auswahl leisten. Nebenbei setzen sich die Väter in spe untereinander heftig zu, um die Mitbewerber auszustechen. Und nicht nur das fordert wohl seinen Preis: Im Laufe der kurzen Fortpflanzungszeit rafft es neunzig Prozent der Fischmänner dahin.

Der nach und nach entstehende Männermangel sorgt für eine durchaus nachvollziehbare, aber dennoch bei Wirbeltieren noch nie beobachtete Reaktion: Nun sind die Weibchen gefordert, wenn sie sich aus dem knappen Angebot einen netten Mann angeln wollen. Während sich also die Samenspender entspannt zurücklehnen können – was sie auch tun, denn männliche Balz- und Drohrituale werden zum seltenen Ereignis –, bricht unter den Fischdamen ein wilder Konkurrenzkampf aus. So findet sich ein einsames Männchen gegen Ende der Saison nicht selten von bis zu zwanzig liebeshungrigen Weibchen umringt – welch ein Plus an Aufmerksamkeit im Vergleich zum zärtlichkeitsarmen Frühjahr.

Interessant ist, dass dieser Wechsel nicht dann stattfindet, wenn in beiden Geschlechtern gleich viele fortpflanzungstechnisch aktive Einheiten vorhanden sind. Was ist damit gemeint? In der Regel zeigen sich Männchen sexuell aktiver, pro Fischmann sind also mehr solcher Einheiten anzurechnen als bei Weibchen. Daher ist eine Population, in der dieselbe Individuenzahl an Männlein und Weiblein vorhanden ist, trotzdem "männerlastig". Mit der Abnahme der männlichen Schwimmgrundeln entsteht jedoch irgendwann die Situation, dass es auf beiden Seiten gleich viele Einheiten gibt. Der Umschwung im Verhalten findet jedoch erst auf einer deutlich "frauenlastigen" Seite statt.

Wie kommt es dazu? Die Forscher spekulieren, dass die Kosten dafür verantwortlich sind, die das jeweilige Geschlecht in die Fortpflanzung investieren muss. Lassen sich die Weibchen wie bei den Schwimmgrundeln erst spät von einem Rollentausch überzeugen, dürften ihre derartigen Anstrengungen wohl ziemlich hoch liegen, meinen Forsgren und ihre Kollegen. Doch müsse das natürlich noch überprüft werden.

Jedenfalls könnte ihrer Ansicht nach das Phänomen Rollentausch in der Tierwelt weitaus verbreiteter sein als bislang vermutet – schließlich entsteht ein Partnermangel nicht nur durch frühe Todesfälle auf Grund von Auszehrung oder erhöhten Räuberdrucks, sondern kann auch kleinräumig oder zeitlich eingeschränkt auftreten. Gegebenenfalls ist dann so manche Zuordnung zu klassischem oder umgekehrten Rollenverhalten auf Artniveau noch einmal zu überdenken. Und abgesehen davon müssten sich Weibchen so auch mit einem sonst eher männertypischen Thema beschäftigen: dem Einfluss der sexuellen Selektion. Ob sie damit wohl ähnlich oder ganz anders umgehen als ihre potenziellen Paarungspartner?

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