Direkt zum Inhalt

Wahrnehmung: Rot sehen, grün wählen

Woran erkennt man eigentlich Quacksalberei? Vielleicht daran, dass sie nicht von der Krankenkasse bezahlt wird? Dann zumindest ist die Hypnose über einige Zweifel erhaben. Auch wissenschaftliche Experimente belegen allerdings mittlerweile ihre Wirksamkeit - und ihren Einfluss auf Gehirnprozesse.
Verwirrt?
In der Zahnarztpraxis, dem derzeitigen Haupteinsatzgebiet praktischer Hypnose-Behandlung, zahlt der Patient selbst für seine hypnotische Trance. Allerdings tun dies aber selbst im Zeitalter des Geizes mehr und mehr ohne Murren – vielleicht sollte man ja überhaupt eher Betroffene und Beteiligte fragen, ob eine Behandlung Quacksalberei ist? Auf Hypnose jedenfalls verlassen sich schon viele, die ganz ohne pharmazeutische Beihilfe die Schmerzen einer medizinischen Behandlung nur verschwommen am Rande wahrzunehmen möchten.

Hypnose versetzt uns in einen Gemütszustand zwischen Wachen und Schlafen. Dabei funktionieren zwar alle Sinnesorgane, teilweise aber ist ihre Wahrnehmung stark gedämpft. Unter Führung einer hypnotischen Einflüsterung kann zudem vermeintlich Bedeutendes wie Schmerz eher nebensächlich werden: Hypnotisierte sind in der Lage, sich auf vom Hypnotiseur nahe gelegte Dinge extrem stark zu konzentrieren und vieles um sich herum dabei zu vergessen – ein sehr brauchbares Ablenkungsmanöver gegen allfällige Behandlungsschmerzen.

Hirnforscher sind mittlerweile schon längst weiter als beim bloßen Versuch, das Phänomen generell zu untersuchen. Analysiert werden etwa die speziellen Vorzüge des vermeintlich leicht weggetretenen Bewusstseinszustandes: Ein Hypnotisierter ist schließlich nur deshalb von etwas Bestimmten abgelenkt, weil er sich auf etwas anderes Bestimmtes sehr stark konzentriert. Wissenschaftlern wie Amir Raz von der Columbia-Universität kann diese starke Fokussierung einiges über die Arbeitsweise des Gehirns beibringen.

Kurze Pause. Entspannen Sie sich, denken Sie erstmal nicht weiter an Hypnose, sondern an rollende Wellen am Strand, wogende Halme eines Getreidefeldes, rauschende Blätter einer Kastanie im Wind – und sagen Sie ohne lang nachzudenken, was folgende Wörter für eine Farbe haben: grünes Gras. Grün? Nicht ganz. Allerdings fallen auf diesen Trick (Experten kennen ihn als so genannte Stroop-Interferenz) auch einige andere herein. Auch denen wäre das übrigens wohl nicht passiert, wenn sie vorher hypnotisiert worden wäre, fasst Raz seine jüngsten Ergebnisse zusammen.

Sein Team hatte ein ganz ähnliches Wahrnehmungs-Konflikt-Experiment durchgeführt wie wir gerade, nur natürlich professioneller. Die Forscher, angeschlossen waren auch berufserfahrene Hypnotiseure, arbeiteten mit 16 in einem Vorversuch aus 95 Personen ausgewählten Freiwilligen – acht der Teilnehmer waren erwiesenermaßen sehr leicht und gut, acht dagegen eher schwer zu hypnotisieren.

Das bestätigte sich im eigentlichen Test, bei dem die 16 hypnotisierten ein Experiment am Bildschirm durchführen sollten. Davor wurde ihnen suggeriert, die auf dem Monitor erscheinenden Wörter (die grün dargestellte Vokabel "Rot" oder ein rotes "Grün") seien unverständliche Vokabeln einer fremden Sprache – nur die Farbe der Buchstaben sollte im Test schnellstmöglich per Druck auf entsprechende Knöpfe angezeigt werden. Während des Tests beobachtete dann ein Magnetresonanztomograf die Hirnaktivität der Probanden. Zusätzlich zeichneten die Wissenschaftler ereignisrelevante Potenziale (ERP), also die jeweiligen Aktivitäten und Reaktionen der Hirnzellen, mit 128 Elektroden auf.

Hypnose beeinflusst die Aktivitäten des Gehirns | Unter Hypnose werden bei einer Stroop-Interferenz Bereiche im vorderen cingulären Kortex weniger stark aktiv als bei nicht Hypnotisierten. Bestimmte zur visuellen Verarbeitung dienende Areale im hinteren Gehirnbereich arbeiten ebenfalls unterschiedlich stark.
Offenbar hatte die hypnotische Suggestion, nach der die Bedeutung der im Test gezeigten Wörter unverständlich seien, tatsächlich nur bei Hypnose-Anfälligen eindeutige Folgen – dort allerdings umso eindrucksvollere. Bei ihnen reduzierte sich nicht nur die Fehleranfälligkeit beim Stroop-Versuch eindeutig, zugleich tat sich aber auch im Gehirn der Probanden messbar erstaunliches. Eigentlich – und im Versuch bei den Nicht-Hypnotisierten auch nachweisbar – löst Stroop-Interferenz verwirrte Aktivitäten im ACC, dem vorderen cingulären Kortex aus. Diese waren bei Hypnotisierten allerdings viel weniger deutlich. Zudem enthüllten die ERP-Auswertungen, dass bei ihnen bestimmte im Hinterhaupt liegende Zentren visueller Verarbeitung weniger stark aktiv waren.

Schlussfolgerung der Forscher: Hypnose hilft dabei, Wahrnehmung effizienter zu gestalten, indem sie als unnötige Zusatzinformation eingestuften Reize – etwa den als irrelevanten eingeflüsterten Wortinhalt der rotgefärbten Vokabel "Grün" – einfach wegfilterten. Dies geschah im Versuch offenbar, bevor sich höhere Verarbeitungsebenen des Gehirns mit dem Problem beschäftigen mussten – auf der Ebene der Weiterleitung visueller Informationen. Unter Hypnose fällt also der Fokus konzentrierter aufs Wesentliche – natürlich aber nur, solange der Hypnotiseur zuvor seinem Schützling auch die richtigen Wahrnehmungsfilter verpasst.

Bleibt nur noch festzuhalten, das missbräuliche Einflüsterung per Hypnose schwieriger ist als vielleicht vermutet: Zwar lassen sich letztlich wohl fast neun von zehn Personen hypnotisieren – dies klappt aber erst bei großem Vertrauen zu ihrem Gegenüber, dem Glauben an das Gelingen und der Fähigkeit sich einzulassen. Testen Sie's beim Zahnarzt – aber nur bei dem ihres uneingeschränkten Vertrauens.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.