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Naturschutz: Fremde Bäume unerwünscht?!

Nicht heimische Gehölze wie Roteiche und Purpurerle haben einen schweren Stand bei Naturschützern. Dabei werden sie dringend gebraucht, um die heißer werdenden Städte zu begrünen.
Rote Ahornblätter hängen an einem Ast, durch den die Sonne scheint und warme Lichtstrahlen erzeugt. Der Hintergrund ist unscharf und zeigt herbstliche Farben.
Die Roteiche (Quercus rubra) ist schädlingsresistent, schnellwüchsig und feuerfest. Doch sie bringt das Blut von Naturschützern in Wallung.

Manche Menschen scheinen die Roteiche regelrecht zu hassen. Sie sei ökologisch nicht wertvoll, könne die Bodenqualität negativ beeinflussen und heimische Organismen gefährden. Andere haben das majestätische Gehölz gerade zum Baum des Jahres 2025 ernannt. Denn Quercus rubra, wie die Roteiche botanisch heißt, gilt als schädlingsresistent und schnellwüchsig. Ihr Holz ist begehrt und ihre Feuerbeständigkeit ausgesprochen hoch, weshalb sie häufig in waldbrandgefährdete Kiefernforste gepflanzt wird. Im Herbst färbt das Laub sich leuchtend rot bis orange – woher auch ihr Name rührt. Man findet sie in zahlreichen Parks, entlang von Straßen und in vielen Wäldern.

Die Ehrung der Roteiche ist aber heftig umstritten, denn das Gehölz hat ein Problem: Es ist keine deutsche Eiche. Ihr natürliches Habitat ist nicht Mitteleuropa, sondern Nordamerika. Von dort wurde sie im 18. Jahrhundert als Zierbaum nach Europa eingeführt. Unter Naturschützern haben solche »fremden« Gehölze einen schweren Stand. Die Ablehnung hat viele Gründe. Es geht dabei um Ursprünglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Artenvielfalt. Das überzeugendste Argument aber ist zweifellos: Die Roteiche wird vom Bundesamt für Naturschutz als invasiver Neophyt eingestuft. Als solche werden Pflanzen bezeichnet, die sich von allein in neue Gebiete ausbreiten und dort Schaden anrichten.

Etliche Natur- und Umweltverbände äußern scharfe Kritik daran, dass die Roteiche nun Baum des Jahres ist. So lehnt etwa der BUND Nordrhein-Westfalen die Baumart ganz grundsätzlich ab. Auf der Homepage heißt es, die Dr.-Silvius-Wodarz-Stiftung, die den Titel vergibt, habe sich »verwählt«. Der NABU Thüringen bezeichnet die Wahl als »ökologische Kurzsichtigkeit«. Die Roteiche ziehe weniger Insekten an als heimische Eichenarten und ihre Laubstreu zersetze sich nur schlecht. Zudem sei ihre häufig gepriesene Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel nicht hinreichend belegt. Und auch der Landesverband für Vogel- und Naturschutz (LBV) spart nicht mit missbilligenden Worten: Die Auszeichnung sei ein »völlig falsches Signal«. Im Klimawandel auf nicht heimische Baumarten zu setzen, beschleunige die Krise der heimischen Artenvielfalt.

Stimmung gegen gebietsfremde Baumarten

Besonders stark wird in den sozialen Netzwerken Stimmung gegen die Roteiche gemacht. Ihre Gegner haben sich auf den Baum aus Nordamerika regelrecht eingeschossen. Die Wahl »sei ein völliger Schuss in den Ofen«, sagt der Tiktoker Robin König, besser bekannt als Robinga Schnögelrögel. Es sei eine Abstimmung, die sich schön einreihe in die »Kette der Scheißigkeit, denn 2020 wurde die Robinie Baum des Jahres« – ein weiterer fremdländischer Baum. Dann bricht der selbst ernannte Plantfluencer und Umweltmedienpreisträger, der auch für die ARD Podcasts aufnimmt, sein Video ab, weil ihm »die Kotze bis hier« stehe. Das ist, garniert mit echter Berliner Schnauze, zielgruppengerecht aufbereitet und einigermaßen amüsant anzusehen, aber in puncto Fachwissen eher fragwürdig. Dagegen wirkt Bestsellerautor und Förster Peter Wohlleben, der Roteichen ebenfalls verdammt, beinahe spröde und oberlehrerhaft. Sein Urteil lautet: Die Roteiche störe massiv den ursprünglichen Waldlebensraum. Wer solche Bäume pflanze, habe »vom Ökosystem Wald leider nicht allzu viel verstanden«.

Aber stimmt das? Von Vertretern der Forst- und Baumpflegebranche, die seltener in den sozialen Medien aktiv sind als Natur- und Umweltschützer, kommen ganz andere Töne. So meldete sich etwa die Baumkontrolleurin und Waldökologin Daniela Antoni, die als Treefluencerin immerhin einen Instagram-Kanal betreibt, in der »Baumzeitung« zu Wort. Seit einiger Zeit beobachte sie einen Trend, fremdländische Pflanzen zu diskreditieren, schreibt sie. So auch bei der Roteiche, deren Wahl zum Baum des Jahres ein Symptom sei für eine völlig aus dem Ruder gelaufene Debatte um gebietsfremde Arten. Dazu muss man wissen: Naturschützer und Forstwissenschaftler respektive Baum- oder Gartenspezialisten beharken sich seit Jahrzehnten. Die Debatte scheint immer unversöhnlicher zu werden.

Antoni sagt, der Begriff »nicht heimisch« werde benutzt, um gegen gebietsfremde Pflanzen zu hetzen. Eine immer stärker ausgeprägte »Neophytenfeindlichkeit« breite sich in Deutschland aus. Und sie kritisiert, dass solche Aussagen häufig von Nichtfachkundigen stammen, die wenig differenziert auf die Materie schauten. »Die Stimmen, die am lautesten schreien und den lustigsten Content kreieren, sind nicht immer die kompetentesten«, sagt sie im Gespräch mit »Spektrum.de«.

»Das ist fast schon vergleichbar mit einer Form von ökologischer Ausländerfeindlichkeit«Daniela Antoni, Waldökologin

Die Kritik bezieht sich auf die pauschale und reflexartige Ablehnung nicht heimischer Pflanzen. Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass gebietsfremde Bäume oftmals weniger Arten beheimaten als heimische, doch diese Ergebnisse stammen aus dem Wald und lassen sich nur bedingt auf Straßenbäume in urbaner Umgebung übertragen. Sie würde es deshalb ebenfalls nicht befürworten, die Roteiche in der offenen Landschaft anzupflanzen, sagt Antoni. An ohnehin stark vom Menschen beeinflussten Standorten wie städtischen Parks hingegen sei das anders. Hier zählten vielmehr Kriterien wie Trockenheitsresistenz, Anpassungsfähigkeit ans urbane Mikroklima, Schadstofftoleranz und Ökosystemdienstleistungen wie etwa Schatten zu spenden. »Statt ›heimisch‹ zum Hauptargument zu machen, sollten wir auf die funktionalen Eigenschaften von Bäumen achten«, fordert sie. Diese nüchternen Fakten würden allerdings oft ignoriert, während das Prädikat »heimisch« emotional aufgeladen werde. »Das ist fast schon vergleichbar mit einer Form von ökologischer Ausländerfeindlichkeit«, sagt Antoni. Hat die grüne Branche ein Xenophobie-Problem?

Fakt ist: Schon jetzt stoßen heimische Baumarten in den Städten an die Grenzen ihrer Widerstandskräfte; sie gehen wegen der zunehmenden Hitze und Trockenheit ein oder werden von Pilzen oder Schädlingen geschädigt. Erst starben die Ulmen, dann raffte ein Pilz die Eschen dahin, und auch die Sommerlinde kommt immer schlechter zurecht. Mittlerweile kämpfen zudem Hainbuche, Bergahorn und Erle gegen Krankheiten. Kurzum: Die meisten heimischen Bäume werden es in den immer heißer werdenden Städten künftig nicht mehr schaffen. Doch ohne Bäume verwandeln sich unsere Metropolen in Saunen.

Auf die Hitze- und Trockenresistenz der Roteiche gehen auch die Verantwortlichen der Dr.-Silvius-Wodarz-Stiftung, die seit 1989 den Baum des Jahres ausruft, in ihrer Erklärung zur Wahlentscheidung ein. Sie heben hervor, dass die Roteiche im Gegensatz zu vielen heimischen Stadtbäumen wenig empfindlich für Streusalz sei. Die ins Feld geführte Invasivität der Roteiche sei bei näherer Betrachtung wenig überzeugend. Die Entscheidung des Bundesamts für Naturschutz beruhe auf einem Spezialfall, schreibt die Stiftung auf ihrer Homepage. Sie sei im Waldgrenzbereich des Elbsandsteingebirges nachgewiesen worden. Dort haben Roteichen in der Vergangenheit die vereinzelt in den Felsspalten und auf den Felsplateaus der Sächsischen Schweiz wurzelnden heimischen Traubeneichen verdrängt. Und so widerspricht der Verband Forstlicher Forschungsanstalten der Einstufung des Bundesamts mit dem Hinweis darauf, dass es sich um einen unangemessen stark generalisierten Einzelfall handle. In den Waldgebieten in Deutschland gebe es keine weiteren bekannten Fälle, in denen sich die Roteiche unkontrolliert breitgemacht habe. Auch in städtischen Parkanlagen sei eine massive Ausbreitung nicht bekannt.

Ökologische Xenophobie in deutschen Städten und Gemeinden

Trotzdem sind zahlreiche Städte und Gemeinden in Deutschland mittlerweile dazu übergegangen, nur noch auf heimische Baumarten zu setzen. Die Ablehnung von gebietsfremden Pflanzenarten wird in der Regel allerdings nicht offen kommuniziert. Man muss die offiziellen Pflanzlisten durchstöbern, um die Einstellung der Grünflächenämter dazu herauszufinden. Eine kleine Stichprobe zeigt: Keine oder wenig nicht heimische Arten finden sich beispielsweise in Radolfzell am Bodensee, in Donaueschingen auf der Baar oder auch in Löhne in Ostwestfalen. Dort sind explizit nur heimische Arten erwünscht.

Für Daniela Antoni ist diese pauschale Ablehnung völlig unverständlich. In einer sich schnell verändernden Welt, geprägt von Klimawandel und Urbanisierung, sei es entscheidend, flexibel zu denken und das Potenzial neuer Arten zu erkennen, anstatt sich von dogmatischen Ansätzen leiten zu lassen, kritisiert sie.

Unterstützung erhält Antoni von Susanne Böll. Die Biologin von der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim bei Würzburg beobachtet schon lange die emotional aufgeladene Debatte. Seit vielen Jahren forscht sie zu Stadtbäumen. Dazu untersucht sie heimische und nicht heimische Baumarten an drei unterschiedlichen Standorten in Bayern. Würzburg mit seinem Weinbauklima ist der wärmste Standort des Projekts. Hier müssen die Bäume Hitze und Trockenheit aushalten, dürfen aber nicht frostempfindlich sein. Die anderen Testbäume der Versuchsreihe stehen im oberfränkischen Hof, wo ein eher kaltes Klima herrscht, sowie im regenreichen Kempten im Allgäu.

Drei Jahre lang hat Böll im Forschungsprojekt »Lebensraum Stadtbaum« zudem die Artengemeinschaften in den Kronen verschiedener Straßenbaumarten am Würzburger Standort untersucht. Dabei wollte sie dem Vorwurf vieler Ökologen und Umweltverbände auf den Grund gehen, dass fremde Baumarten »ökologische Wüsten« seien, und herausfinden, ob sich auf nicht heimischen Bäumen wirklich weniger Arten finden als auf heimischen. Bislang war die Forschungslage zu diesem heiklen Thema schlecht. »Wir sind die Ersten, die das in der Stadt systematisch untersucht haben«, sagt Böll.

Forschungsprojekt zeigt: Sorgen sind unbegründet

Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Sorgen unbegründet sind. Böll konnte keinen Trend feststellen, wonach auf heimischen Bäumen mehr Lebewesen zu finden seien als auf nicht heimischen. Auch bei der Vielfalt der Arten habe es keine grundsätzlichen Unterschiede gegeben. »Für Zikaden ist die Purpurerle, die eine Kreuzung aus zwei asiatischen Erlen ist, einfach eine Erle«, sagt Böll. Das gleiche Muster fand sie bei Ulmen: Zikaden sei es egal, ob die Ulme heimisch oder eine gebietsfremde Züchtung ist. Auch Wanzen zeigten ein erstaunliches Verhalten: Sie bevorzugen zwar heimische Bäume wie Esche, Stadtulme und Spitzahorn, lassen sich aber genauso zahlreich auch auf nicht heimischen Baumarten wie der Amerikanischen Linde (Tilia americana) und den asiatischen Resista-Ulmen finden. »Die untersuchten Insektenarten zeigen keine gezielte Präferenz«, lautet Bölls Fazit. Unterschiede offenbarten sich nur zwischen den verschiedenen Baumarten.

Für Susanne Böll ist es daher völlig unverständlich, wie man nicht heimische Baumarten in der Stadt pauschal ablehnen kann – zumal der Klimawandel weiter voranschreitet. »Viele Garten- und Grünflächenämter sind verzweifelt, weil es kaum noch heimische Arten gibt, die mit Hitze und Trockenheit in der Stadt zurechtkommen«, sagt sie. In manchen Jahren hätten gebietseigene Bäume im Hochsommer ihr Laub bereits abgeworfen, während gebietsfremde noch zurechtkamen. Allein das zeige die Notwendigkeit, neue Baumarten anzusiedeln.

»Jeder Baum ist willkommen, der mithilft, das Grün in unseren Städten zu bewahren«Susanne Böll, Biologin

Gleichwohl sind nicht alle fremden Bäume für die städtische Umgebung geeignet, das weiß auch Susanne Böll. »Es gibt Bäume, die ich hier niemals pflanzen würde«, sagt sie. Dazu zählten der aus Asien stammende Götterbaum und die nordamerikanische Robinie. Beide Arten sind erwiesenermaßen invasive Neophyten, die sich tatsächlich unkontrolliert ausbreiten. »Das ist für mich der einzige Grund, nicht heimische Arten abzulehnen«, sagt sie.

Die höchste Biodiversität erreiche man dann, wenn man möglichst viele verschiedene, vitale Baumarten standortgerecht pflanze, sagt Böll. Grünstreifen etwa seien so wichtig, weil sie Wildbienen, Zikaden und Wanzen einen Lebensraum bieten. Und die Zeit drängt: Mittlerweile trotzen nur noch sehr wenige Arten den harschen Bedingungen in der Stadt. Für Susanne Böll ist daher klar: »Die Vielfalt der Bäume in urbanen Umgebungen muss erhöht werden.« Niemand wolle schließlich in einer heißen, unwirtlichen Betonwüste leben. »Deshalb ist jeder Baum willkommen, der mithilft, das Grün in unseren Städten zu bewahren.«

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