Direkt zum Inhalt

News: Rotwein statt Hormonspritze

Forscher an der Northwestern University Medical School haben eine Chemikalie im Rotwein, die das Risiko reduzieren soll, am Herzen zu erkranken, als Form von Östrogen identifiziert. Diese Substanz, Resveratrol, findet man hochkonzentriert in Weintraubenschalen und auch reichlich in Rotwein.
Wie häufig berichtet wird, reduziert Rotwein – maßvoll genossen – das Risiko einer Herzgefäßerkrankung. Einigen Forschern zufolge, beruht dies auf dem sehr reichlich in der Schale von Weintrauben vorhandenen Resveratrol. Resveratrol schützt Weintrauben und einige andere Pflanzen vor Pilzinfektionen. Wie bereits früher gezeigt, besitzt Resveratrol verschiedene gesundheitsfördernde Eigenschaften: Es wirkt als Antioxidans und Gerinnungshemmer, ist entzündungs- und sogar krebshemmend.

Die molekulare Struktur von Resveratrol ist der von Diethylstilbestrol, einem synthetischen Östrogen, ähnlich. Deshalb erforschten Barry D. Gehm, Dr. med. J. Larry Jameson und Kollegen von der Northwestern University, ob die pharmakologischen Eigenschaften von Resveratrol denen von Estradiol ähneln, dem wichtigsten natürlichen Östrogen beim Menschen.

Wie in der Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences vom 9. Dezember berichtet wird, belegten die Laborstudien der Gruppe, daß Resveratrol ein Östrogen ist, genauer gesagt: ein Phyto-Östrogen, ein pflanzlicher Wirkstoff. Resveratrol aktiviert sowohl künstlich eingeführte „Reportergene" als auch in der Natur vorkommende, Östrogen-gesteuerte Gene in menschlichen Zellkulturen, und zwar in Konzentrationen, bei denen es auch seine anderen biologischen Wirkungen entfaltet. Ferner entdeckten die Forscher, daß Resveratrol das Estradiol ersetzen kann, welches die Vermehrung bestimmter Brustkrebszellen fördert, die zum Wachtum Östrogen benötigen.

„Östrogen” ist keine spezifische Verbindung, sondern eine nach ihrer biologischen Wirkung definierte Kategorie von Substanzen. Östrogene wurden ursprünglich nach ihrer Fähigkeit benannt, in Tieren Östrus („in Hitze gehen”) zu induzieren und agieren in Zellen dergestalt, daß sie sich an ein Protein binden, den Östrogenrezeptor, der bestimmte Gene zur Expression veranlaßt oder auch „einschaltet”. Neben den Sexualhormonen des Körpers sind etliche andere – natürliche und künstliche – Östrogene bekannt.

Beim Studium von Genwirkungen verwenden viele Laboratorien künstliche Reportergene. Das in diesen Studien eingesetzte Reportergen ist das Gen für das Enzym Luciferase, welches das Leuchten bei Glühwürmchen hervorruft. Es wurde mit einem DNA-Teil verbunden, das der Östrogen-Rezeptor „erkennt”. Nachdem die Forscher dieses Reportergen in die Zellen brachten, erhöhte sich die Luciferase-Produktion in den mit Östrogen behandelten Zellen. Es waren leicht Messungen anhand des abgestrahlten Lichtes möglich.

In einigen Zellen erzeugte Resveratrol eine größere Wirkung des Reportergens als Östradiol. Gehm zufolge war dies eine Überraschung, da man immer davon ausgegangen war, daß Estradiol den Östrogen-Rezeptor am stärksten aktivieren würde. Wie die Wissenschaftler herausfanden, produziert die effektivste Dosis Resveratrol zwei bis vier Mal mehr Licht als die effektivste Dosis Östradiol. Östradiol jedoch wirkt allerdings bereits bei viel geringeren Dosen.

„Die östrogenen Eigenschaften von Resveratrol könnten eine Rolle bei den positiven Wirkungen von Rotwein auf die Herzgefäße und beim sog. 'französischen Paradoxon' spielen”, sagte Gehm dazu.

Östrogen ist dafür bekannt, vor Herzleiden zu schützen, und gleiches wird auch für Rotwein angenommen. Ihre spezifischen Wirkungen sind ähnlich, zum Beispiel erhöhen beide den Blutspiegel des „guten Cholesterins” (HDL). Diese Wirkung des Rotweins könnte durch das Resveratrol hervorgerufen werden. Doch gab Gehm zu bedenken, daß noch nicht bekannt ist, ob der Körper genügend Resveratrol aus dem Wein absorbiert, um diese Erklärung plausibel erscheinen zu lassen.

Trotzdem kann die Beobachtung, daß Resveratrol eine höhere Wirkung auf einige Östrogen-gesteuerte Gene als Östradiol hat, letztlich zu neuen, selektiv anwendbaren östrogenen Medikamenten führen. Gegenwärtig verfügbare selektive Östrogene werden in der Behandlung von Brustkrebs (Tamoxifen) und Osteoporose nach der Menopause (Raloxifene) genutzt.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.