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Urheberrecht: Rückfall in die analoge Steinzeit?

Digitale Medien erleichtern den Zugang zu Informationen für Schüler und Studierende, Verlage sehen allerdings ihre Rechte bedroht. Der Gesetzgeber ist gefordert, den Konflikt zu beenden.
Paragrafen

Seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen der deutschen Bildungs- und Wissenschaftsszene einerseits und der Verlagsszene andererseits. In der nun startenden neuen Bundestagssaison könnte er sich entladen. Ursache des Streits sind das Internet und das Zeitalter der Digitalisierung. Denn was viele Forscher, Hochschulen, Lehrende schon lange tun – Artikel, Texte, Lehrmaterialien auf Onlineplattformen zur Verfügung stellen und austauschen –, steht rechtlich auf wackeligen Beinen. Das wissen die Verleger und machen massiv Front gegen das freie Veröffentlichen von Printprodukten durch PDF und Co. Die neue technische Option gilt als Hauptursache für den Umsatzrückgang im Fach- und Lehrbuchgeschäft sowie bei gedruckten Zeitschriften. Viele Wissenschaftsverlage wollen solche Art von Veröffentlichungen am liebsten verbieten lassen und verweisen dazu auf das Urheberrecht.

Der Konflikt ähnelt in groben Zügen dem Streit, den sich auch die Musikindustrie, Künstler, Klubbetreiber und die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) liefern. Es geht um die Frage: Wer hat die Urheberrechte an einem kreativen Produkt? Wer darf damit Geld verdienen? Und was ist im gelebten Alltag sinnvoll und praktikabel? Beziehungsweise welche drakonischen Schranken gehen an der technischen Wirklichkeit vorbei?

Anders als beim Konflikt zwischen der GEMA und Klubbetreibern ist das Duell zwischen Verlagsindustrie sowie Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen von der Öffentlichkeit aber bislang kaum wahrgenommen worden. Der Schlagabtausch verlief leiser und auch eher in Expertenkreisen. Denn wer sich mit dem Thema Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft auseinandersetzen wollte, musste einen Dschungel von Paragrafen, Absätzen und Sonderregelungen durcharbeiten. Wirklich verstanden wurde der sperrige Stoff nur von juristischen Kennern.

Ende eines Sonderrechts

Doch nun drängt die Zeit. Denn eine dieser Klauseln, Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes mit dem offiziellen Titel "Öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung", läuft Ende 2012 aus. Die Regelung erlaubte es bislang unter anderem, "veröffentlichte Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften ausschließlich für einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung öffentlich zugänglich zu machen" – so der Wortlaut. Ein anderer Absatz beschreibt Gleiches für Unterrichtsmaterialien an Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen.

Wissenschaft und Bildung bekamen mit § 52a ein Privileg in Sachen Urheberrecht eingeräumt. Ab dem 1. Januar 2013 ist damit Schluss, wenn sich im politischen Berlin nichts Neues tut. Im Klartext: Professoren dürften ab nächstem Jahr keine digitalen Semesterapparate mehr anbieten, Forscher dürften in Blogs, Foren und anderen Plattformen keine Zeitschriftenartikel mehr online stellen oder per E-Mail verschicken. Bibliotheken dürften keine Bücher oder Texte mehr elektronisch kopieren und zum Lesen zur Verfügung stellen. Digitale Lernplattformen stünden vor dem Aus. Neben Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehen Schulen vor dem gleichem Problem.

Einen Vorgeschmack, was das für den akademischen Alltag bedeutet, gab es schon vor einigen Monaten. An der Fernuniversität Hagen hatte ein Professor auf einer eLearning-Plattform einen Auszug eines Psychologie-Fachbuchs zum Lesen und Herunterladen online gestellt. Das Vorhaben lag in der Natur der Sache, denn Fernstudierende reisen kaum zum Lesen eines Buchs nach Hagen in die Bibliothek. Das vom Professor veröffentlichte PDF umfasste 91 der insgesamt 476 Seiten des Fachbuchs. Das war aber selbst mit § 52a offenbar viel zu lang. Der Alfred-Kröner-Verlag sah seine Ansprüche verletzt, klagte und bekam Recht. Im April 2012 entschied das Oberlandesgericht Stuttgart, maximal drei Seiten wären zulässig gewesen, mehr nicht.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels frohlockte, nannte es ein "Musterverfahren" und legte bei der Gelegenheit gleich noch nach, indem er forderte: "Es wird höchste Zeit, dass § 52a Urheberrechtsgesetz am Ende dieses Jahres ausläuft." Tatsächlich war § 52a der Verlagsbranche schon immer ein Dorn im Auge. Dass es diese Sonderregelung überhaupt gibt, war ein politischer Kraftakt. Schon zweimal bekam der Paragraf eine Gnadenfrist: Zuerst sollte er nur von 2003 bis 2006 gelten, dann wurde er verlängert bis 2008 und schließlich bis Ende 2012.

"Der Gesetzgeber wollte die Medienkompetenz der Bevölkerung stärken und die Möglichkeit eröffnen, Lehr- und Forschungsmaterialien digital bereitzuhalten. Dafür sollte der Paragraf 52a die Plattform bilden", erklärt Harald Müller vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und stellvertretender Sprecher des Aktionsbündnisses "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft". Das Bündnis engagiert sich seit vielen Jahren für ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht. Es wird unterstützt von großen Wissenschaftsorganisationen sowie Fachgesellschaften, Forschungsverbänden und Bibliotheken.

Millionen umsonst investiert?

Müller berichtet, dass die Bildungs- und Wissenschaftscommunity ein paar Jahre benötigte, um sich auf die neuen technischen Möglichkeiten einzurichten und sich diese nutzbar zu machen. "Um den Paragrafen 52a mit Leben zu füllen, brauchte man zuerst einmal die entsprechende Hard- und Software", sagt Müller. Ein unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) zeigt, dass zunehmend mehr Geld und Arbeitskräfte an Bildungseinrichtungen in digitale Lernplattformen fließen. "Wenn Paragraf 52a wegfällt, dann hätten insbesondere die für Bildung zuständigen Bundesländer gigantische Fehlinvestitionen getätigt, und man fällt zurück in die analoge Steinzeit", sagt Müller.

Dass das kein Wunschszenario sein kann, ist nun offenbar auch im politischen Berlin angekommen. Nachdem monatelang Schweigen herrschte in Sachen Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, ist das Thema vor der Sommerpause plötzlich in Bewegung geraten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veröffentlichte Ende Juni ein Positionspapier zum "Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft", in dem sie unter anderem explizit für ein "bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht" plädiert. Wie das genau aussehen soll, wird zwar nicht erklärt. Mit Blick auf Paragraf 52a heißt es allerdings: "Auf Grund der voranschreitenden Digitalisierung sind viele dieser Regelungen nicht mehr passgenau und teilweise technisch überholt. Auch könnten sich einige Regelungen vor Gericht als nicht praktikabel herausstellen."

"Wenn Paragraf 52a wegfällt, dann hätten insbesondere die für Bildung zuständigen Bundesländer gigantische Fehlinvestitionen getätigt, und man fällt zurück in die analoge Steinzeit"
Harald Müller

Die Fraktion dringt deshalb auf eine "kurzfristige Überarbeitung" sowie die Einführung einer so genannten einheitlichen Wissenschaftsschranke. "Ziel ist es, alle Belange für Bildung und Wissenschaft in einem Paragrafen zusammenzuführen. Auch Themen wie Open Access und das Zweitverwertungsrecht müssten darin mit eingebaut werden, damit die Belange der Wissenschaft klarer und transparenter sind", sagt Michael Kretschmer, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion und Mitautor des CDU/CSU-Urheberrechtspapiers.

Kurzfristig sei dies allerdings nicht zu schaffen. Kretschmer plädiert deshalb für eine erneute Verlängerung des Paragrafen 52a. "Parallel dazu sollten die Arbeiten aufgenommen werden, um daraus eine umfassende Änderung für die Wissenschaft im nächsten Jahr zu verabschieden." Denn als Dauerlösung tauge die jetzige Praxis nicht, die technologische Entwicklung verlange eine grundlegende Überarbeitung.

Die Spitze eines Eisbergs

Die SPD hält von diesem Vorstoß wenig: "Da geistert alles Mögliche an Papieren herum, aber es gibt keine konkreten Aussagen", kritisiert der SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Rechtsausschusses Burkhard Lischka. Unter seiner Federführung hat die SPD-Fraktion ebenfalls kurz vor der Sommerpause einen handfesten Gesetzentwurf zur dauerhaften Entfristung des Paragrafen 52a vorgelegt.

Lischka hofft, dass nun im Herbst im Bundestag darüber verhandelt wird, damit Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen Klarheit haben, wie es ab 2013 mit elektronischen Publikationen weitergeht. Denkbar ist aber auch, dass sich das Bundesjustizministerium noch bis Jahresende kurzfristig entschließt, die Befristung von § 52a erneut zu verlängern. Das wäre dann das dritte Mal. In dem Fall würde sich für Forscher, Studierende, Lehrer und Schüler im Umgang mit PDF und Co. vorerst nichts ändern. "Zu Rechtssicherheit führt das aber auch nicht", moniert Lischka.

"Da geistert alles Mögliche an Papieren herum, aber es gibt keine konkreten Aussagen"
Burkhard Lischka

Tatsächlich ist § 52a nur die Spitze des Eisbergs. "Es gibt für Bildung und Wissenschaft eine Fülle von Einzelregeln, in denen es darum geht, ob man eine Kopie machen darf und wenn ja wie, ob man einen Film aufzeichnen darf, ob man das Filmmaterial veröffentlichen darf und so weiter", sagt Müller. Wissenschaftsorganisationen, Institute und Bibliotheken fordern deshalb seit Jahren all diese verstreuten Einzelregelungen in ein Gesamtpaket zu packen, das regelt, wie im Bildungs- und Wissenschaftsbereich Urheberrechtsfragen gehandhabt werden. Die Fachleute nennen es "einheitliche Wissenschaftsschranke". Eine solche Klausel würde die allgemeine Akzeptanz erhöhen, ist sich Müller sicher. Denn nicht nur beim § 52a gäbe es mehr Klarheit, auch ein zweites großes Thema, nämlich Open Access und die Frage des Zweitverwertungsrechts für Wissenschaftler, sollte darin geregelt werden. Die CDU hat sich nun also ebenfalls für eine einheitliche Wissenschaftsklausel ausgesprochen, allerdings nur ein einem vagen Positionspapier. Die SPD wird mit dem Gesetzentwurf zu § 52a konkreter, doch ein umfassendes Wissenschaftspaket ist für sie kein Thema.

Die Bundesregierung wiederum hatte schon 2009 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das Urheberrecht grundlegend zu überarbeiten. Und auch hier war angedacht gewesen, dem Bereich Wissenschaft und Bildung ein eigenes Regelungspaket zu widmen. Passiert ist bislang nichts. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode wird es wohl nicht mehr zu einer großen Urheberrechtsreform kommen, sind sich Beobachter sicher. Auch eine eigene Wissenschaftsklausel lässt damit weiter auf sich warten. Nun zumindest das Auslaufen von § 52a zu verhindern, wäre eine erste Notmaßnahme.

Insgesamt dürfte sich die Bundesregierung eine weitere Verzögerungstaktik beim Thema wissenschafts- und bildungsfreundliches Urheberrecht nicht mehr leisten können. Denn ein Blick ins Ausland zeigt, andere sind längst schon weiter: In den USA etwa gibt es bereits seit 2002 den so genannten TEACH Act (Technology, Education and Copyright Harmonization Act). Er ist eine Art Äquivalent zu § 52a und regelt, dass Studierende und Schüler freien Zugang zu elektronischen Kopien von urheberrechtlich geschütztem Lehrmaterial haben. Und auch die EU-Kommission drückt nun aufs Tempo. Im Juli forderte Brüssel die Mitgliedstaaten auf, immer noch bestehende Hindernisse für Forschung und Innovation endlich abzuschaffen und dafür zu sorgen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse frei zugänglich sind. Nötig dafür sei unter anderem ein "optimaler Austausch und Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse, auch über digitale Mittel, sowie ein breiterer und schnellerer Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Daten".

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