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Unerwünschte Nebenwirkungen: Wie Gentherapien noch besser werden sollen

Endlich gibt es aussichtsreiche Gentherapien. Manche Behandlungen führen jedoch zu unerwünschten, gar gefährlichen Immunreaktionen. Ein Lösungsansatz: das Immunsystem drosseln.
Wissenschaftler stehen im Labor und erforschen Gentherapien.
Bei vielen seltenen Erkrankungen ruht die Hoffnung der Patienten auf Gentherapien. Zuletzt konnte die Forschung einige größere Erfolge verzeichnen. (Symbolbild)

Nach Jahren der Enttäuschung erlebt die Gentherapie-Forschung gerade eine Renaissance: Es wurden zuletzt mehrere entsprechende Arzneimittel zugelassen, zudem konnten etliche aussichtsreiche Ergebnisse in klinischen Studien erzielt werden mit Patienten, die genetisch bedingte Krankheiten haben, darunter verschiedene Blutkrebsarten sowie die Sichelzellanämie, eine Erbkrankheit der roten Blutkörperchen. Doch während die Forschenden die neuen Behandlungsmethoden noch erproben, mehren sich Hinweise auf einige Besorgnis erregende Nebenwirkungen. Es zeigt sich, dass Gentherapien bisweilen gefährliche Immunreaktionen hervorrufen können.

Diese Sorge war ein viel beachtetes Thema auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie (ASGCT), die vom 16. bis 19. Mai in Washington D.C. in den USA stattfand. Die Referenten diskutierten, wie sich die Entzündungsreaktionen auf die Gentherapien auswirken und wie sie sich abschwächen lassen. »Entzündungen gehören zum Alltag, bloß sprechen wir meist nicht darüber«, sagte Christine Kay, Chirurgin bei Vitreoretinal Associates in Gainesville, Florida, während ihres Vortrags über Gentherapien für Augenkrankheiten. »Ich bin froh, dass wir jetzt damit beginnen.«

Das Auf und Ab der Gentherapie

Allerdings ist es nicht so, als sei die Sicherheit der Patienten nicht bereits seit vielen Jahren ein großes Thema in der Gentherapie-Forschung. Das liegt unter anderem daran, dass im Jahr 1999 der 18-jährige US-Amerikaner Jesse Gelsinger an den Folgen einer Gentherapie starb. Außerdem entdeckte man um die Jahrtausendwende, dass Gentherapien offenbar Krebserkrankungen auslösen können. Infolgedessen wurden klinische Studien eingestellt, Investoren zogen sich aus dem aufstrebenden Forschungsbereich zurück.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Feld jedoch wieder erholt. Aufsichtsbehörden in aller Welt ließen einige gentherapeutische Behandlungen von Erkrankungen wie Krebs, Blindheit und einer Stoffwechselstörung zu. »Wir sind auf einem guten Weg mit der Gentherapie«, sagte Francis Collins, der stellvertretende wissenschaftliche Berater von US-Präsident Joe Biden, auf der ASGCT-Tagung. »Doch noch immer gibt es tausende Krankheiten, die nicht angegangen werden.«

Seit Langem sorgen sich Forscherinnen und Forscher, dass Immunreaktionen die Wirksamkeit von Gentherapien beeinträchtigen könnten. Die Behandlungen beruhen häufig auf einem harmlosen Virus, das ein Gen in die Zellen einschleust. Wenn der Patient jedoch bereits Antikörper gegen das Virus hat, kann es zu einer Immunreaktion kommen, die die Behandlung behindert. Deshalb ist die Teilnahme an klinischen Gentherapie-Studien oft auf Personen beschränkt, die noch keine entsprechenden Antikörper haben.

In den meisten Ansätzen wird das Gen von Adeno-assoziierten Viren (AAV) übertragen, einer Gruppe von Viren, die seit fast vier Jahrzehnten zu diesem Zweck erforscht werden. »Tausende Menschen haben bereits eine Gentherapie auf AAV-Basis erhalten«, sagte Denise Sabatino, eine Hämatologieforscherin am Children's Hospital of Philadelphia in Pennsylvania, auf der Tagung. Einige der zugelassenen Gentherapien – darunter Zolgensma (Onasemnogene Abeparvovec) zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie und Luxturna (Voretigene Neparvovec) zur Behandlung einer Form von Netzhautdystrophie, die zur Erblindung führen kann – basieren auf diesen Viren.

Große klinische Studien sind oft schwierig

AAV-Vektoren werden auch in klinischen Versuchen mit Genom-Editierungs-Therapien eingesetzt, einschließlich solcher, die auf dem bekannten CRISPR-Cas9-System basieren. Das US-amerikanische Gesundheitsministerium NIH hat ein Programm zur Erforschung von AAV-Vektoren gestartet. Man hofft, Wege zu finden, mit denen sich ein therapeutisches Gen einfach in das Virusgenom einfügen lässt, um damit eine bestimmte Krankheit zu behandeln, ohne vorher große klinische Studien zum Sicherheitsnachweis durchführen zu müssen.

»Je höher die AAV-Dosierung beim Menschen, desto mehr schwere unerwünschte Ereignisse haben wir beobachtet«Fraser Wright, Mitgründer von Spark Therapeutics

Groß angelegte klinische Versuche sind besonders dann schwierig, wenn es um Therapien für seltene genetische Störungen geht. Da Forscher aber immer mehr solcher Krankheiten behandeln und die Wirksamkeit ihrer Ansätze testen wollen, sei dies zu einem echten und aktuellen Problem in der AAV-Gentherapie geworden, sagte der Gentherapieforscher Fraser Wright auf der Tagung. »Je höher die AAV-Dosierung beim Menschen, desto mehr schwere unerwünschte Ereignisse haben wir beobachtet«, berichtete Fraser Wright, Mitgründer von Spark Therapeutics in Philadelphia, das Luxturna entwickelt hat. Einige dieser Nebenwirkungen hätten sogar zu Todesfällen geführt, fügte er hinzu.

Die Entzündungsreaktionen sind das Problem

Früher habe die Hauptsorge darin bestanden, dass Antikörper gegen ein AAV die Wirkung der Gentherapie verhinderten oder die Verabreichung mehrerer Dosen unmöglich machten, sagte Wright. Jüngst hätten Forscher jedoch erkannt, dass diese Antikörper die Produktion von Entzündungsmolekülen anregen, Zelltötungsmechanismen auslösen und die Entwicklung von T-Killerzellen aktivieren, die AAV-haltige Zellen zerstören könnten.

Auf der ASGCT-Tagung berichteten Forschende von ihren Bemühungen, die Entzündung auf verschiedene Arten zu bekämpfen. Einige suchen nach Alternativen zu AAVs. Collins wies etwa darauf hin, dass das »Somatic Cell Genome Editing«-Programm der NIH sowohl virale als auch nicht virale Vektoren untersucht. »Ich glaube, viele von uns sorgen sich, dass wir für immer von AAVs abhängig sein werden«, sagte er. Gebraucht würden stattdessen weniger risikoreiche Vektoren.

Am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering an der Harvard University in Boston, Massachusetts, versucht der Virusimmunologe Ying Kai Chan, sicherere AAV-Vektoren zu entwickeln. Die Risiken stiegen, wenn Forscher größere Mengen von AAV verwendeten, sagte er auf der Konferenz: »Ich bin ein großer Fan davon, die Dosis zu reduzieren.« Dies könne jedoch die Entwicklung wirksamerer Behandlungen erfordern, bei denen weniger Viren zum Einsatz kämen, fügte er hinzu.

»Ich bin ein großer Fan davon, die Dosis zu reduzieren«Ying Kai Chan, Immunologe

Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen versuchen, das AAV-Genom zu »humanisieren«, um die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass es bestimmte Abwehrreaktionen im Körper hervorruft. Wenn zum Beispiel auf die DNA-Base C in der Genomsequenz direkt die Base G folgt, trägt diese beim Menschen oft eine chemische Gruppe, die als Methyl bezeichnet wird. AAV weist einen höheren Prozentsatz an CG-Gruppen ohne Methyl auf – das ist ein potenzielles Warnsignal für das Immunsystem. Wright präsentierte Daten, die zeigen, dass die Erhöhung der Methylierung von CG-reichen Regionen die Aktivierung von entzündungsfördernden Molekülen verringert, den so genannten Zytokinen. Er erwähnte jedoch auch den potenziellen Nachteil: Die gleiche Methylierung könnte, wenn sie zu sehr präsent ist, auch die Genexpression unterdrücken, einschließlich der des therapeutischen Gens, das von dem AAV getragen wird.

Das Immunsystem drosseln

Andere Forschergruppen arbeiten an Möglichkeiten, schädliche Immunreaktionen zu unterdrücken. Bereits jetzt werden Gentherapien häufig zusammen mit Immunsuppressiva wie Steroiden verabreicht. Allerdings gibt es Bedenken, dass die Behandlungen dadurch unwirksam und die Empfänger anfälliger für Infektionen werden. Anastasia Conti, die am San-Raffaele-Telethon-Institut für Gentherapie in Mailand Stammzellen erforscht, berichtete auf der ASGCT-Tagung, dass das Medikament Anakinra die durch die Genveränderungen ausgelösten Entzündungen reduziert. Anakinra könnte zusätzlich die Wirksamkeit der Genom-Editierungs-Behandlung erhöhen, indem es die Anzahl derjenigen veränderten Blutstammzellen reduziert, die bereits aufgehört haben, sich zu teilen.

Bei Selecta Biosciences in Watertown, Massachusetts, entwickeln Forschende Nanopartikel, die mit Rapamycin beladen und von Immunzellen aufgenommen werden können. Dieses Medikament wird manchmal zur Unterdrückung des Immunsystems nach Organtransplantationen eingesetzt. Wie der wissenschaftliche Leiter Kei Kishimoto auf der Tagung sagte, habe sein Team bei Primaten festgestellt, dass drei monatliche Dosen der bepackten Nanopartikel Antikörperreaktionen auf die AAV-Proteinhülle verhinderten. Außerdem haben Forscher von Spark ein Medikament getestet, das den Immunregulator IL-6 hemmt. Sie konnten zeigen, dass die Behandlung bei Primaten die Menge an Antikörpern gegen AAV-Hüllen senkt. Bei Mäusen reduzierte das Präparat die Immunreaktionen so weit, dass die Tiere mehrere Durchgänge der Gentherapie erhalten konnten.

»Letztlich wird wahrscheinlich ein ganzes Bündel von Strategien erforderlich sein, um das Entzündungsproblem in den Griff zu bekommen«, sagte der Immunologe Ying Kai Chan. Und da die Gentherapien immer weiter zunähmen, müssten die Forscher Instrumente entwickeln, um potenziell gefährliche Entzündungen in schwer zugänglichen Körperteilen wie etwa dem Gehirn zu überwachen, fügte er hinzu. Viele Studien über Entzündungen wurden am Auge durchgeführt, wo Forscher Veränderungen, die auch Monate nach der Therapie auftreten, relativ leicht sichtbar machen können. Aber: »Wie können wir wirklich wissen, was im zentralen Nervensystem oder im Ohr passiert?«, fragte Chan. Seine Sorge ist, dass man sich lange Zeit etwas vormachen könnte.

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