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News: Rußland - Wie überleben in der Finanzkrise?

Die anhaltende Wirtschaftskrise Rußlands zwingt immer mehr Menschen dazu, Nahrungsmittel selbst anzubauen, um ihre Familien zu ernähren und wenigstens im geringen Maße Einkünfte zu erzielen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, Löhne werden schleppend oder gar nicht gezahlt, die Preise aber steigen. Da ist es nicht verwunderlich, daß in den letzten zehn Jahren der Anteil der Kleinsterzeuger an der gesamten russischen Agrarproduktion von unter 25 Prozent auf über 50 Prozent angestiegen ist.
Um den Lebensstandard großer Bevölkerungsteile zu verbessern, müssen daher die lokalen und regionalen Strukturen der Vermarktung gestärkt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt über die Situation der russischen Ernährungswirtschaft, das unter der Leitung von Joachim von Braun, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, mit dem Institut für wirtschaftliche Transformation in Moskau durchgeführt wird.

Die Situation erscheint paradox. Nach offiziellen Statistiken ist der Anteil der Landwirtschaft am russischen Bruttoinlandsprodukt seit 1990 von rund 15 auf rund sechs Prozent zurückgegangen; gleichzeitig hielt sich die Agrarquote, der Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer, auf einem gleichbleibend hohen Niveau von 15 Prozent. Um die formale Arbeitslosigkeit auf dem Lande nicht weiter zu erhöhen, beschäftigen die ehemaligen Kollektivbetriebe (Kolchosen und Sowchosen) ihre Mitarbeiter weiter, selbst wenn sie ihnen keine Löhne zahlen können; allerdings ist der Produktionsanteil dieser ehemaligen Agrarfabriken seit Beginn des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft von über 75 auf inzwischen unter 50 Prozent zurückgegangen. Im Gegenzug stieg der Anteil der Kleinsterzeuger an der gesamten russischen Agrarproduktion. Auf winzigen Parzellen und in den privaten Gärten ihrer Datschas haben die Familien immer mehr Zeit verbracht – und sich die Arbeit gesucht, die offiziell auf dem Land nicht mehr zu finden war.

Verschärft wurde, wie Peter Wehrheim, der Projektkoordinator an der Universität Bonn, erläutert, die Situation durch die Finanzkrise, die das Land im letzten Jahr erschütterte. Solange der Rubel gegenüber dem Dollar stabilisiert wurde, mußte die russische Regierung, um internationales Kapital anzuziehen, sehr hohe Zinsen bieten. Die Folgen: Darlehen für landwirtschaftliche Unternehmen waren meist unerschwinglich und der russische Staat konnte wegen seines hohen Haushaltsdefizits seine Angestellten immer weniger entlohnen, was die Tendenz zur Selbstversorgung weiter verstärkte. Die Überbewertung des Rubels trug dazu bei, daß importierte Nahrungsmittel vergleichsweise billig waren. Mit der Abwertung des Rubels seit August 1998 kam es naturgemäß zu einer relativen Verteuerung von importierten Nahrungsmitteln. Ob dies die Wettbewerbsfähigkeit russischer Landwirte allerdings nachhaltig stärken wird, ist zumindest zweifelhaft. Die auf russischer Seite an dem Projekt beteiligte Ökonomin Eugenia Serova weist darauf hin, daß die hierzu notwendigen Vermarktungssysteme der russischen Ernährungswirtschaft noch immer nicht sehr effizient sind.

Einig sind sich alle Projektbeteiligten darin, daß die letztjährige Finanzkrise auch neue Chancen für Rußlands Agrar- und Ernährungswirtschaft eröffnet. So könnte sich die Bereitschaft russischer Finanzmakler erhöhen, in die heimische Wirtschaft zu investieren. Auch im Export gibt es nach der Abwertung des Rubels für einige Branchen der Land- und Ernährungswirtschaft die Chance, neue Einkommensquellen zu erschließen. Der weitere Verlauf des Projektes dürfte zeigen, ob sich diese Hoffnungen erfüllen werden.

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