Direkt zum Inhalt

Wünschelrute gegen Geophysik: Die Wassersucher von Namibia

In einem der trockensten Länder der Welt setzt man auf modernste Technik, um Wasser zu finden. Oder auf Rutengänger. Deren Methoden scheitern zwar bei strenger Prüfung - beliebt sind sie trotzdem.
Eine Person läuft mit einem Messgerät um den Hals durch die Gegend, eine andere steht daneben und macht Notizen.
Man kann Grundwasser finden, indem man an der Oberfläche die Veränderungen elektromagnetischer Felder misst. Geräte wie das hier gezeigte geben so Aufschluss über die Leitfähigkeit in der Tiefe - ist sie hoch, gibt es dort mutmaßlich Grundwasser.

Als der Farmer Heiko Freyer nicht mehr wusste, wie er seine Tiere mit Wasser versorgen sollte, fasste er einen Entschluss: Drei neue Brunnen – so genannte Bohrlöcher – mussten her. Es war das Jahr 2019, die schlimmste Dürre seit 90 Jahren hatte Freyers Heimatland Namibia ausgetrocknet. Den Garten bewässerte die Familie schon lange nicht mehr. »Das wäre reine Verschwendung gewesen«, sagt Freyer. Das Wasser aus einem Bohrloch am Farmhaus reichte gerade für die Familie, die Mitarbeiter und ein paar Tiere. Nun wollte Freyer neue Quellen auf seinem 14 000 Hektar großen Land finden. Schließlich mussten hunderte Rinder und Pferde versorgt werden. Nur: Wo sucht man in einem Wüstenland wie Namibia nach Wasser – und wie?

Was Wasserknappheit bedeutet, das erfahren viele Menschen in Deutschland gerade zum ersten Mal. In Namibia wachsen die Menschen damit auf. Das Land ist eines der trockensten in Afrika südlich der Sahara. Die Regensaison beginnt meist im November und endet im April, zumindest in der Theorie. In der Praxis sind die Niederschlagsmuster in Namibia unvorhersehbar und wechselhaft.

Wenn gegen Ende des Jahres der erste Regen kommt, dann geht ein Raunen der Erleichterung durch das Land. Und wenn er nicht kommt, dann steigt mit jedem weiterem Tag des Wartens die Anspannung. Vor allem bei den tausenden Farmern im Land, deren Existenz davon abhängt, wie gut ein Regenjahr ist. Das vergangene Jahrzehnt war eines der härtesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Alle drei Jahre hat die namibische Regierung seit 2013 wegen extremer Dürren den nationalen Notstand ausgerufen. Gegen Ende des Jahres 2019 waren zehntausende Nutztiere verdurstet. Die Landwirtschaft, eine der tragenden Säulen Namibias, befand sich auf einem historischen Tief. »Ohne Wasser läuft hier nichts«, sagt Freyer.

Jedes Loch kommt teuer

Auf der Suche nach Wasser wandte sich Freyer an die Wissenschaft. Ein Hydrogeologe aus der Hauptstadt Windhoek sollte auf seiner Farm eine geeignete Stelle für ein neues Bohrloch finden. Mit Messgeräten suchte er nach geologischen Strukturen, die Wasser führen könnten. Doch als der Bohrmeister an der angezeigten Stelle wenig später mit seiner riesigen Maschine 160 Meter in die Tiefe bohrte, pustete sie nur feuchte Erde aus. Wasser fanden sie nicht, nicht einmal flüssigen Schlamm. Von einer Trockenbohrung sprechen Fachleute in so in einem Fall. Eine Garantie für Wasser gibt es nicht, das war Freyer im Voraus bewusst. Wenn ein Farmer die Bohrung an einer empfohlenen Stelle beauftragt, dann trägt er das finanzielle Risiko. Für ihn bedeutete das: hohe Kosten. Und immer noch kein Wasser. »Bei jedem Meter, den die Bohrmaschine tiefer bohrt, sind umgerechnet mehr als 100 Euro weg«, sagt Freyer. »Das ist immer ein ganz schönes Glücksspiel.«

Beim nächsten Versuch verließ sich der Farmer auf seine eigene Ortskenntnis. Am Rand eines trockenen Flussbetts hatte er Brüche im Schiefergestein entdeckt. Ein gutes Zeichen für Wasser. Wieder rückte der Tiefbohrer mit seiner Maschine aus, gemeinsam mit ihm legte Freyer die genaue Stelle fest – mit Erfolg. Schließlich wollte der Farmer einen dritten Versuch wagen. Bekannte empfahlen ihm, Piet Hauword zu beauftragen. Seit den Siebzigern ist er mit seiner Wünschelrute auf Farmen in Namibia unterwegs. Seine Erfolgsquote? 100 Prozent, sagt Hauword ohne jeglichen Zweifel. Er ist überzeugt: »Wir haben viel Grundwasser in Namibia. Wir müssen es nur finden.«

An einem kalten Morgen im Juli sitzt Hauword in einem Café in Windhoek. Vor ihm ausgebreitet liegt eine Luftaufnahme von Freyers Farm. In der Hand hält der 72 Jahre alte Mann einen winzig kleinen Stock. »Man muss die Gabe haben«, sagt Hauword. Dann demonstriert er, wie die Astgabel auf die Smartphones auf dem Tisch reagiert. In seiner Hand dreht sich das Holz ein paarmal wie ein Sekundenzeiger, Hauword rührt währenddessen scheinbar keinen Finger. »Was ich mit einem Stock mache, ist genau das, was Geologen auch mit ihren Instrumenten machen: Wir zeigen magnetische Felder an«, erklärt er.

Wasser finden ist ein Glücksspiel

Aus welchem Material die Rute besteht, sei dabei völlig egal. Meist nimmt er eine Astgabel, manchmal aber auch einen Draht. Die Zahl der Umdrehungen, sagt er, zeige ihm, auf was die Rute reagiert – zum Beispiel auf Minerale oder eben auf Wasser. Selbst den Unterschied zwischen Salz- und frischem Wasser könne er spüren. Wie genau das alles funktioniert, kann Hauword nur schwer in Worte fassen. Sein Erfolg ist für ihn Beweis genug. Auch auf Freyers Farm wurde Hauword bei einem Ortsbesuch schnell fündig. Nicht weit vom Farmhaus entfernt schlug seine Wünschelrute aus. In 110 Meter Tiefe befinde sich ein erster Wasserspeicher, sagte er voraus – und noch mal 25 Meter tiefer eine richtige Wasserader.

Bereits im späten Mittelalter suchten Menschen mit Hilfe von Wünschelruten nach Wasseradern oder Bodenschätzen. »Das Wünscheln ist nicht totzukriegen und in Namibia weit verbreitet«, sagt Arnold Bittner. Der Hydrogeologe stammt ursprünglich aus Hessen, er hat in Göttingen studiert. Seit rund 30 Jahren lebt Bittner im Südwesten Afrikas und sucht in einigen der kargsten Regionen der Welt nach Wasser. Lange hat er Farmern dabei beholfen. Inzwischen berät er vor allem den Staat und die Industrie, zum Beispiel Bergbauunternehmen oder Brauereien. Die Methode von Hauword und anderen »Wünschlern« sieht er kritisch. »Rutengänger sagen, dass sie Wasseradern finden können. Aber das sind keine Adern, sondern Brüche im Festgestein, die man mit geophysikalischen Methoden aufspüren kann.«

Wenn Bittner und sein Team nach Wasser suchen, dann studieren sie zunächst hydrogeologische Karten und Satellitenbilder, durchforsten die nationale Grundwasserdatenbank, sammeln so viele Informationen wie möglich. »Dem Wünschelrutengänger ist das in der Regel egal. Er verlässt sich einzig auf seine Fähigkeit, Wasseradern aufzuspüren«, sagt Bittner. »Hydrogeologen in Namibia gehen methodischer vor.« Was er beschreibt, ist ein zeit- und kostenaufwändiger Prozess: Vom Auftrag bis zum Bohren könnten Monate vergehen. Ihre Trefferquote liege »zwischen 20 und 100 Prozent – je nach hydrogeologischer Gegebenheit und Region«. Die Funde von Wünschelrutengängern wie Hauword führt er vor allem auf deren Ortskenntnis zurück. »Viele Wünschler kennen sich lokal aus und haben ein Gefühl dafür entwickelt, wo das Wasser sein kann. Aber dass die Rute funktioniert und Erdstrahlen existieren, ist wissenschaftlich nie nachgewiesen worden.«

Als Freyer dem Bohrmeister die Stelle zeigte, die Hauword empfohlen hatte, schüttelte der mit dem Kopf. Dass hier Wasser sei, sagte er, sei absolut unwahrscheinlich. Freyer wollte es trotzdem wissen. Der erste Wasserspeicher auf 110 Meter kam nicht. Sie bohrten weiter. Bis 122 Meter pustete die Bohrmaschine nur Staub aus, erinnert sich Freyer. »Kein bisschen Flüssigkeit.« Kurz darauf atmete der Farmer auf, der Bohrmeister konnte seine Überraschung nicht verbergen: Sie stießen auf Gesteinsschlamm, der mit zunehmender Tiefe immer flüssiger wurde. Bei 162 Metern schalteten sie die Maschine schließlich aus. Das Ergebnis: Das neue Bohrloch liefert bis heute etwa 700 Liter Wasser pro Stunde. »Das ist nach dem Fund die zweite spannende Sache: Ist es nur ein begrenzter Vorrat, den man schnell leer pumpt, oder liefert das Bohrloch über Jahre hinweg Wasser?«, sagt Freyer.

Auf der Suche nach dem Wünschel-Effekt

Im Süden Afrikas ist das Wünschelrutengehen nach wie vor populär. Mehr als die Hälfte der Bohrlöcher werde mit einer Rute gefunden, schätzt der Geologe Eberhard Braune. Er sagt aber auch: »Als Wissenschaftler konnte ich die Methode nie unterstützen.« Braune hat seine Jugend auf einer Farm im damaligen Deutsch-Südwestafrika verbracht. Später hat er in der Wasserbehörde des Nachbarlands Südafrika gearbeitet und als Professor an der University of the Western Cape gelehrt. Bei wissenschaftlichen Methoden hoffe man auf eine durchschnittliche Erfolgsquote von 80 bis 90 Prozent. Die Wassersuche mit einer Rute sei dagegen nichts anderes als Versuch und Irrtum. »Man kann gewinnen«, sagt Braune, »man kann aber auch verlieren.«

Die bislang aufwändigste Wünschelrutenstudie fand in den Achtziger Jahren in Deutschland statt. 400 000 D-Mark hatte die Bundesregierung zur Verfügung gestellt, um die Methode überprüfen zu lassen. Die Hoffnung: Wenn die Rutengänger auch potenziell krank machende Strahlungen aufspüren könnten, dann könnte die gesamte Bevölkerung davon profitieren. Beauftragt wurden die Münchner Physiker Hans-Dieter Betz und Herbert König. In umfangreichen Testreihen stellten sie die Fähigkeiten von 500 Rutengängern auf die Probe. Mit 43 besonders feinfühligen Kandidaten führten sie schließlich das bekannte »Scheunenexperiment« nahe München durch. Im Erdgeschoss einer Hütte hatten die Forscher eine Wasserleitung installiert, die nach dem Zufallsprinzip verschoben werden konnte. Die Rutengänger sollten die »Reizzone« vom ersten Stock aus orten. Insgesamt 843 doppelblinde Tests führten Betz und König in der Scheune durch. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Trefferwahrscheinlichkeit der Testpersonen lag nahe an der Zufallserwartung.

Dennoch sorgte die Studie unter Befürwortern für Euphorie. Denn einige – wenngleich wenige – Testpersonen orteten die Wasserleitung so oft, dass Betz und König ihre Fähigkeit »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« als belegt betrachteten. Mitte der Neunziger dämpfte der amerikanische Wissenschaftler James Thomas Enright die Begeisterung. In seiner Überprüfung des deutschen »Wünschelruten-Reports« kommt er zu dem Schluss, dass die Interpretation der Münchner Physiker »nur als Ergebnis von Wunschdenken angesehen werden kann«. Schließlich seien die Testpersonen sorgfältig ausgewählt und die Atmosphäre der Experimente »wohlwollend« gewesen.

Sie werden weiter wünscheln

Auch in Namibia hatte man Menschen mit scheinbar übersinnlichen Fähigkeiten getestet, wie Braune erzählt. Als im Jahr 1974 Unruhen Angola erschütterten, flüchtete ein bekannter Rutengänger in das Nachbarland. Daraufhin bot er der Wasserbehörde in Windhoek seine Dienste an. Geologen schickten ihn an mehreren Teststellen rund um Windhoek auf Wassersuche. »Der Mann aus Angola hat komplett versagt, er konnte einem fast leidtun«, sagt Braune. Wie der Geologe Bittner glaubt auch Braune, dass Rutengänger keinen sechsten Sinn haben – sondern lediglich eine gute Ortskenntnis. »Es war offensichtlich, dass die komplexe Umgebung um Windhoek mit all ihrem harten Gestein etwas war, was der Rutengänger im sandigen Angola noch nie erlebt hatte«, sagt Braune.

Als Wissenschaftler im Dienst der Regierung habe er sich ohnehin immer an seine Lehrbücher halten müssen. Die stützten sich auf Befunde der United States Geological Survey, einer wissenschaftlichen Behörde des amerikanischen Innenministeriums. Bereits im Jahr 1917 hatten die Fachleute die Methode mit einem nüchternen Fazit entmystifiziert: »Die natürliche Erklärung für erfolgreiches Wünschelrutengehen ist, dass in vielen Gebieten unterirdisches Wasser so nahe an der Landoberfläche vorhanden ist, dass es schwer wäre, einen Brunnen zu bohren, ohne Wasser zu finden.« Weitere Studien seien eine Verschwendung öffentlicher Gelder, befand die amerikanische Behörde. Auch in Namibia kommt die Rute vorwiegend auf Farmen zum Einsatz. Der Staat und die Industrie setzen auf wissenschaftliche Methoden, erklärt der Hydrogeologe Bittner: »Hier sind Ergebnisse gefragt, die jederzeit reproduzierbar sind.«

Bleibt die Frage: Wie lassen sich die Bewegungen der Wünschelrute erklären? Fachleute verweisen in dem Zusammenhang auf den Carpenter-Effekt, auch bekannt als ideomotorisches Gesetz. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der englische Naturwissenschaftler William Benjamin Carpenter beschrieben, dass die Wahrnehmung einer Bewegung einen psychomotorischen Impuls auslöst. Man beobachtet oder denkt auch nur an eine Bewegung – und will sie unwillkürlich ausführen. Skeptiker sind davon überzeugt, dass der Carpenter-Effekt diverse okkulte Praktiken erklären kann: das Schwingen eines Pendelns etwa, die scheinbar unerklärlichen Bewegungen beim Gläserrücken oder eben das Ausschlagen einer Wünschelrute.

Hauword kümmern all die Zweifel und Einwände nicht. Er will weiter mit seiner Rute nach Wasser suchen, so wie in den vergangenen 50 Jahren. Die hohen Spritpreise machen ihm bei den langen Anfahrten zwar zu schaffen. Aber wenn man eine Gabe habe, sagt er, dann müsse man damit einen Beitrag leisten. Der Rinderfarmer Freyer will bald einen neuen Brunnen bohren lassen. »Die Wasserversorgung auf der Farm ist nach wie vor eine Herausforderung«, sagt er. Wen er mit der Suche beauftragen will, das weiß er noch nicht. »Es ist und bleibt ein Glücksspiel.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.