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Virologie: Sabotage in einem anderen Rahmen

Manche Menschen machen Knoten in Taschentücher, um sich an Wichtiges zu erinnern. Auch Viren machen Knoten, allerdings in ihre Erbsubstanz. Für sie ist das absolut lebensnotwendig – und für uns eventuell auch. Vielleicht ist das eine Achillesferse von HIV und Sars-Erreger?
Viren sind alleine völlig hilflos. Alles, was der Sars-Erreger in unsere Zellen mitbringt ist sein Bauplan. Ohne unsere Proteinmaschinerie stände er da wie ein Architekt ohne Zimmermänner. Mit leichtem Gepäck lässt es sich als Virus aber auch besser reisen. Dabei kann man doch auch mit wenig Bagage alles Wesentliche dabei haben.

Der Bauplan des Sars-Erregers ist seine Boten-RNA, die mRNA. Sie besteht aus einer Kette aneinander gereihter Nukleotide, in der der Aminosäurekode für den Bau der Proteine verborgen liegt. Drei aufeinander folgende Nukleotide kodieren für einen Eiweißbaustein – also etwa Nukleotid 1, 2 und 3 für die erste Aminosäure x. Dies ist bei allen Organismen von Pflanze bis Mensch gleich. Viren aber nutzen häufig Tricks, um effizienter zu packen: Sie verschachteln den Dreirasterkode der mRNA. Manche Nukleotide gehören somit zu zwei Rastern, die für unterschiedliche Proteine kodieren: Zwei Baupläne stecken so in einer mRNA. Bei solchen Viren könnten die Nukleotide 2, 3 und 4 zusätzlich den ersten Baustein eines ganz anderen Eiweißes kodieren.

Schleust der Sars-Erreger seine ineinander geschachtelte Boten-RNA in unsere Zelle, dann setzen die körpereigenen Proteinfabriken, die Ribosomen, den Aminosäurekode der mRNA direkt in Proteine um. Dafür wird die Transfer-RNA, die tRNA, benötigt: Sie bindet im Ribosom über ein Antikodon an die komplementäre Nukleotidsequenz der mRNA und ist mit der durch das Kodon bestimmten Aminosäure beladen. So müssen dann die richtig aneinander gereihten Aminosäuren der tRNA nur noch verknüpft werden.

Nun enthält aber die effizientere Virus-mRNA gleich zwei Bauanleitungen, was dem Ribosom nun eine Entscheidung aufzwingt: Welche wird umgesetzt? Natürlich beide. Dazu aber muss sich das Virus eines kleinen Kniffs bedienen: Es erzwingt eine Verschiebung des Leserahmens, also des Dreirasterkodes der mRNA, welches für die Aminosäuren kodiert. Dabei rutscht das Ribosom irgendwie eine Nukleotidposition zurück in einen anderen Leserahmen, also einen anderen Bauplan.

Zum ersten Mal gelang es nun Ian Brierley und seinen Kollegen von der Universität Cambridge eine Theorie, die erklärt wie sich der Leserahmen verrückt, praktisch zu bestätigen. Die Forscher isolierten mRNA eines Coronavirus und gaben es zu Ribosomen aus roten Blutkörperchen des Kaninchens. Sie identifizierten ein Zwischenprodukt aus diesem Komplex, froren es ein, warfen unter dem Mikroskop einen Blick auf die Gefrierprobe – und waren begeistert.

Mit seinen Werkzeugen hatte das Virus dem Ribosom Sand ins Getriebe gestreut, erkannten die Forscher unter dem Mikroskop. Es sah aus wie ein defektes Miniaturuhrwerk: Teile des Ribosomens lagen blockiert vor, die tRNA war verdreht und hatte sich aus dem Komplex gelöst wie eine kaputte Springfeder.

Die Werkzeuge für das gezielte Zerstörungswerk und die nukleotidgenaue Leserahmenverschiebung bringt der Virus selber mit – einen "Pseudoknoten" und eine "Nukleotid-Rutschsequenz". Dabei handelt es sich um eine mRNA-Nukleotidfolge, über die das Ribosom in den anderen Rahmen gleitet und um eine Sequenz, die eine knotenartige Sekundärstruktur in der mRNA, den Pseudoknoten, ausbildet.

Der Pseudoknoten interagiert mit dem Ribosom, blockiert die Proteinsynthese für eine kurze Zeit und gewährleistet so, dass das Ribosom in Nachbarschaft zu der Rutschfrequenz gestellt wird. Die resultierende Spannung führt dazu, dass sich die tRNA verdreht, sie löst sich von der Maschinerie und ermöglicht, dass das Ribosom über die Rutschfrequenz in einen anderen Leserahmen hineinschlittert – zielgerichtet, versteht sich.

Nicht nur der zu den Coronaviren gehörende Sars-Erreger, sondern auch das HI-Virus weiß den genetischen Kode des Wirtes auf diese Art und Weise zu sabotieren. Verhindern Forscher beim HI-Virus, dass sich der Leserahmen verschiebt, so kann tatsächlich vermieden werden, dass sich der Erreger vermehrt.

Bis wir mit Arzneimitteln den Saboteur gezielt sabotieren, könnte aber noch etwas Zeit vergehen. Immerhin, dank Ian Brierley und seinen Mitarbeitern können wir ihm jetzt schon sehr genau auf die Finger schauen.

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