Globaler Süden: Wenn der Klimawandel zur Gesundheitskrise wird

Nur ein kleiner Pieks, beruhigt Modesta Chiota ihren jungen Patienten. Routiniert entnimmt die freiwillige Gesundheitshelferin Blut aus dem Finger des Zweijährigen. Sie sitzen unter einem großen Baum, der Junge auf dem Schoß seiner Mutter, seine beiden älteren Geschwister daneben. »Alle meine Kinder hatten schon Malaria«, erzählt die Mutter, Abigail Sianculanga. »Dann bekommen sie Fieber, möchten nichts essen und nicht einmal mit ihren Freunden spielen.« Wie oft sie selbst Malaria hatte, kann sie gar nicht beziffern. Das letzte Mal im März.
Sobald Symptome auftauchen, wendet sie sich an ihre Nachbarin Chiota. Die führt nun einen Malaria-Schnelltest durch. Modesta Chiota ist eine von tausenden »Community Health Workers« in Sambia. Wie die Bevölkerungsmehrheit des südostafrikanischen Landes lebt sie in einer der weit verstreuten kleinbäuerlichen Siedlungen. Sie klärt über Übertragung und Prävention auf, ist darin ausgebildet, Malaria zu diagnostizieren, verteilt Medikamente für leichte Fälle und verweist schwerere an die nächste Klinik.
Malaria ist in Sambia endemisch und nach HIV/Aids eine der häufigsten Todesursachen. 2023 erkrankten laut WHO geschätzte 3,6 Millionen Menschen, nahezu 18 Prozent der Bevölkerung. Jeden Tag sterben vier Menschen an der Infektionskrankheit, besonders gefährdet sind schwangere Frauen und Kinder unter fünf Jahren. Modesta Chiota trägt das Alter und den Namen des Jungen in ein akribisch geführtes Register ein. »Regenzeit ist Malariazeit«, sagt sie. Das sei schon immer so gewesen. Warmes Wetter mit hoher Luftfeuchtigkeit und Niederschlägen bietet für die Anopheles-Mücken ein optimales Klima. Doch seit sich die Klimakrise zuspitzt, sind die Regenzeiten nicht mehr so regelmäßig wie früher, erratische und extreme Wetterereignisse nehmen zu, die Temperaturen steigen.
Der Klimawandel stört die Bekämpfung der Malaria
Die Malaria-Programme müssten entsprechend angepasst werden, fordert Stephen Bwalya. Er ist Arzt und arbeitet am National Malaria Elimination Centre in der Hauptstadt Lusaka. Hier arbeiten Forscher und Forscherinnen daran, die Malaria auszurotten. In Labors untersuchen sie etwa, welche Arten von Anopheles-Moskitos, die den Plasmodium-Parasiten übertragen, sich in welcher Region ausbreiten und ob Resistenzen auftreten. Sie erheben Daten und werten sie aus, setzen die Pläne der Regierung um, koordinieren Massenkampagnen für die Verteilung von Moskitonetzen und die Behandlung von Häusern mit Insektiziden.
2023 hat laut Bwalya die Zahl der Malariafälle in Sambia wieder zugenommen. »Das lag vor allem daran, dass wir unsere Präventivmaßnahmen nicht optimal umsetzen konnten.« Die Insektizide seien zu spät beschafft worden und die Netze zwar routinemäßig, aber angesichts des Infektionsgeschehens zu spät verteilt worden. »Viele Menschen waren den Moskitos deshalb schutzlos ausgesetzt.« In der Konsequenz hätten sich über eine Million Menschen mehr infiziert als im Vorjahr.
Das richtige Timing ist bei der Malaria-Bekämpfung zentral: Netze, Medikamente und Tests müssen in schwer zugänglichen Regionen verteilt werden, bevor Überschwemmungen die Straßen unpassierbar machen. Schnell eingreifen muss man, wenn sich Fälle in Regionen häufen, die bislang nicht stark betroffen waren. Patientinnen und Patienten müssen rasch diagnostiziert und behandelt werden, um einen schweren Krankheitsverlauf zu verhindern. Deshalb setzt Sambia wie andere afrikanische Länder auch auf freiwillige Gesundheitshelferinnen und -helfer, die die Lücke zwischen Dorf und Klinik schließen. Man dürfe sie nicht für selbstverständlich halten, sondern müsse sie stärker unterstützen, findet Bwalya. Zum Beispiel mit einem Fahrrad oder einer Aufwandsentschädigung.
El Niño und Überschwemmungen
Beides würde Modesta Chiota helfen. Die 49-Jährige humpelt leicht, manchmal braucht sie den ganzen Tag, um zu Fuß einen der weit verstreuten Haushalte in ihrem Distrikt zu erreichen, um Patienten zu besuchen, sich mit Schwangeren und Müttern von Kleinkindern zu treffen oder in der Klinik neue Testkits und Medikamente zu besorgen. Drei Tage in der Woche widmet sie dieser Freiwilligenarbeit. »Das ist nicht immer einfach«, sagt sie. »Denn natürlich muss ich auch meine Familie durchbringen.« Chiota ist alleinstehend, vier ihrer sieben Kinder leben noch bei ihr, teils mit eigenen Kindern. In grasgedeckten Häusern aus Lehmziegeln, ohne Strom und fließend Wasser. Wie die Mehrheit der Bevölkerung sind sie Kleinbauern, leben von dem, was sie selbst anbauen. »Letztes Jahr waren wir jedoch fast komplett von staatlichen Sozialleistungen abhängig«, erzählt sie.
»Wir befürchten, dass sich auch wieder Krankheiten wie Cholera ausbreiten können«Bushimbwa Tambatamba, Gesundheitsministerium Sambia
Durch eine der schwersten Dürren der letzten Jahrzehnte infolge des Wetterphänomens El Niño sind die Ernten ausgefallen. Der Brunnen, der für die Dorfbewohner die einzige Trinkwasserquelle ist, hat nur wenig Wasser. »Wahrscheinlich registriere ich deshalb mehr Durchfallerkrankungen als sonst«, sagt Chiota. Und damit ist sie nicht allein. Laut Bushimbwa Tambatamba, die im sambischen Gesundheitsministerium für öffentliche Gesundheit zuständig ist, gibt es landesweit einen Anstieg. »Wir befürchten, dass sich auch wieder Krankheiten wie Cholera ausbreiten können.«
Im Jahr 2024 hatte die Cholera nach schweren Überschwemmungen infolge eines Zyklon-Ausläufers vor allem in der Hauptstadt Lusaka gewütet. In ländlicheren Regionen erkranken nun vermehrt Menschen an tierischen Erregern. Solche Zoonosen treten auf, weil Menschen und Tiere knappe Wasserquellen teilen. »Wir haben sehr viele Fälle von Milzbrand verzeichnet, und der Ausbruch dauerte länger als sonst«, erzählt Tambatamba. Der Klimawandel wirke sich drastisch auf die Gesundheit aus, betont sie, betroffen seien vor allem Frauen und Kinder in ländlichen Regionen.
Die Dürre verursacht auch eine Stromkrise
Wegen der Dürre hat sich die ohnehin prekäre Ernährungssituation weiter zugespitzt, fast sechs Millionen Menschen in Sambia gelten als ernährungsunsicher – etwa ein Drittel der Bevölkerung. Das macht sie noch anfälliger für Infektionen, Krankheiten und schwere Verläufe. Das gelte auch für Malaria, sagt Mwanza Banda. Seit sieben Jahren arbeitet sie als Ernährungsberaterin am staatlichen Chinyunyu Health Centre. In dieser ländlichen Klinik behandle sie mehr Patienten und Patientinnen als je zuvor, die an Mangelernährung leiden: »Wir sehen hier viele unter Fünfjährige und nun auch zunehmend untergewichtige Neugeborene. Etwa die Hälfte der schwangeren Frauen haben eine Anämie.« Die Kinder bekämen in der Klinik eine proteinreiche Eiweißnahrung, ihren Müttern könne sie nur zu einer abwechslungs- und nährstoffreichen Ernährung raten, so Banda. Aber: »Oft haben sie diese Lebensmittel einfach nicht.« Sie zuckt hilflos mit den Schultern.
Draußen, auf dem Flur der Klinik, sitzen fast ausschließlich Frauen mit Kindern. Krankenschwester Natasha Musonda geht grüßend an ihnen vorbei. Heute stehen Immunisierungen auf ihrem Programm. »Glücklicherweise haben wir einen Generator für die Kühlung der Impfstoffe«, sagt sie. Eine Solaranlage habe die Klinik auch, allerdings nur für ein paar Stunden Licht nach Einbruch der Dunkelheit. »Wir benutzen Taschenlampen und das Licht unserer Handys, wenn Frauen nachts ihre Babys gebären«, erzählt sie. Die Klinik ist zwar ans Stromnetz angeschlossen, doch Sambia leidet unter einer Energiekrise – mit Stromausfällen von bis zu 21 Stunden am Tag. Das ist eine Art Kollateralschaden der Klimakrise, denn die staatliche Energieversorgung ist zu 85 Prozent von Wasserkraft abhängig. Auch hier ist die Dürre das Problem: ohne Wasser kein Strom.
Die Krankenhäuser in den Städten würden mit Generatoren versorgt, versichert Bushimbwa Tambatamba vom Gesundheitsministerium. »Nur manchmal gibt es Probleme mit dem Treibstoffnachschub.« Etwa 30 Prozent der Gesundheitseinrichtungen auf dem Land hätten auch Solaranlagen, die meisten allerdings keine besonders leistungsstarken. »Sie reichen für das Licht, aber Computer können nicht angeschlossen werden.« Der Handy-Empfang funktioniert ebenfalls nicht immer, weil Mobilfunkmasten ebenfalls regelmäßig der Strom ausgeht. Das beeinträchtigt die elektronische Erfassung von Daten und ihre zügige Weiterleitung. Dabei sind diese Daten zentral, um schnell auf neue Krankheitsausbrüche reagieren zu können. Sie laufen im Zentrum für öffentliche Gesundheit in Lusaka zusammen.
»Kaum jemand hatte zuvor über die Auswirkung einer Dürre auf die Funktionstüchtigkeit einer Klinik nachgedacht. Das war ein Schock«Berta Simwaka, Global Fund
Ohne Strom ginge jedoch gar nichts, klagt Muzala Kapina frustriert. Sie ist Direktorin für Überwachung und Krankheitsaufklärung in Sambias Institut für öffentliche Gesundheit. »Ohne Strom oder Internetverbindung können die Daten nicht zügig hochgeladen werden. Wenn wir unsere Daten dann analysieren, fehlt im Zweifelsfall ein wichtiger Aspekt«, legt Kapina die Situation dar. Generell funktioniere ihr Frühwarnsystem jedoch gut. Es wurde infolge der Covid-Pandemie ausgebaut.
Kleine Schritte nach vorn – und große Wünsche
Corona sei ebenso ein Weckruf für das öffentliche Gesundheitssystem gewesen wie nun die Dürre, sagt Bertha Simwaka vom Global Fund in Sambia, der das Land bei der Finanzierung von Präventions- und Behandlungsprogrammen von Malaria, HIV/Aids und Tuberkulose unterstützt. Die Dürre hat laut Simwaka einen neuen Aspekt der Realität des Klimawandels vor Augen geführt. »Kaum jemand hatte zuvor über die Auswirkung einer Dürre auf die Funktionstüchtigkeit einer Klinik nachgedacht. Das war ein Schock.« Es brauche mehr denn je einen multidisziplinären Ansatz, damit Gesundheitssysteme resilienter werden.
Länder wie Sambia stehen vor einer personellen und finanziellen Herausforderung, um alles gleichzeitig zu leisten, ohne in einem Bereich nachzulassen. Denn Infektionskrankheiten nutzen diese Versorgungslücken aus, wie der Anstieg der Malaria-Fälle 2023 zeigt. Jedes Nachlassen kann Leben kosten. Das Gesundheitsministerium beginnt nun damit, den Community Health Workers eine Aufwandsentschädigung zu zahlen, sie besser auszustatten und mehr Klinken mit Solarenergie zu versorgen. Bushimbwa Tambatamba setzt außerdem große Hoffnung in Impfstoffe. Auch auf Mpox- und Cholera-Vakzine warte das Land noch, bei beiden gibt es Engpässe. Der neue Malaria-Impfstoff sei ebenfalls bestellt: »Es gibt zwar lange Wartezeiten, aber wir hoffen, dass die ersten Dosen im September eintreffen. Danach werden wir erleben, dass die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle vor allem bei Kindern abnimmt.«
Das würde sich auch die freiwillige Gesundheitshelferin Modesta Chiota wünschen, die fast täglich mit kranken Kindern und begrenzten Hilfsmitteln konfrontiert ist. Der Schnelltest des zweijährigen Nachbarssohns ist glücklicherweise negativ. Doch Chiota rät der Mutter, mit ihrem Sohn in die Klinik zu gehen, um eine Augeninfektion behandeln zu lassen – selbst wenn sie dorthin zweieinhalb Stunden zu Fuß braucht. »Mein größter Wunsch ist, dass eine Klinik in der Nähe gebaut wird«, sagt die 49-Jährige, als sie über den sandigen Pfad von der Nachbarschaftsvisite wieder nach Hause humpelt. »Das würde wirklich helfen. Denn ich habe auch schon erlebt, dass Schwangere auf dem Weg dorthin entbinden müssen.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.