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Sars-CoV-2: Wie das Virus den Körper verwüstet

Covid-19 ist viel mehr als eine Atemwegserkrankung. Im Labor gezüchtete Miniorgane zeigen: Das Coronavirus kann Lungen-, Leber- und Nierengewebe schädigen.
Mit Sars-CoV-2 infizierte Organoide aus menschlichen Leberzellen

Aus Autopsien und Erfahrungen mit Erkrankten in den Kliniken wissen Ärzte, dass Sars-CoV-2 verheerende Auswirkungen auf verschiedene Organe haben kann. Um zu untersuchen, was das neuartige Coronavirus im Körper anrichtet, züchten Forscherinnen und Forscher nun Miniaturorgane im Labor. Bisher nämlich war unklar, ob das Virus die Schäden direkt verursacht oder ob die mit der Infektion einhergehenden Komplikationen verantwortlich sind. Nun aber enthüllen Studien an diesen Organoiden die Vielseitigkeit des Virus.

Mehrere Arbeitsgruppen stellen Organoide her, um herauszufinden, wohin das Virus im Körper wandert, welche Zellen es infiziert und was für Schäden es anrichtet. Die Untersuchungen zeigen nicht nur, dass es sich Zutritt zu Lunge, Leber, Nieren und Darm verschafft. Forscher versuchen auch, mit den Miniorganen Medikamente für die Therapie von Covid-19 zu finden, indem sie das Gewebe mit verschiedenen Wirkstoffen behandeln.

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»Das Schöne an Organoiden ist, dass sie der wahren Morphologie von Geweben ähneln«, sagt Thomas Efferth, Zellbiologe an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Üblicherweise untersuchen Virologen das Verhalten von Viren mit Hilfe von Zelllinien oder aus Tieren gewonnenen Zellen. Diese sind Forschern zufolge aber kein sehr gutes Modell für die Sars-CoV-2-Infektion, weil sie nicht genau nachbilden, was mit diesen Geweben im Inneren des Körpers passiert.

Organoide könnten besser nachstellen, was Sars-CoV-2 mit menschlichem Gewebe macht, sagt Núria Montserrat, Stammzellforscherin am Institute for Bioengineering of Catalonia in Barcelona. Montserrat zufolge können die Miniorgane so gezüchtet werden, dass sie mehrere Zelltypen enthalten und innerhalb von Wochen die Form des gewünschten Organs annehmen. Zudem seien sie kostengünstiger als Tiermodelle und umgehen die ethischen Fragen, die diese aufwerfen.

Doch auch Virusstudien in Organoiden haben ihre Grenzen. Sie können zum Beispiel die Interaktion zwischen den Organen, die im Körper stattfindet, nicht widerspiegeln. Die Ergebnisse müssten also trotzdem noch in Tiermodellen und klinischen Studien bestätigt werden, sagt Bart Haagmans, Virologe am Erasmus University Medical Center in Rotterdam.

Die Atemwege dienen als Eintrittspforte

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Organoide liefern könnten, ist, wie Sars-CoV-2 auf die Zellen der Atmungsorgane – von den oberen Atemwegen bis zur Lunge – wirkt.

Ein Team um den Stammzellbiologen Kazuo Takayama von der japanischen Universität Kyoto hat Bronchienorganoide entwickelt, die aus vier verschiedenen Zelltypen bestehen. Sie werden aus gefrorenen Zellen der äußeren Schicht der Bronchien, dem Epithel, hergestellt. Als die Forscher die Organoide mit Sars-CoV-2 infizierten, stellten sie fest, dass das Virus vor allem so genannte Basalzellen darin befällt. Diese Stammzellart hat den Zweck, Epithelzellen zu ersetzen. In Keulenzellen, einen anderen Zelltyp, der schützende Proteine produziert, konnte das Coronavirus hingegen nicht so leicht eindringen. Das Team, das seine Arbeit bereits auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlicht hat, will nun untersuchen, ob das Virus in der Lage ist, sich von den Basalzellen aus auf andere Zelltypen auszubreiten.

Von den oberen Atemwegen kann das Virus in die Lunge gelangen und Atemprobleme bis hin zum Stillstand verursachen – eine schwere Komplikation von Covid-19. Anhand von im Labor gezüchteten Minilungen hat Shuibing Chen, eine Stammzellbiologin von Weill Cornell Medicine College in New York City, in einer noch nicht von Fachkollegen geprüften Studie gezeigt, dass das Virus die Zellen dazu anregt, bestimmte Proteine, so genannten Chemokine und Zytokine, herzustellen, die eine massive Immunantwort auslösen können. Menschen mit einem schweren Verlauf von Covid-19 erleben eine als Zytokinsturm bekannte Immunreaktion, die tödlich sein kann.

»Wir wissen, dass die Zellen sterben, aber wir wissen nicht, wie«
Shuibing Chen, Weill Cornell Medicine

Weshalb die Lungenzellen von Patienten absterben, bleibt dennoch vorerst ein Rätsel. »Wir wissen, dass die Zellen sterben, aber wir wissen nicht, wie«, sagt Chen. Es könnte an den Schäden liegen, die das Virus verursacht, an einer von den Zellen initiierten Selbstzerstörung – oder daran, dass sie von Immunzellen aufgefressen werden. Chens Ansatz zur Herstellung der Organoide unterscheidet sich von dem, den Takayamas Team verwendet hat.

Anstatt die Miniorgane aus adulten Zellen herzustellen, verwendete Chens Team pluripotente Stammzellen, die sich zu jedem Zelltyp des Körpers entwickeln können. Organoide, die auf diese Weise gezüchtet werden, umfassen häufig mehr unterschiedliche Zelltypen. Das Ergebnis sei jedoch weniger ausgereift und stelle daher möglicherweise kein adultes Gewebe dar, sagt Chen, die jetzt Lungenorganoide mit Immunzellen züchtet.

Über das Blut gelangt das Virus überall hin

Von der Lunge aus kann sich das Virus auf andere Organe ausbreiten. Wie es das bewerkstelligt, konnten sich Forscher nicht erklären – bis Montserrat und ihre Kollegen im Mai 2020 eine Studie in der Fachzeitschrift »Cell« veröffentlichten. In Experimenten mit Organoiden, die sie ebenfalls aus pluripotenten Stammzellen hergestellt hatten, stellten die Forscher fest, dass Sars-CoV-2 das Endothel – jene Zellen, die unsere Blutgefäße auskleiden – infizieren kann. Dadurch können Viruspartikel ins Blut gelangen und im ganzen Körper zirkulieren. Berichte von Covid-19-Patienten mit beschädigten Blutgefäßen stützten diese Hypothese, sagt Josef Penninger, Gentechnikforscher an der University of British Columbia in Vancouver, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Studien an Organoiden legen nahe, dass das Virus, wenn es einmal im Blut ist, verschiedene Organe, etwa die Niere, direkt infizieren kann. Penninger und Montserrat konnten zwar zeigen, dass das Virus nierenähnliche Organoide infiziert und dadurch einige Zellen darin absterben. Dennoch sind sich die Forscher nicht sicher, ob das die direkte Ursache für ein Nierenversagen ist, wie es bei manchen Patienten beobachtet wurde.

Eine Studie an Leberorganoiden ergab, dass das Virus jene Zellen infizieren und abtöten kann, die zur Gallenproduktion beitragen und als Cholangiozyten bezeichnet werden. Viele Forscher sind der Meinung, dass die bei Menschen mit Covid-19 festgestellten Leberschäden durch eine überschießende Immunantwort oder die Nebenwirkungen von Medikamenten verursacht werden, sagt Bing Zhao, ein Zellbiologe von der Fudan University in Schanghai. Seine Arbeit, die er in der Zeitschrift »Protein & Cell« veröffentlicht hat, legt hingegen nahe, dass das Virus das Lebergewebe direkt angreift und so zu Leberschäden führen kann.

»Wir sind jetzt ziemlich sicher, dass Sars-CoV-2 auch Gewebe außerhalb der Lunge infizieren kann«
Josef Penninger, University of British Columbia

Offenbar kann sich das Virus auch in Enterozyten vermehren, jenen Zellen, die den Dünn- und Dickdarm auskleiden. Das ergab eine wissenschaftliche Studie an Darmorganoiden. Obwohl solche Ergebnisse aufschlussreich seien, stecke die Verwendung von Organoiden zur Untersuchung der Virus-Wirt-Beziehungen noch in den Kinderschuhen, sagt Haagmans, der Entwickler der Darmorganoide: »Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie aussagekräftig sie sind.« Um zu verstehen, wie das Virus mit dem Immunsystem des Körpers interagiert und welche Schäden es dadurch verursacht, würden noch komplexere Organoidsysteme benötigt, sagen die Forscher.

Infizierte Darmorganoide | Im Labor gezüchtete Miniorgane aus menschlichen Darmzellen lassen sich mit Sars-CoV-2 infizieren (in Weiß: infizierte Zellen).

»Wir sind jetzt ziemlich sicher, dass Sars-CoV-2 auch Gewebe außerhalb der Lunge infizieren kann und dadurch wesentlich zum Krankheitsbild beiträgt«, sagt Penninger. Schwer wiegende Folgen wie Nieren- und Herzschäden seien wahrscheinlich auf eine Kombination aus der Virusinfektion und einer überschießenden Immunantwort zurückzuführen, sagt er.

Organoide helfen bei der Medikamentensuche

Mit Hilfe von Organoiden versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch zu modellieren, wie Medikamente im Körper wirken. Es besteht die Hoffnung, dass man an ihnen potenzielle Covid-19-Therapien testen kann. Einige Kandidaten werden bereits in klinischen Studien untersucht. Und zwar, ohne vorher umfangreiche Tests in Zell- und Tiermodellen absolviert zu haben.

»Auf Grund des Zeitdrucks wurden viele klinische Studien auf der Grundlage des Wissens über andere Coronaviren konzipiert und gestartet, ohne sie anhand von Tiermodellen sorgfältig zu prüfen«, sagt Chen. Infolgedessen seien viele von ihnen gescheitert.

Chen untersuchte rund 1200 Medikamente, die von der US-amerikanischen Food and Drug Administration bereits für andere Krankheiten zugelassen sind. Dabei stellte sie fest, dass das Krebsmedikament Imatinib die Sars-CoV-2-Infektion von Lungenorganoiden unterdrückte. Seither wurden mit dem Medikament bereits mehrere klinische Studien zur Behandlung von Covid-19 gestartet.

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