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News: Scharfe Genüsse unter heißer Sonne

Anhänger einer scharfen, würzigen Küche können bösen Bakterien und anderen Krankheitserregern in der Nahrung für die Rezepte danken, die - nicht ganz zufällig - aus Ländern mit heißem Klima stammen. Denn die Verwendung antimikrobieller Gewürze geht einher mit der Gefahr, daß die Nahrung sonst verdirbt.
Eigentlich dienen die scharf schmeckenden Substanzen der Pflanze, um Fraßfeinde abzuwehren. Doch nutzten die Menschen sie schon lange vor Erfindung der Tiefkühllagerung, um ihre Speisen vor dem Verderben durch Mikroorganismen zu schützen. Das berichten Jennifer Billing und Paul W. Sherman in der März-Ausgabe der Quarterly Review of Biology.

"Die unmittelbare Ursache für die Verwendung von Gewürzen ist offensichtlich der verbesserte Geschmack", sagt Sherman, Evolutionsbiologe und Professor für Neurobiologie und Verhalten an der Cornell University. "Doch warum schmecken uns Gewürze? Nützliche Merkmale werden sowohl auf kulturellem Wege, als auch genetisch weitergegeben; dazu zählen auch Geschmacksrezeptoren in unserem Mund und unsere Vorliebe für bestimmte Aromen. Menschen, die Nahrung mit antibakteriellen Gewürzen genossen haben, waren wahrscheinlich gesünder, besonders in heißem Klima. Sie lebten länger und hatten mehr Nachkommen. Und sie haben ihren Kindern ihre Vorliebe für derartige Speisen weitergegeben: 'So wird ein Mammut gekocht.' Unserer Auffassung nach, ist der letztendliche Grund für die Gewürzverwendung das Abtöten von Bakterien und Pilzen in der Nahrung."

Shermans Studentin Jennifer Billing hat in mühevoller Kleinarbeit viele der nötigen Daten zusammengetragen, um die Verbindung zwischen Mikroben und Gewürzen herzustellen: über 4.570 Rezepte aus 93 Kochbüchern, welche die traditionelle, auf Fleisch basierende, Kochkunst aus 36 Ländern repräsentieren; die Temperatur und Niederschlagsmengen eines jeden Landes; die gartenbauliche Verbreitungen von 43 Gewürzpflanzen sowie die antibakteriellen Eigenschaften jeder einzelnen Gewürzpflanze.

Nach ihren Recherchen wirken besonders Knoblauch, Zwiebel, Nelkenpfeffer und Oregano als die besten Bakterienvernichter. Sie töten wirklich alles ab. Es folgen Thymian, Zimt, Estragon und Kreuzkümmel (sie töten bis zu 80% der Bakterien). Gemüsepaprika, hierzu zählen auch Chili und andere scharfe Pfefferarten, sind in der Mitte der antimikrobiellen Hitliste zu finden (sie vernichten oder hemmen bis zu 75% der Bakterien), während der weiße oder schwarze Pfeffer bis zu 25% der Bakterien unterdrückt, genau wie Ingwer, Anis- und Selleriesamen und der Saft von Zitronen und Limonen.

"In Ländern mit heißerem Klima werden Gewürze häufiger als in jenen mit kälterem Klima verwendet. Ja, in heißen Ländern gehört praktisch zu jedem Fleischgericht mindestens ein Gewürz, meistens jedoch viele, besonders die wirksamen Gewürze, während in kühleren Ländern ein großer Anteil der Gerichte gewürzlos zubereitet wird, oder mit nur ein paar Gewürzen." Dadurch wird in den heißen Regionen ein größerer Anteil der Nahrungsmittel durch das Würzen vor dem Verderben geschützt.

Entsprechend sind Thailand, die Philippinen, Indien und Malaysia an der Spitze der Länder, in denen scharf gewürzt wird, während Schweden, Finnland und Norwegen ganz unten rangieren. Die Vereinigten Staaten und China liegen etwa in der Mitte, obgleich die Forscher der Cornell University die Küche dieser beiden Länder nach Regionen studiert haben, und dabei je nach Breitengrad große Unterschiede festgestellten. Dadurch kann man besser verstehen, warum Flußkrebs-Etoufée würziger schmeckt als Muschelsuppe aus New England.

Die Biologen erwogen allerdings auch verschiedene alternative Erklärungen für die Gewürzverwendung, verwarfen diese jedoch mit einer Ausnahme. Laut Sherman besteht das Problem bei der "Essen-um-zu-schwitzen"-Hypothese, wonach die Menschen in heißen Regionen würzige Speisen essen, um sich durch die einsetzende Transpiration Kühlung zu verschaffen, darin, daß man nicht durch alle Gewürze schwitzen muß. "Und es gibt bessere Methoden, um sich abzukühlen. Zum Beispiel in den Schatten zu gehen." Die Vorstellung, daß man Gewürze verwendet, um den Geschmack verdorbener Nahrung zu kaschieren, "ignoriert die gesundheitlichen Gefährdungen durch die Aufnahme verdorbener Nahrung." Auch essen die Menschen wahrscheinlich keine Gewürze wegen der Nahrhaftigkeit, so der Biologe, denn dieselben Makro-Nährstoffe sind in den gleichen Mengen in normalem Gemüse vorhanden, das in viel größeren Mengen verspeist wird.

Die Mikro-Nährstoff-Hypothese (wonach Gewürze Spuren von Antioxidationsmitteln oder anderen Chemikalien enthalten, die die Verdauung fördern) könnte indes wahr sein. Doch sie schließt, so Sherman, die antimikrobielle Erklärung nicht aus. Diese Hypothese erklärt allerdings nicht, warum die Menschen in heißen Gefilden mehr Mikro-Nährstoffe brauchen, fügt der Wissenschaftler hinzu. Das wird nur durch die antimikrobielle Hypothese klar.

Das Studium der Darwinschen Gastronomie ist ein wenig ungewohnt für einen Evolutionsbiologen wie Sherman, der normalerweise seine Forschungen auf die Rolle der natürlichen Selektion im sozialen Verhalten der Tiere konzentriert. Doch das Essen, so behauptet er, ist eindeutig ein Teil des sozialeren Verhaltens des Homo sapiens, und seine (Shermans) jüngste Tätigkeit wäre eine gute Methode, die Wechselwirkungen zwischen kultureller Evolution und biologischer Funktion zu erkennen. "Ich glaube, daß Kochrezepte eine Geschichtsaufzeichnung über den co-evolutiven Wettlauf zwischen uns und unseren Parasiten darstellen. Die Mikroben konkurrieren mit uns um die gleichen Speisen", erläutert Sherman. "Alles, was wir mit unserer Nahrung anstellen – trocknen, kochen, räuchern, salzen, würzen – ist ein Versuch, sie vor der Vergiftung durch unsere mikroskopisch kleinen Wettbewerber zu schützen. Diese mutieren ständig und entwickeln sich weiter, um uns einen Schritt voraus zu sein. Eine Möglichkeit, Krankheiten durch verdorbene Speisen zu reduzieren, ist die Zugabe eines weiteren Gewürzes. Dadurch schmeckt das Gericht natürlich anders, und die Menschen, welche sich mit dem Geschmack anfreunden, werden dafür mit einer besseren Gesundheit belohnt."

Jetzt, da die Verbindung zwischen Bakterien und Gewürzen aufgedeckt wurde, wollen manche Bibliothekare vielleicht ihre Kochbücher unter der Rubrik "Nahrungsunbedenklichkeit" neu indizieren. Und möglicherweise tauchen Gewürzständer bald in Apotheken auf.

Die Top 30 der Gewürze mit antimikrobiellen Eigenschaften
(Auflistung von der größten bis zur geringsten antimikrobiellen Wirkung)

1. Knoblauch
2. Zwiebel
3. Piment (Nelkenpfeffer)
4. Oregano
5. Thymian
6. Zimt
7. Estragon
8. Kreuzkümmel
9. Gewürznelken
10. Zitronengras
11. Lorbeerblatt
12. Gemüsepaprika
13. Rosmarin
14. Majoran
15. Senf
16. Kümmel
17. Minze
18. Salbei
19. Fenchel
20. Koriander
21. Dill
22. Muskatnuß
23. Basilikum
24. Petersilie
25. Kardamom
26. Pfeffer (weißer, schwarzer)
27. Ingwer
28. Anissamen
29. Selleriesamen
30. Zitrone/Limone

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