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Evolution: Schatz, mir ist ein Eisberg dazwischen gekommen

Wer um den eisigen Südpol herum leben und gedeihen will, sollte sich an ein paar Überlebensregeln halten. Eine davon: Bleibe der Heimat treu, da kennst Du dich aus und triffst jedes Jahr alte Freunde. Pinguine müssen von der strikten Regel aber umständehalber schon einmal abrücken.
<i>Pygoscelis adeliae</i>
Gäbe es tatsächlich einen intelligenten Designer unserer Welt, er hätte bestimmt eine besondere Art kreativen Humors – tummelt sich auf Erden doch eine ganze Reihe durchdacht wirkender und zugleich putziger Geschöpfe. Etwa der Lebensentwurf "Pinguin": Torkeln die drolligen, monogamen Schwarzweißen nicht wirklich knuffig über rutschige Eisflächen, kümmern sie sich nicht menschlich rührend um ihren Nachwuchs, jagen sie nicht zugleich so was von elegant ihr Fischfutter durch die ozeanischen Gewässer? Unser virtueller Konzept-Entwerfer wäre reif für einen Sonderpreis bei der alljährlichen Intelligente-Designer-Oscar-Verleihung, Kategorie "Bester sympathisch zu vermenschlichender Bauplan", oder etwas in der Art.

Pinguine sonnen sich neben Seeleoparden | Seeleoparden beim Sonnenbad neben einer Pinguinkolonie
Doch vom netten Gedankenkonstrukten zu etwas völlig anderem, der überprüfbaren wissenschaftlichen Theorie – und damit zu David Lampert von der neuseeländischen Massey Universität und seinen Kollegen. Sie durchleuchteten, welchen subtilen Einfluss die eisige Umwelt von Pinguinen im Laufe der Evolution auf Pygoscelis adeliae, die Adélie-Pinguine hatte. So etwas – also die allmähliche, im Laufe der Jahrtausende schleichend einsetzende Veränderungen an einer Spezies zu untersuchen ist nicht ganz einfach. Wenn man die Mühe nicht scheut, sind Adélie-Pinguine als Untersuchungsobjekt der so genannten "Mikro-Evolution" aber eine gute Wahl.

Gerade diese schwarzweißen Eisbewohner lieben es nämlich ziemlich abwechslungsarm. Viele Generationen lang treffen sich die Mitglieder einzelner Brutkolonien alljährlich fast zwanghaft an ein und demselben immergleichen Ort, ihrer ureigenen fischreichen und eisfreien Bucht am Ross-Schelf der Antarktis, zum Paaren, Brüten und Kükenkriegen. Und gelegentlich zum Sterben – rund 6000 Jahre Pinguingeschichte lassen sich an alten Knochen ablesen, die längst verflossene Vogelgenerationen in der Bucht übereinander türmten. Hier, im eisigen, mikrobenarmen Kühlschrank des südpolaren Klimas, halten sich die Überreste der Tiere dann erfreulich lang.

Am Kap Adare in der Antarktis brütet die größte Adélie-Pinguinkolonie weltweit | Am Kap Adare an der antarktischen Ross-See brütet die größte Kolonie der Adélie-Pinguine.
Damit ist die Chance gegeben, an Ort und Stelle genug DNA auch aus uralten Knochen der Ahnen heutiger Adélie-Pinguin- Großfamilien zu gewinnen und dann die Unterschiede der Gensequenzen von damals und jetzt zu analysieren. Eigentlich sollten hier keine ganz sprunghaften Veränderungen zu erkennen sein – schließlich sollte der Genpool wegen der stetigen und immer gleichen jährlichen Wiederkehr der immer gleichen Kolonie nur langsam, allmählich und linear verändern, wie das eben bei allen Arten im Laufe der Zeit geschieht. Pustekuchen, wie die Wissenschaftler um Lampert fanden.

Vielmehr müssen mehrere genetische Umarrangements in den sechs Jahrtausenden erfolgt sein, lasen die Forscher aus dem Genomvergleich ihrer Brutkolonie. Solche Sprünge können theoretisch durch natürliche Selektion erklärt werden: Ein plötzlich auftretendes Ereignis bevorzugte vielleicht den Träger einer zufällig neu zusammengemischten Sequenz. Nachdem die Sequenzunterschiede aber gerade in den weniger überlebenswichtigen Bereichen der DNA zu finden waren, die nicht für ein Protein kodierten, scheidet natürliche Selektion als Grund für die rapide Änderung wohl aus – Sequenzänderungen im nicht kodierenden Bereich sind wahrscheinlich kein unmittelbar handfester Vorteil, weil sie sich bei der Eiweißproduktion gar nicht auswirken.

Also musste eine zweite Ursache für die plötzlich auftretenden neuen Basenfolgen verantwortlich sein: eine Blutauffrischung durch plötzlich in die Fortpflanzungsgemeinschaft eingebrochene Fremd-Pinguine, die neues Genmaterial einbrachten. Allerdings sollte, bei der bekannten extremen Verwurzelung der Vögel mit ihrem Geburtsort, derartiges nur in sehr seltenen Ausnahmefällen vorkommen. Welches Ereignis könnte überhaupt die standorttreuen Pinguine zum ungeliebten Genimport und -export in und aus fremden Brutkolonien veranlassen?

Ein Adélie-Pinguin am Cape Adare, der größten Kolonie der Antarktis | Ein ausgewachsener Adélie-Pinguine am Kap Bird der antarktischen Ross-Insel kümmert sich um seine zwei Küken.
Nun, allzu viel kommt in der eintönigen Antarktis nicht in Frage – außer eben Eis. Und noch während ihren Untersuchungen beobachteten die Biologen tatsächlich, was die Gene der Pinguingemeinschaft durchrütteln kann: Gigantische Eisberge – im Jahr 2001 etwa der Brocken B15A – lösen sich gelegentlich Ross-Schelfeis und blockieren dann punktgenau den Zugang in die angestammte Bucht der Adélie-Pinguine. Viele Tiere müssen sich in einem solchen Fall neue Wege zur Brutstätte suchen und stoßen bei ihren Irrfahrten dann eben gelegentlich auf bislang unbekannte Pinguinverwandte.

Und hier, schließen die Forscher, nimmt die Natur dann ihren Lauf: Manch Pinguin stellt fern der Heimat offenbar gelegentlich fest, dass auch andere Kolonien hübsche Paarungswillige haben. Auf diesem Umwege wurden während der letzten 6000 Jahre in Antarktika womöglich häufiger fremde Pinguinpärchen neu verkuppelt – etwa zwanzig Mega-Eisberge dürften nach Schätzungen der Wissenschaftler in Tausend Jahren vom Schelf ins Meer gekalbt sein.

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