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Trennungskinder: Geht es Eltern gut, geht es Kindern gut

Trennen sich die Eltern, kann das die Entwicklung der Kinder oft negativ beeinflussen. Was nachweislich hilft: Wenn Mutter und Vater in Erziehungsfragen ein Team bleiben.
Eltern trennen sich, Kind steht in der Mitte

Luisa Arndt* war 13 Jahre alt, als ihre Eltern sich trennten. An das Gespräch selbst kann sie sich nur schlecht erinnern. Sie war vermutlich gerade aus der Schule gekommen. Vielleicht saß sie in ihrem Zimmer, vielleicht in der Küche. Jedenfalls setzten ihre Eltern sich zu ihr und sagten ihr, dass sie bald nicht mehr zusammenleben werden, dass ihr Vater auszieht und sie sich überlegen solle, bei wem sie wohnen will.

Ihre Eltern blieben dabei absolut ruhig, und so blieb auch Luisa Arndt absolut ruhig, zumindest äußerlich. Es gab weder Geschrei noch Tränen – und vielleicht sind diese fehlenden Emotionen auch einer der Gründe, warum das Ereignis der mittlerweile 32-Jährigen so schlecht im Gedächtnis geblieben ist. Sogar als sie sich entschied, zu ihrem Vater zu ziehen, blieb ihre Mutter gelassen. »Die Entscheidung selbst war pragmatisch«, sagt Arndt heute – »denn ich wusste: Bei ihm darf ich mehr.« Ihre neun Jahre jüngere Schwester blieb bei der Mutter, und wenige Tage nach dem Gespräch schaute sie sich mit ihrem Vater die erste Wohnung an. Das sei ein komisches Gefühl gewesen, erinnert sich Arndt. Eine klare Regelung, wann sie und ihre Schwester den anderen Elternteil sehen sollten, gab es nicht.

Trennungen wie die von Arndts Eltern gehören in Deutschland zum Alltag: Im Jahr 2018 erlebten laut Angaben des Statistischen Bundesamts rund 120 000 Minderjährige die Scheidung ihrer Eltern. Das sind zwar weniger als in den Jahren zuvor, doch auch die Heiratsquote ist hier zu Lande gesunken. Viele Männer und Frauen gründen heute eine Familie, ohne verheiratet zu sein. Ihre Trennung kommt in der amtlichen Bundesstatistik deshalb nicht vor. Insgesamt dürften in Deutschland also sehr viel mehr Eltern getrennt leben.

Die Wissenschaft der Scheidung

Wie geht es Kindern in so einer Situation? Was können Mutter und Vater tun, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten? Und kann die Trennung vielleicht sogar positive Folgen haben? Das sind Fragen, die auch die Wissenschaft beschäftigen. Gibt man die Worte »divorce« (»Scheidung«) und »separation« (»Trennung«) bei PubMed ein, der international größten Online-Forschungsdatenbank im Bereich der Lebenswissenschaften, liefert diese auf Anhieb mehr als 7000 Treffer.

Die ältesten Studien stammen aus den 1930er Jahren. Seitdem häufen sich die Hinweise darauf, dass eine Trennung der Eltern mit negativen Folgen für die Entwicklung von Kindern einhergeht. Was das genau bedeutet, haben inzwischen mehrere Übersichtsarbeiten zusammengefasst. Ihr Ergebnis: Kinder von geschiedenen Eltern schneiden in der Regel schlechter in der Schule ab, nehmen eher Drogen, sind häufiger übergewichtig und haben tendenziell mehr psychische Probleme wie Depressionen oder eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

Das bestätigt auch eine aktuelle Arbeit aus dem Jahr 2018 für Deutschland. Für die Untersuchung hat ein Forscherteam um die Wissenschaftlerin Esther Geisler von der Hertie School of Governance in Berlin die Daten verschiedener repräsentativer Befragungen sowie des Mikrozensus und der Deutschen Rentenversicherung ausgewertet und zusammengefasst. Ihr Fazit: Kinder aus Trennungsfamilien machen sich nicht nur häufiger Sorgen und sind niedergeschlagen, sie leiden auch eher unter Ängsten, sind öfter unkonzentriert, wütend oder aggressiv.

Wenn Wutausbrüche an der Tagesordnung sind

Wut und Aggressivität kennt auch Luisa Arndt – nicht von sich selbst, aber von ihrem eigenen Sohn. Sie ist mittlerweile ebenfalls geschieden, das erste halbe Jahr sprachen sie und ihr Mann nicht miteinander. Inzwischen haben die beiden wieder Kontakt, und der Junge ist jedes zweite Wochenende bei seinem Vater. Doch die morgendlichen Wutausbrüche des Fünfjährigen muss sie allein ertragen.

Ob die Wut tatsächlich eine Folge der Trennung ist, kann allerdings niemand eindeutig sagen. »Obwohl inzwischen zahlreiche Studien darauf hinweisen, dass sich Scheidung und Trennung der Eltern negativ auf die Kinder auswirken und dies auf den ersten Blick sehr plausibel wirkt, lässt sich aus den Untersuchungen kein direkter Zusammenhang ableiten«, sagt Alexandra Langmeyer, Leiterin der Fachgruppe »Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern« vom Deutschen Jugendinstitut in München. In Deutschland seien viele Alleinerziehende beispielsweise besonders häufig von Armut betroffen und bezögen Sozialhilfe. »Wer am Monatsende immer fürchten muss, kein Geld mehr für den Einkauf zu haben, steht nicht nur unter finanziellem, sondern meist auch unter psychischem Druck«, erklärt Langmeyer – Druck, der häufig an die Kinder weitergegeben werde und etwa die Situation von Scheidungskindern ebenfalls verschärfen könne.

»Kinder, denen nicht erklärt wird, warum Vater oder Mutter auszieht, suchen die Schuld in der Regel bei sich; sie fühlen sich von dem fortgehenden Elternteil im Stich gelassen und lernen, dass Auseinandersetzungen existenziell bedrohlich sind«
Torsten Andersohn

Der italienische Wissenschaftler Vittorio Carlo Vezzetti kommt in einer Übersichtsarbeit zu einem ähnlich Ergebnis. Ein Großteil der Studien deute zwar darauf hin, dass die Scheidung der Eltern sich negativ auf Kinder auswirke, schreibt er. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Trennung an sich die Probleme verursache. Entscheidender sei, dass die Trennung die gesamten Lebensumstände der Familie ändert – und das betreffe nicht nur die finanziellen Ressourcen, sondern auch die emotionale Verfügbarkeit der Eltern.

In die gleiche Richtung weist die Übersichtsarbeit der Forscherinnen und Forscher der Hertie School of Governance: Als sie soziodemografische Faktoren wie die finanzielle Situation der Familien aus ihren Daten herausrechneten, war der Unterschied zwischen Kindern, deren Eltern sich getrennt hatten, und solchen, die nach wie vor mit beiden Eltern zusammenlebten, gar nicht mehr so groß.

Oft hängt der Haussegen schon vor der Trennung schief

Hinzu kommt die Tatsache, dass in Trennungsfamilien oft schon vor der Trennung viel gestritten wird. Der Familiensoziologe Paul R. Amato von der Pennsylvania State University in den USA warnte daher bereits im Jahr 2010 in einer Studie davor, sich nur auf die »durchschnittlichen Auswirkungen einer Scheidung« zu konzentrieren, da diese die individuellen Anpassungsleistungen der betroffenen Kinder verdecke.

Viele Forscher und Forscherinnen beschäftigen sich heute entsprechend weniger mit der Frage, welche negativen Auswirkungen Trennungen haben, sondern untersuchen stattdessen, was es braucht, damit Kinder diese gut verkraften. Denn dass die Trennung der Eltern für Kinder schmerzhaft ist und dass dieser Schmerz aufgefangen werden muss, steht außer Frage. »So gibt es beispielsweise immer wieder Fälle, in denen die Eltern sich im Streit trennen und ihren Kindern nicht ausreichend erklären, warum die Mutter oder der Vater geht«, sagt Torsten Andersohn, der seit beinahe 30 Jahren als Familientherapeut und Erziehungsberater in Berlin arbeitet.

Das Problem dabei: »Kinder, denen nicht erklärt wird, warum Vater oder Mutter auszieht, suchen die Schuld in der Regel bei sich; sie fühlen sich von dem fortgehenden Elternteil im Stich gelassen und lernen, dass Auseinandersetzungen existenziell bedrohlich sind.« Für Andersohn bringen derartige Trennungen daher oft gefährliche »blinde Entwicklungen« mit sich, bei denen Eltern ihren Kindern nicht ausreichend Halt geben – was dann letztlich zu negativen Konsequenzen für die Entwicklung führe. Deshalb sei es so wichtig, dass Eltern ihren Kindern deutlich machten, dass sie sich zwar als Paar trennen, aber weiterhin Eltern bleiben.

In der Forschung hat sich hierfür der Begriff Co-Parenting etabliert, also die Kooperationsfähigkeit von Mutter und Vater in der Elternrolle. Wie wichtig diese ist, bestätigt eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015. Dafür hat der Psychologe Diogo Lamela da Silva von der Universität Porto in Portugal mit seiner Kollegin Barbara Figueiredo von der Universität Minho alle Studien zum Co-Parenting analysiert, die zwischen Januar 2000 und Oktober 2014 veröffentlicht wurden. Sie zeigen, dass Kinder, deren Eltern nach der Trennung in der Erziehung gut miteinander zusammenarbeiten, deutlich weniger Verhaltensprobleme aufweisen als solche, deren Eltern sich häufig streiten oder sich gegenseitig in ihrer Autorität untergraben. »Arbeiten die Eltern auch nach der Trennung gut zusammen, gibt das den Kindern emotionale Stabilität und sorgt dafür, dass sie sich bei Vater und Mutter sicher fühlen«, erklärt Familientherapeut Andersohn. Streitereien zwischen den Eltern brächten Kinder hingegen schnell in Loyalitätskonflikte. So genannte hochstrittige Familien gelten daher als entscheidender Risikofaktor.

Die Beziehung zum Vater ist wichtig

Eine Studie, die Forscher um Eivind Meland von der Universität Bergen in Norwegen im Januar 2020 im Fachmagazin »Scandinavian Journal of Public Health« veröffentlichten, zeigt zudem, wie wichtig eine gute Beziehung zum Vater ist. Denn im Gegensatz zu Arndt haben viele Trennungskinder nicht die Wahl, bei welchem Elternteil sie aufwachsen wollen: Gut jedes fünfte Kind in Deutschland lebt laut Angaben des Statistischen Bundesamts nur mit einem Elternteil zusammen. Neun von zehn dieser Kinder bleiben bei ihrer Mutter.

Für die norwegische Untersuchung hat Meland mit seinem Team zwischen 2011 und 2013 mehr als 1200 Jugendliche befragt. Das Ergebnis: Teilnehmer, die angaben, kaum oder gar keinen Kontakt zum Vater zu haben, oder denen es schwerfiel, nach der Scheidung mit ihm zu sprechen, hatten mehr emotionale und physische Probleme. Darunter: Ängste, Depressionen, Stress, Magen- und Kopfschmerzen. Dass die schlechte Kommunikation mit dem Vater ein Resultat der Trennung ist, lässt sich aus der Studie allerdings nicht ableiten. Möglich wäre beispielsweise auch, dass die befragten Jugendlichen schon vor der Trennung kein gutes Verhältnis zu ihm hatten.

»Entscheidend ist nicht die Quantität der gemeinsam verbrachten Zeit, sondern die Qualität«
Alexandra Langmeyer

Eine gute Beziehung zum Vater zeichnet sich in den Augen von Experten nicht dadurch aus, dass Vater und Kind sich jeden Tag sehen oder miteinander telefonieren. »Entscheidend ist nicht die Quantität der gemeinsam verbrachten Zeit, sondern die Qualität«, sagt Wissenschaftlerin Langmeyer. Die einzige Ausnahme seien Kinder im Alter bis zu zwei Jahren, denn sie müssten eine Bindung zu ihren Eltern erst einmal aufbauen. Davon abgesehen scheint das Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Trennung aber keinen besonders großen Einfluss darauf zu haben, wie gut sie die Trennung verarbeiten.

Dass sich die Qualität einer Beziehung nicht an der Häufigkeit der Kontakte misst, zeigt auch die Erfahrung von Luisa Arndt: Sie lebte nach der Trennung zwar bei ihrem Vater, doch dieser war zunächst sehr mit sich selbst beschäftigt. Arndt nahm Drogen und schwänzte die Schule – ohne Konsequenzen. Ab und zu stritten sie sich über den Abwasch. Kam es dabei zur Eskalation, zog Luisa einfach für ein paar Tage zu ihrer Mutter. Ihr eigener Sohn, der seinen Vater seit der Geburt nur unregelmäßig gesehen hatte, musste seinen Papa tatsächlich erst einmal kennen lernen. Mittlerweile übernachtet er zwar bei seinem Vater; bis es so weit war, hat es jedoch gedauert.

Heute bei Mama, morgen bei Papa

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Betreuungsmodelle sich für Kinder nach einer Trennung grundsätzlich am besten eignen. Denn auch wenn in Deutschland nach wie vor das Residenzmodell dominiert, bei dem das Kind die meiste Zeit bei einem Elternteil lebt, ist international inzwischen das Wechselmodell auf dem Vormarsch. Das heißt, selbst wenn das Kind zum Beispiel hauptsächlich bei der Mutter wohnt, verbringt es dennoch mindestens ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte der Zeit beim Vater. Eine Übersichtsarbeit der Forscherinnen Kim Bastaits und Inge Pasteels von der Universität Antwerpen in Belgien aus dem Jahr 2019 legt nahe, dass es das Wechselmodell Kindern erleichtert, zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung zu entwickeln. Für Eltern, die sich viel streiten, oder für Familien mit Gewalterfahrungen sei das Modell allerdings weniger geeignet.

Zudem können sich nicht alle Familien das Wechselmodell leisten, gibt Familientherapeut Andersohn zu bedenken. Für den Psychologen kommt es deshalb vor allem darauf an, dass die Eltern sich mit dem Modell wohlfühlen und es ihrem Kind authentisch vermitteln. Denn: »Geht es den Eltern gut, dann geht es auch den Kindern gut, und sie sind bereit, sich auf viele Situationen einzustellen.«

Dass Kinder dennoch mit Trauer, wenn nicht gar mit Wut auf die Trennung der Eltern reagieren, ist ganz normal. Manchmal kann es sogar gut sein, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen: »Kinder, die bei sich zu Hause nicht den Raum bekommen, ihre Gefühle zu äußern, machen diese oft mit sich allein aus, was wiederum zur Entwicklung psychischer Probleme beitragen kann«, sagt Andersohn. Wutausbrüche wie die von Luisa Arndts Sohn lassen sich demnach auch positiv deuten: Sie zeigen, dass das Kind seinen Eltern vertraut und keine Angst davor hat, dass sein Geschrei zu einem Beziehungsabbruch führt. Trennungen haben auf diese Weise manchmal mitunter sogar eine positive Wirkung: »Sie vermitteln dem Kind, dass Krisen gemeistert werden können.«

* Der Name der Protagonistin wurde zum Schutz ihrer Privatsphäre und der Privatsphäre ihrer Familie geändert. Er ist der Redaktion bekannt.

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