Direkt zum Inhalt

Meeresbiologie: Scheinbar schmackhaft

Tintenfische verstecken sich bekanntermaßen hinter einer dunklen Wolke vor allzu hungrigen Zeitgenossen. Seehasen genügt diese optische Ablenkung nicht - sie irritieren ihre Feinde mit einem ausgeklügelten chemischen Cocktail.
Er sieht schon etwas merkwürdig aus. Der bis zu 40 Zentimeter lange wulstige Körper verbreitert sich an den Seiten zu flügelartigen Lappen; vorne sitzen vier Tentakeln, von denen sich die hinteren besonders lang hervorstrecken und irgendwie an Hasenohren erinnern. Doch der Seehase hat mit Meister Lampe wenig zu tun – es handelt sich schlicht um eine Meeresschnecke, die ihre Schale gut versteckt hat.

Bei aller Schlichtheit: Die Gattung Aplysia – wie der Seehase in Zoologenkreisen genannt wird – hat schon so manches Forscherherz erfreut. Neurobiologen schätzen das einfach gebaute Nervensystem der Schnecke, und für Verhaltensforscher hat das Weichtier auch noch einiges in petto. Denn wie seine entfernten Verwandten, die Tintenfische, verbirgt sich der Seehase hinter farbigen Sekreten, sobald er von allzu aufdringlichen Zeitgenossen belästigt wird, und ergreift die Flucht, indem er ruckartig Wasser nach hinten ausstößt.

Dabei begnügt sich der marine Mümmelmann durchaus nicht nur mit einem optischen Ablenkungsmanöver, wie Cynthia Kicklighter und ihre Kollegen jetzt herausgefunden haben. Um das Geheimnis der Seehasentinte zu ergründen, ließen die Biologen von der Georgia State University hungrige Langusten der Art Panulirus interruptus auf Aplysia californica los.

Seehase und Languste | Eine Languste (Panulirus interruptus) attackiert einen Seehasen (Aplysia californica). Die Schnecke wehrt sich mit tintenartigen Sekreten, die den Räuber derart irritieren, dass er schließlich seine Beute loslässt.
Sobald die Languste die Schnecke entdeckt hat, scheint es um diese geschehen: Gierig packt der Krebs sein Opfer, dreht und wendet es mehrfach, um an dem weichen Körper eine passende Stelle zum kräftigen Zubeißen zu finden. Doch in diesem Moment trübt ein purpurvioletter sowie ein milchigweißer Flüssigkeitsstrom das Wasser.

Und jetzt geschieht Erstaunliches: Schlagartig verliert die Languste ihr Interesse an ihrer Beute. Sie lässt ihr Opfer los, wühlt im Boden, als ob hier etwas viel Besseres zu finden sei, und putzt ausgiebig ihre Antennen. Währenddessen macht sich der glückliche Seehase aus dem Staub.

Dabei scheint weniger die dunkle Tinte als vielmehr der helle Schneckensaft das absonderliche Verhalten der Languste auszulösen. Denn als die Forscher die entsprechende Drüse bei den Seehasen entfernten, konnten diese ihren gefräßigen Feinden nur noch selten entkommen.

Die chemische Analyse der beiden Sekrete zeigte schließlich, dass der dunkle Tintensaft vor allem aus Ammonium besteht, während in seinem milchigen Pendant hauptsächlich die Aminosäure Taurin zu finden ist. Und dieser chemische Cocktail – so zeigten die Messungen der Nervenaktivität – ahmt in seiner Wirkung die Lieblingsspeise der Langusten nach: Garnelen. Offenbar lässt der Krebs seine Beute ziehen, um in der Tintenwolke nach dem vermeintlich besseren Leckerbissen zu schnappen. Da hier nichts zu finden ist, durchwühlt er gierig den Boden und putzt völlig irritiert seine Antennen. Der Seehase ist längst vergessen und entschwunden.

Kicklighter und ihre Kollegen bezeichnen dieses erfolgreiche Ablenkungsmanöver als Phagomimikry, also "Fresstäuschung" – eine raffinierte Manipulation, die einer schlichten Schnecke wohl nicht so ohne weiteres zugetraut wird.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.