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Mikrobiologie: Schichtwechsel

Wer sowohl Sauerstoff erzeugende Fotosynthese betreiben als auch Stickstoff fixieren will, sollte eigens dafür vorgesehene Außenstellen einrichten oder sich sonstige Abschottungsmaßnahmen für eine räumliche Arbeitsteilung einfallen lassen - schließlich stören sich die beiden Prozesse grundlegend. Manche Cyanobakterien aber setzen auf Schichtbetrieb: Wenn abends das lichtabhängige Geschehen ruht, rödelt die Nitrogenase.
Heiße Quelle im Yellowstone Nationalpark
Es waren Extremisten, die der Erde den Sauerstoff brachten: Vor etwa drei Milliarden Jahren – einige hundert Millionen Jahre hin oder her – entwickelten Urbakterien eine Fotosynthese-Variante, bei der das heute lebensspendende Gas frei wurde. Damals jedoch war es für die meisten Organismen erst einmal pures Gift, das Anpassung erforderte.

Als Idee tragende Hauptverdächtige zählen Cyanobakterien, die immer noch häufig wegen dieser so pflanzentypischen Energiegewinnung und ihrer Farbe fälschlicherweise als "Blaualgen" bezeichnet werden, obwohl sie der molekularbiologische Blick ins Innere eindeutig den Zellkernlosen zuordnet.

Und noch immer zählen viele von ihnen zu den Extremisten, beispielsweise als Besiedler von heißen Quellen mit kuscheligen über 70 Grad Celsius Wassertemperatur. Hier bilden sie mit anderen wärmeliebenden Bakterien dichte Mikrobenmatten mit einem wohl intensiven Stoffaustausch untereinander: Während die einen den Luftstickstoff binden und für alle verfügbar machen, sorgen sich andere um den Sauerstoff-Nachschub und die Kohlenstoff-Versorgung. Wer sich einzelne Organismen aus dem dichten Durcheinander heraus pickt und im Labor betrachtet, kann deshalb Messungen aus dem Freiland oftmals nicht bestätigen.

Mikrobielle Matte | Der Querschnitt einer mikrobiellen Matte aus der untersuchten heißen Quelle zeigt oben die grüne Schicht fotosynthetischer aktiver Organismen, zu denen auch das Cyanobakterium Synechococcus zählt. Um sowohl Stickstoff fixieren und Fotosynthese betreiben zu können, macht es Schichtarbeit: Nachts, wenn die Sauerstoff-Produktion durch die Energiegewinnung ruht, werkelt die Nitrogenase.
Eines nur schien klar: Stickstoff-Fixierer gehören nicht zur heißesten Sorte. Dazu befähigte fädige Cyanobakterien, die den sauerstoffempfindlichen Prozess in extra angelegten Heterocysten ablaufen lassen, bleiben lieber unter 50 Grad Celsius – also eher am Rand der Pools. Im Zentrum überließen sie diese Aufgabe hitzeresistenteren Bakterien, die auf Fotosynthese verzichten.

Nun aber stolperten Anne-Soisig Steunou von der Carnegie-Institution und ihre Kollegen inmitten einer heißen Quelle im Yellowstone-Nationalpark über zwei Cyanobakterien-Vertreter, deren Erbgut auch die Anlagen für die Stickstoff-Fixierung enthält. Als Synechococcus-Angehörige nutzen sie jedoch nicht den Trick ihrer Verwandten, die N2-Verarbeitung auszulagern. Wie also schützen sie dann das für die N2-Fixierung zentrale Enzym Nitrogenase vor dem selbst produzierten Sauerstoff?

In bester Detektivmanier verfolgten die Forscher das Geschehen vor Ort und rund um die Uhr: Mehrmals am Tag entnahmen sie Proben aus der dichten Matte, deren oberste Millimeter ihr Untersuchungskandidat dominiert. Zurück im Labor analysierten sie anhand der Abschriften des Erbfadens, welche Gene wann aktiv werden.

Und siehe da: Die gewieften Quelleninsaßen setzen statt auf räumliche auf zeitliche Trennung – abends, wenn die Fotosynthese und damit die Sauerstoff-Produktion zur Ruhe kommt, wird die N2-Fixierung angeworfen. So kann die empfindliche Nitrogenase ungehindert werkeln.

"Es wäre wohl zutreffender, die mikrobielle Matte als funktionelle Einheit denn als Gruppe individueller Organismen zu betrachten"
(Arthur Grossman)
Bleibt allerdings noch die Energieversorgung zu klären. Denn Luftstickstoff zu binden, benötigt eine Menge zelluläre Energiewährung. Ausgerechnet die Atmung jedoch, die davon in Fülle liefern könnte, arbeitet ebenfalls nur Tagschicht – ihr wird nachts der nötige Sauerstoff zu knapp. Daher müssen die Synechococcus-Vertreter auf die weniger effiziente Gärung umsteigen. Wie sich zeigte, setzen die Organismen auch hier auf zeitabhängige Einsatzgruppen: Für manche Enzyme gibt es nur tagsüber Bauanleitungen, für die Beteiligten anderer Fermentationswege entstehen die Blaupausen eher abends und nachts.

Daran offenbarte sich auch ein weiteres Mal die unterschiedliche Welt drinnen und draußen. Denn ausgerechnet die Produkte der beiden Gärungsvarianten – Formiat, Ethanol oder Laktat – fanden sich in bisherigen Analysen solcher Gesamtgemeinschaften kaum wieder. Wahrscheinlich, so folgern die Wissenschaftler, werden sie gleich von Nachbarn weiter verarbeitet.

"Es wäre wohl zutreffender, die Mikrobenmatte als funktionelle Einheit denn als Gruppe individueller Organismen zu betrachten", sagt daher auch Studienleiter Arthur Grossman. Der Rekord für das hitzebeständigste Multitasking-Cyanobakterium, das Fotosynthese und Stickstoff-Fixierung gleichermaßen beherrscht, gebührt aber Schichtarbeiter Synechococcus allein.

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