Schiffsverkehr: Verheerendes Bild im Kampf für saubere Ozeane

Die EU bekommt das Problem der Meeresverschmutzung durch die Schifffahrt nicht in den Griff. Ein neuer Prüfbericht des Europäischen Rechnungshofs belegt, dass alle europäischen Meere weiterhin massiv durch Schiffe belastet sind und die bestehenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Verschmutzung bei Weitem nicht ausreichen. Obwohl in der EU teilweise strengere Vorschriften gelten als international vorgeschrieben, bleibt die Belastung der Nord- und Ostsee sowie des Atlantiks und des Mittelmeers sowohl mit Chemikalien als auch mit Öl und Abwässern hoch. Als Grund dafür sehen die Prüfer eine viel zu schwache Kontrolle und Durchsetzung der eigenen Vorschriften in den 22 EU-Küstenstaaten.
EU-Ziele für die Schifffahrt in weiter Ferne
Laut den Rechnungsprüfern sind 80 Prozent der europäischen Meeresgewässer in einem problematischen Ausmaß mit Schadstoffen belastet und 75 Prozent stark mit Abfällen verunreinigt. Öllecks, Chemikalien aus Abwassertanks, giftige Schiffsanstriche, Plastikmüll und verlorene Schiffscontainer seien eine stetige Quelle der Verschmutzung für die Meere im Einzugsbereich der EU-Staaten. Die ökologischen Folgen seien gravierend, warnen die Kontrolleure. »Die Meeresverschmutzung durch Schiffe ist nach wie vor ein großes Problem, und trotz Verbesserungen in den letzten Jahren zeigt sich die EU unfähig, hier wirklich Abhilfe zu schaffen«, kritisiert Nikolaos Milionis, der als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs federführend an dem Report mitgearbeitet hat.
»Das Null-Schadstoff-Ziel zum Schutz der menschlichen Gesundheit, der biologischen Vielfalt und der Fischbestände liegt in weiter Ferne«, kritisierte er. Im Rahmen des Europäischen Green Deal hatte sich die EU zum Ziel gesetzt, die Gefahr durch Schadstoffe für die biologische Vielfalt im Meer bis 2030 um 25 Prozent zu verringern und die Belastung der Meere mit Kunststoffabfällen zu halbieren.
Ein Schwerpunkt des Berichts liegt auf der laut Prüfern unzureichenden Überwachung der Verschmutzung. Als ein Beispiel führen die Luxemburger Kontrolleure das europäische Satelliten-Überwachungssystem »CleanSeaNet« an. Über diese Satellitenaufklärung seien 2022 und 2023 insgesamt 7731 mögliche Verschmutzungsereignisse in EU-Gewässern erfasst worden. Doch die Mitgliedstaaten hätten nur auf weniger als die Hälfte der Warnungen reagiert.
»Das Null-Schadstoff-Ziel zum Schutz der menschlichen Gesundheit, der biologischen Vielfalt und der Fischbestände liegt in weiter Ferne«Nikolaos Milionis, Mitglied des Europäischen Rechnungshofs
Ein zunehmendes Problem für die Meeresumwelt ist auch der Verlust von Schiffscontainern. Jedes Jahr gehen dem Bericht zufolge Hunderte von ihnen auf See verloren, oft ohne ordnungsgemäße Meldung oder Bergung. Nur etwa vier Prozent der Container, die im Atlantik und in der Nordsee von Bord gegangen sind, werden den Prüfern zufolge tatsächlich geborgen: Dies ungeachtet der Tatsache, dass jeder einzelne Container große Mengen von Chemikalien oder anderer gefährlicher Stoffe enthalten kann und damit eine tickende Zeitbombe für die Umwelt darstellt. Als Beispiel nennt der Bericht Plastikgranulat: Allein in den Jahren 2019 und 2020 seien zwei Schiffsladungen mit insgesamt 1,2 Milliarden Plastikpellets verloren gegangen und hätten die Nordsee verschmutzt. Nach Angaben der Kommission stellt Kunststoffgranulat die drittgrößte Quelle von Mikroplastik dar, das in der EU unbeabsichtigt in die Umwelt freigesetzt wird. Verbesserungen beim Aufspüren und Bergen verlorener Container erhoffen sich die Prüfer durch internationale Vereinbarungen. Ab 2026 soll dazu eine internationale Meldepflicht für alle verlorenen Container in Kraft treten.
Eine tickende ökologische Zeitbombe sind im Wortsinne auch die großen Mengen Munition aus beiden Weltkriegen, die vor den Küsten vergammeln. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums liegen allein in deutschen Hoheitsgewässern auf dem Meeresgrund von Nord- und Ostsee etwa 1,6 Millionen Tonnen Bomben, Minen oder Granaten. Daraus entweichende Krebs erregende Substanzen reichern sich in Fischen und Muscheln an und drohen so auch in die menschliche Nahrungskette zu gelangen. Um das Problem anzugehen, hat die scheidende Bundesumweltministerin Steffi Lemke ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, mit dem zunächst in der Lübecker und der Mecklenburger Bucht erprobt werden soll, wie Munition in großem Maßstab entdeckt, geborgen und sicher entsorgt werden kann.
Lasche Durchsetzung von Vorschriften
Als Ursache für die vielen aufgedeckten Missstände beim Schutz der Meere machen die Rechnungsprüfer eine lasche Durchsetzung der bestehenden Vorschriften sowohl auf dem Meer wie in den europäischen Häfen aus. Auch die Strafen beispielsweise für illegale Einleitungen ins Meer seien zwischen den Staaten nicht einheitlich und insgesamt zu mild, um abschreckend zu wirken. »Die Verantwortlichen müssen kaum mit wirksamen oder abschreckenden Sanktionen rechnen, und auch eine Strafverfolgung erfolgt nur selten«, kritisieren die Prüfer. Selbst bei Ölverschmutzungen durch absichtliche Einleitungen, beispielsweise durch das Reinigen von Tanks auf hoher See, gebe es im Ergebnis kaum Konsequenzen für die Verantwortlichen. Dabei machten solche »kleinen« Ölpests den Großteil der Fälle von Ölverschmutzung aus.
Als Konsequenz aus ihren Recherchen fordern die EU-Prüfer mehr vorbeugende Kontrollen von Schiffen, eine konsequentere Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und härtere Sanktionen gegen Umweltsünder. »Solange es für Reeder und Schiffseigner wirtschaftlich lukrativ bleibt, Vorschriften zu umgehen, wird sich an der Verschmutzung der Meere kaum etwas ändern«, warnen die EU-Kontrolleure.
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