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Schimmel im Museum: Unterschätzte Gefahr für Kunst und Gesundheit

Bestimmte Pilzarten gedeihen auf Kulturgütern selbst dann, wenn die Luftfeuchtigkeit unter 65 Prozent bleibt. Das stellt Museen und Kunstsammlungen vor neue Herausforderungen.
Vier leere, beleuchtete Bilderrahmen hängen an einer dunkelgrauen Wand in einer Galerie. Darunter stehen zwei braune Bänke auf einem Parkettboden.
Eine Gruppe von Schimmelpilzen bedroht Kunst und Kulturschätze – betroffene Werke müssen aufwändig gereinigt werden oder können gar nicht mehr ausgestellt werden.

Auf den Bildern sieht es ein wenig so aus, als wäre kurz zuvor ein Schneesturm durch den Museumsfundus gezogen: Dicke, weiße Flocken überziehen Aufbewahrungsboxen, in denen historische Artefakte lagern. Doch der Schein trügt. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die vermeintlichen Kristalle nämlich als Schimmelkolonien. Sie wachsen nicht bloß auf den Pappkartons, die zahlreiche Kunstschätze schützen sollen. Eine Forschungsgruppe um die leitende Konservatorin des dänischen Nationalmuseums Camilla Jul Bastholm entdeckte sie auch direkt auf den gelagerten Ausstellungsstücken. Überall scheint der Pilz zu gedeihen: Ob Zellulose, Leder und sogar Metall, vor keiner Oberfläche macht er Halt. Und das Problem ist nicht nur auf ein Museum begrenzt. Vielmehr betrifft es alle Einrichtungen im Land, die das Team bisher unter die Lupe nahm.

Dabei sollte hier eigentlich gar kein Schimmel wachsen können. In den meisten untersuchten Museen wird das Raumklima durchgehend kontrolliert, um Pilzbefall zu verhindern. Der Internationale Museumsrat empfiehlt dazu eine Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent, andere Richtlinien setzen das Maximum bei 65 Prozent. Die über ein Jahr hinweg beobachteten Werte von den dänischen Institutionen lagen zwischen 38 und 64 Prozent. Lediglich in zwei der acht untersuchten Gebäude gab es Hinweise auf Wasserschäden. Die Wände waren trocken und schimmelfrei, betroffen waren ausschießlich Kunstwerke und Kulturgüter.

Bastholm ist angesichts der Funde besorgt. Der Befall könnte gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch sein. Einerseits schädigt er die Ausstellungsstücke: Mit ihren Enzymen greifen die Pilze die Oberflächen an, auf denen sie wachsen. So fördern sie Zersetzungsprozesse, was die Materialbeschaffenheit und Färbung verändert. Andererseits könnte der Schimmel Menschen gefährlich werden, mit katastrophalen Auswirkungen für das Museum. »Eine Sammlung, von der gesundheitliche Risiken ausgehen, wird unbenutzbar«, erklärt die Konservatorin gegenüber dem britischen »Guardian«, »sie wird zur toten Ressource.« Schimmelsporen und -gifte könnten Besucherinnen und Besuchern schaden. Noch stärker gefährdet ist allerdings das Museumspersonal, und hier vor allem diejenigen Mitarbeiter, die die Artefakte restaurieren, verpacken und ausstellen. Denn sie sind wiederholt und über längere Zeiträume in direktem Kontakt mit den Pilzen.

Auf den Spuren der Sonderlinge

Aufmerksam auf den Schimmel wurde Bastholm erstmals 2012 bei ihrer Arbeit im ROMU in Roskilde, einer Stadt etwa 25 Kilometer westlich von Kopenhagen. In dem 2010 fertiggestellten Depot des Museums, das eigentlich optimale Bedingungen für die Aufbewahrung von Kunstschätzen bieten sollte, hatte sie an lagernden Ausstellungsstücken die verräterischen weißen Flöckchen entdeckt. Mit vier weiteren Fachleuten machte sie sich daran, die Ursache zu finden und zu beseitigen.

Die Luftfeuchtigkeit in den Räumen hatte durchgehend unter 60 Prozent gelegen, und das Team fand weder Lecks noch Wasserschäden am Gebäude. Es sammelte Proben von der Oberfläche kontaminierter Gegenstände. Zwei unabhängige Analyselabors, an die es diese versandte, lieferten keine Hinweise zu ihrer Identität. Die Forschenden züchteten die Pilze deshalb selbst. Sie säten sie auf mehreren Kulturmedien aus, um herauszufinden, wo sie am besten wuchsen. Dann testeten sie die entstandenen Schimmelkolonien. Ihre Auswertung ergab, dass die weißen Pünktchen hauptsächlich aus unterschiedlichen xerophilen (also bei geringer Feuchtigkeit gedeihenden) Aspergillus-Arten bestanden. Auch in der Umgebungsluft konnten sie die Pilze nachweisen.

Aggressive Kunstschädlinge | Die Forscher fanden die Schimmelkolonien auf Gegenständen aus Holz (1 und 6), Metall (2), Papier (3), Wolle (4), Leder (5), Gummi (7) und Keramik (8 und 9).

In Anbetracht dieser Ergebnisse fragten sich die Fachleute, ob sie es hier mit einem isolierten Problem zu tun hatten oder ob der Schimmel unbemerkt noch in anderen Institutionen sein Unwesen trieb. Deshalb weiteten sie ihre Studie aus. Sie nahmen neben dem ROMU sieben weitere dänische Museen unter die Lupe. In 600 Abstrichen von Gegenständen wiesen sie in ausnahmslos allen Lagerräumen mehrere Arten von xerophilem Aspergillus nach. Einige Spezies erreichten in den 60 untersuchten Luftproben sehr hohe Konzentrationen. Der Schimmel befiel niemals die Wände, sondern lediglich aufbewahrte Exponate und ihre Verpackungen. Außerhalb der Museen hat Bastholm ihn schon in Kirchen, Archiven und in Bibliotheken beobachtet. »Die Pilze scheinen Kulturgut zu bevorzugen. Ich habe sie noch nie anderswo wachsen sehen«, erzählt sie dem »Guardian«.

Kein rein dänisches Problem

Die Studie untersuchte zwar bloß dänische Institutionen, doch Bastholm ist überzeugt, dass das Problem keinen Halt vor Staatsgrenzen macht. »Ich denke, es ist ein globales Phänomen. Wenn wir mit den richtigen Methoden danach suchen, werden wir es finden.« Wie verbreitet die Pilze tatsächlich sind, lässt sich aber nur schwer abschätzen. Da Analyselabors xenophilen Aspergillus nicht verlässlich nachweisen, könnte er unbemerkt bereits in zahlreichen Museen weltweit gedeihen. Selbst wenn die Plage ihren Anfang in einer einzelnen Institution nahm, könnte sie sich durch Leihgaben schon weit über ihren Ursprungsort hinaus verbreitet haben.

Wie sieht die Situation in Deutschland aus? Die Umweltwissenschaftlerin und Restaurierungsexpertin Anna Micheluz hat selbst zu xerophilen Pilzen geforscht. Seit 2018 arbeitet sie im Deutschen Museum in München, das ihrer Auskunft zufolge bislang von dem Schimmel verschont geblieben ist. Auch aus weiteren Kunstsammlungen hierzulande ist ihr persönlich kein ähnlicher Befall bekannt, doch sie schließt keineswegs aus, dass das Problem in deutschen Institutionen ebenfalls existiert.

Über mögliche gesundheitliche Folgen des Pilzbefalls weiß man noch wenig. Manche Schimmelpilze sind für Menschen generell ungefährlich oder sogar nützlich – man denke etwa an jene, die auf Käsen wie Camembert und Brie wachsen. Andere sind wiederum hochgiftig. Ein Beispiel ist der gelbe Schimmel Aspergillus flavus, der krebsauslösende und leberschädigende Aflatoxine produziert. Eine 2016 veröffentlichte Studie fand hohe Konzentrationen schädlicher Stoffe in diversen Schimmeln, die in Museen vorkommen. Eine noch ältere Untersuchung in einem polnischen Museum wies bei 85 Prozent der Belegschaft eine Unverträglichkeit oder Allergie gegenüber Schimmel nach. Das höchste Risiko hatten diejenigen Mitarbeitenden, die bereits seit mehr als fünf Jahren im Museum arbeiteten.

Doch keine der beiden Arbeiten gibt Aufschluss darüber, inwiefern xerophiler Aspergillus zu den Effekten beiträgt. Bekannte Pilzgifte hat man bei diesen Arten noch nicht nachgewiesen. Es lässt sich aber nicht ausschließen, dass sie solche oder bislang unentdeckte Toxine enthalten. Außerdem könnten die Sporen die Atemwege reizen und so insbesondere bei Allergikern und Asthmatikern Probleme auslösen. Ohne weitere Untersuchungen der Arten lässt sich auch nicht abschätzen, welche Schutzausrichtung das Museumspersonal beim Arbeiten mit kontaminierten Gegenständen benötigt und unter welchen Umständen sie gar nicht mehr ausgestellt werden sollten.

Auch Bücher sind nicht sicher

Bastholms Team ist nicht das einzige, das ungewöhnlichen Schimmel an Kulturgütern nachwies. Anna Micheluz, die damals an der Universität Venedig arbeitete, beschrieb mit Kollegen bereits 2015 einen ähnlichen Bewuchs. In einer venezianischen Bibliothek gediehen xerophile Pilze auf vielen der dort gelagerten alten Bücher. Aspergillus-Arten dominierten, inklusive A. halophilicus – einer der Organismen, der auch Bastholms Team aufgefallen war. Sie wucherten vor allem auf Leder- und Stoffeinbänden, doch sogar in Luftproben wiesen die Fachleute ihre Sporen nach. Schon zuvor waren in italienischen Bibliotheken ähnlich trockenresistente Schimmelkolonien aufgetaucht, die Bücher und Papier angegriffen hatten.

Auch auf Gemälden scheinen die Pilze gut zu wachsen. Forschungsteams haben sie unter anderem von beschädigten Ausstellungsstücken im französischen Musée des Beaux Arts de Brest isoliert. An Kirchenmalereien in einem slowenischen Fundus, die merklich unter Schimmelbefall gelitten hatten, fanden Fachleute mehrere xerophile Aspergillus-Arten. Selbst vor Knochen machen die Mikroben nicht Halt: Eine Untersuchung im Natural History Museum in London wies sie in winzigen Kolonien am Skelett des Blauwals »Hope« nach, der im Eingangsbereich des Gebäudes ausgestellt ist. Die Pize drangen zum Teil in die Knochen ein und veränderten deren Zusammensetzung.

Bis auf Mark und Bein | Selbst am Skelett des im National History Museum in London ausgestellten Blauwals »Hope« fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon Schimmelpilze, die den Knochen zusetzten.

Was momentan fehlt, ist ein Überblick darüber, wie groß das Problem tatsächlich ist. Die unterschiedlichen Studien zeigen jedoch bereits, dass sich eine Vielzahl von Materialien als Untergrund für die Pilze eignet und der Schimmelbefall die Exponate schädigt. Ob angesichts solcher Erkenntnisse Richtlinien zur Lagerung von Kunstschätzen anzupassen sind, müssen Expertinnen und Experten diskutieren. Die aktuell gültigen Richtwerte basieren auf Studien, die zum Teil mehrere Jahrzehnte alt sind. Xerophile Arten fanden bei vielen dieser Untersuchungen keine Beachtung.

Lagerung und Restaurierung werden aufwändig – und teuer

In der Zwischenzeit stellt der Schimmel Konservatoren und Museumsdirektoren vor Herausforderungen. Wie man Ausstellungsstücke vor dem Schädling schützt und welcher Mehraufwand beim Restaurieren der kontaminierten Stücke anfällt, ist nämlich ebenfalls offen. Micheluz betont, dass xerophile Pilze sehr robust sind. Sie können über längere Zeit in eine Art Ruhezustand eintreten und sich erneut ausbreiten, wenn die Umweltbedingungen günstig sind. »Deshalb ist es schwierig, sie vollständig zu entfernen«, erklärt sie. Um Schimmelwachstum zu verhindern, könne man zwar die Luftfeuchtigkeit in den Räumen weiter senken, »aber dadurch schafft man günstige Bedingungen für xerophile Schimmelpilze, die trockene Umgebungen bevorzugen«. 

Viele Institutionen tun sich bereits jetzt schwer damit, aktuell empfohlene Grenzwerte durchgehend umzusetzen. Insbesondere in feuchtheißen Klimazonen braucht es viel Energie, um die Lagerräume ausreichend zu kühlen und trockenzuhalten. Mit der Erderwärmung steigt dieser Aufwand zusehends. Jedes Prozent weniger Luftfeuchte geht mit technischen Herausforderungen und ungleich höheren Kosten einher. Und da xerophile Pilze sich sehr leicht an extreme Bedingungen anpassen, ist unklar, welchen Nutzen man sich von einer noch stärkeren Entfeuchtung versprechen kann.

Micheluz empfiehlt daher, Sammlungen regelmäßig zu sichten, um ein erstes Auftreten von Pilzbefall frühzeitig zu erkennen. »Die betroffenen Objekte sollte man schnell isolieren und reinigen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern«, so die Konservierungswissenschaftlerin.

Die von ihr untersuchte Schimmelblüte in der venezianischen Bibliothek ließ sich mit einer Kombination aus Maßnahmen eindämmen. »Das Problem bestand darin, dass die Bücher in Kompaktschränken gelagert wurden, die über mehrere Monate geschlossen blieben«, erläutert Micheluz. Dadurch war keine Luftzirkulation gewährleistet. Nach der Desinfektion der Bücher und der Reinigung der Regale sorgte ihr Team bei der erneuten Einlagerung für eine ausreichende Belüftung. »Bei der Kontrolle nach einigen Monaten hatten sich die xerophilen Pilze nicht weiter ausgebreitet«, erklärt sie. Die Bekämpfung der widerstandsfähigen Organismen ist also möglich, wenn auch mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden.

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  • Quellen

Bastholm, C.J. et al., Journal of Cultural Heritage 10.1016/j.culher.2022.02.009, 2022

Bastholm, C.J. et al., Science of The Total Environment 10.1016/j.scitotenv.2024.173880, 2024

Micheluz, A. et al., International Biodeterioration & Biodegradation 10.1016/j.ibiod.2014.12.012, 2015

Pinzari, F. et al., Environmental Microbiology 10.1111/1462–2920.14818, 2019

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