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Neuroforschung: Schlachtfeld Gehirn

Die US-Armee gibt mehr als 300 Millionen Dollar für Neuroforschung aus. Doch dabei geht es um viel mehr als das Seelenheil der Soldaten.
Gleichstromstimulation

Die Kriege im Irak und Afghanistan haben die USA nicht nur finanziell und politisch stark belastet, sondern auch menschlich. Einer Studie der Consultingfirma RAND zufolge litten während der aktiven Kriegsphase allein 300 000 Veteranen akut unter einem posttraumatischen Stresssyndrom, das sich durch zahlreiche körperliche und seelische Störungen bemerkbar macht.

Die Versorgung der Veteranen kostet seither sehr viel Geld. Schon deshalb setzt das US-Militär stark auf eigene neurobiologische Forschung, um neue Therapien und Heilmittel zu erkunden. Doch das ist nur die eine, positive Hälfte der militärischen Neuroarbeit. Es gibt auch eine dunkle Seite: Als Konsequenz aus den letzten Kriegen setzt die Militärführung auch darauf, die Neurobiologie viel intensiver auszunutzen als bisher. Die Pläne reichen von neuartigen Aufputschmitteln bis zu Geräten, die mit der Kraft von Gedanken gesteuert werden. Das US-Militär gab 2011 bereits mehr als 300 Millionen Dollar für Neuroforschung aus, hat der US-Bioethiker Jonathan Moreno ermittelt – Tendenz stark steigend.

So wie unbemannte Drohnen die Kriegsführung im Irak und in Afghanistan verändert haben, könnte die militärische Neuroforschung die nächsten Waffengänge der USA prägen. Dass es neue Kriege geben wird, darauf bereiten sich die USA intensiv vor. Ständig entstehen neue Motive und Gründe für bewaffnete Konflikte: So schaffen Klimawandel und kollabierende Fischbestände ebenso neue Kriegsrisiken wie der Kampf um die letzten nicht verteilten Räume und Rohstoffe in der Tiefsee, im Weltall oder im Cyberspace. Zugleich aber verändern neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Entwicklungen besonders aus der Neurobiologie die Art und Weise, wie Kriege geführt werden: "Die jeweils neuesten Technologien treiben oft die Kriegsführung an, … und die Neurowissenschaften treten immer mehr in den Fokus", warnten die amerikanischen Bioethiker Jonathan Moreno und Michael Tennison von der University of Pennsylvania kürzlich in der Zeitschrift "PLoS Biology".

Krieg der Neurobiologie

Wissenschaft und Krieg sind seit jeher eng miteinander verbunden: Den Ersten Weltkrieg mit seinen Giftgasattacken beschreibt Robert H. Scales, der langjährige Leiter des U.S. War College in Carlisle, als Krieg der Chemiker und den Zweiten Weltkrieg mit dem Einsatz der Atombombe als jenen der Physiker. Den nächsten großen Kampf fechten seiner Meinung nach die Neurobiologen aus. Denn in den Auseinandersetzungen der Zukunft werde die "kognitive Macht" wichtiger als kinetische Energie.

Seit Langem wird geforscht, wie sich Soldaten manipulieren und ihre Leistungsfähigkeit steigern lassen. Spätestens seit dem Zweiten Golfkrieg setzt die US-Armee in großem Stil Psychopharmaka ein, um Soldaten aufzuputschen und ihre Einsatzzeiten zu verlängern. Dazu zählen Modafinil, ein Wachmacher, den US-Piloten auf Langstreckenflügen einnehmen. Das Antidepressivum Sertralin wird systematisch gegen Stress und Belastungsstörungen bei langen Kampfeinsätzen gegeben, der Wirkstoff Clonazepam gegen Angst. 2007 haben laut dem Mental Health Advisory Team der US-Armee 12 Prozent der Kampftruppen im Irak und 17 Prozent in Afghanistan Antidepressiva und Schlafmittel bekommen, damit sie den Anforderungen besser gewachsen waren.

All das konnte noch nicht verhindern, dass zehntausende Soldaten psychisch nicht damit zurechtkommen, den Tod von Kameraden mitzuerleben oder in dem Bewusstsein zu leben, unschuldige Zivilisten getötet zu haben. Je größer die Ausfälle vor allem durch die Posttraumatischen Belastungsstörung (englisch PTSD) werden, desto mehr Geld investieren die USA, um die neurobiologischen Mechanismen des Kriegstraumas zu ergründen. In den Fokus der Forschung rückt immer mehr, wie sich das Gehirn unter Dauerstress und Todesangst auf der Ebene der Moleküle und Neuronen verändert.

"Jeder wichtige Artikel, den Neurowissenschaftler publizieren, wird von Leuten im Pentagon und in der Rüstungsindustrie geprüft."
Jonathan Moreno

Nun geht es darum, molekularen Mechanismen zu entdecken, die verhindern, dass Erinnerungen zu Traumata werden. Dazu greift man auf bereits bekanntes Wissen zurück: Zu den neuen Therapieansätzen zählen heute Medikamente, die bereits unterbinden, dass Erlebnisse überhaupt zu Erinnerungen werden: die so genannten "Vergessenspillen". So kann der Wirkstoff Propanolol bei traumatisierten Menschen dazu beitragen, die emotionale Last bestimmter Erinnerungen zu verkleinern. "Therapeutisches Vergessen" heißt dieser Ansatz.

Das Seelenheil der Soldaten steht im Hintergrund

Es geht dabei um weit mehr als das Seelenheil von Opfer von Gewalt oder von Soldaten. "Jeder wichtige Artikel, den Neurowissenschaftler publizieren, wird von Leuten im Pentagon und in der Rüstungsindustrie geprüft. Es gibt erhebliche Anstrengungen, finanziert mit Steuergeldern, das Potenzial der Neurobiologie zu erkunden, um Menschen einem Management für militärische und politische Zwecke zu unterziehen", warnt der US-Bioethiker Jonathan Moreno.

Ein bereits 2008 veröffentlichter Bericht führender US-Neurobiologen mit dem Titel "Opportunities in Neuroscience for Future Army Applications", zeigt, wie weit die Kooperation von Wissenschaftlern und Militärs bereits geht. "Die Zeit ist reif, um neurowissenschaftliche Erkenntnisse für Aufgaben mit militärischer Bedeutung anzuwenden", heißt es in dem 120 Seiten langen Dokument, das von den National Academies of Sciences veröffentlicht wurde. Die Armee könnte "viel mehr tun als heute, um mit Hilfe der ganzen Bandbreite der Gehirnforschung suboptimale Entscheidungen [von Soldaten im Einsatz] zu untersuchen und zu korrigieren." Diese Sätze sind nicht etwa von wissenschaftlichen Außenseitern formuliert, sondern von 15 führenden Gehirnforschern aus Institutionen wie Harvard und Caltech sowie Militärexperten von Armee, Rüstungsindustrie und Think-Tanks.

Das übergeordnete Ziel formulierten die Hirnforscher sehr deutlich: Es gehe um eine "Strategie, die es erlaubt, menschliche kognitive Fähigkeiten für 18 bis 20 Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche über 12 bis 15 Monate hinweg in einem hohen Einsatztempo aufrechtzuerhalten." Die Neurowissenschaftler dienten sich regelrecht dem US-Militär an, ihr Wissen in den Dienst der Kriegführung zu stellen, als Gegenleistung für umfangreiche Forschungsförderung. Seither erlebt die militärische Neuroforschung eine steile Karriere.

Wohin kann das führen? Neurobiologisch optimierte Aufnahmetests für Soldaten, bei denen Gehirnscanner zum Einsatz kommen, zählen ebenso zum Spektrum der Forschung wie so genannte Brain-Computer-Schnittstellen, über die militärische Geräte mit der Kraft der Gedanken gesteuert werden können. Besonderes groß ist allerdings das Interesse an Vergessenspillen. Künftig sollen Sensoren in Echtzeit neurologische Daten vom Gefechtsfeld übermitteln, Kommandeure könnten ferngesteuert die Injektion von Medikamenten auslösen – wenn etwa Wachsoldaten einschlafen, ganze Einheiten in Panik verfallen oder eben traumatische Erlebnisse die psychische Belastbarkeit der Soldaten gefährden.

Ein idealer Kandidat für einen militärischen Einsatz ist der Gedächtnishemmer Propanolol. Aber auch das Neuropeptid S gilt als interessant. Im Februar gab das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München bekannt, das Neuropeptid sei als Nasenspray bei Mäusen erfolgreich eingesetzt worden, um Angstattacken schnell zu beheben. Für Militärstrategen ist diese Substanz deshalb mit Sicherheit hochinteressant. Damit tiefe Eingriffe in die Gehirne der Soldaten möglich werden, sind nur noch relativ wenige Fortschritte in der Neuroforschung nötig. Wer das Gehirn kontrolliert, dem wird ein gewaltiger Vorsprung auf den Schlachtfeldern von Morgen zuwachsen. Das gilt besonders für die Herrschaft über Erinnerungen und Gefühle. Wer diesen Mechanismus beherrscht, dem wachsen Kräfte zu, von denen frühere Staatenlenker nur träumen konnten – mit ebenso unermesslichen Gefahren. Es ist höchste Zeit, dass sich die Zunft der Neurobiologen der Frage stellt, wo die Grenzen ihrer Forschung an Manipulationstechniken liegen sollten.

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