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Künstliche Intelligenz: »Schlaue« Hirnimplantate gegen Depression

Die nächste Generation von Hirnimplantaten soll das Gehirn nicht nur elektrisch stimulieren, sondern auch selbst erkennen, wann ein Stromstoß vonnöten ist. Damit hoffen Forscher auch schwere Formen von Depressionen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen in den Griff zu bekommen.
Das Gehirn unter Strom

Wissenschaftler wollen erstmals Hirnimplantate am Menschen testen, welche speziell auf die Gefühle und das Verhalten individueller Personen abgestimmte elektrische Impulse aussenden. Zwei Forscherteams, die von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums finanziert werden, haben mit der Erprobung so genannter Closed-Loop-Implantate begonnen. Diese sollen Muster in der Hirnaktivität detektieren, die zum Beispiel mit affektiven Störungen zusammenhängen, und das Gehirn dann durch gezielte Elektrostimulation sozusagen wieder in einen gesunden Zustand »zurückschocken«.

Der Ansatz, den die Teams im November 2017 auf dem Jahrestreffen der US-amerikanischen Society for Neuroscience (SfN) in Washington D.C. vorstellten, könnte eines Tages neue Möglichkeiten zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen eröffnen, bei denen herkömmliche Therapien bislang versagen. Zugleich wirft er aber auch heikle ethische Fragen auf – nicht zuletzt deshalb, weil das Verfahren Forschern praktisch in Echtzeit Zugriff auf die tiefsten Gefühle eines Menschen gestattet.

Wenn Wissenschaftler mit Hilfe eines in den Schädel eingepflanzten Implantats elektrische Impulse erzeugen und so die neuronale Aktivität beeinflussen, bezeichnet man das auch als »tiefe Hirnstimulation«. Die Methode kommt bereits seit geraumer Zeit bei der Behandlung von Bewegungsstörungen, etwa im Rahmen der Parkinsonkrankheit, zum Einsatz. In der Therapie von Erkrankungen, die mit Veränderungen der Stimmungslage einhergehen, hat sie sich dagegen als weniger wirkungsvoll erwiesen. Zwar deuten die Ergebnisse früher Untersuchungen darauf hin, dass eine kontinuierliche Stimulation bestimmter Hirnregionen möglicherweise dazu beiträgt, eine chronische Depression zu lindern. Im Rahmen einer größeren Studie mit mehr als 90 an Depression erkrankten Patienten konnten Forscher jedoch auch nach einjähriger Behandlung keine Besserung der Symptome beobachten.

Die Wissenschaftler, die an dem von der DARPA finanzierten Projekt beteiligt sind, glauben jedoch, dass sie mit ihrem Ansatz da weiterkommen, wo andere scheiterten. Ihre Hirnimplantate seinen spezifisch auf die Behandlung psychischer Störungen zugeschnitten und schalteten sich nur bei Bedarf ein, erklären sie. »Wir haben viel über die begrenzten Einsatzmöglichkeiten unserer derzeitigen Technologie gelernt«, ergänzt der Neurowissenschaftler Edward Chang von der University of California in San Francisco, der eines der beiden Forschungsprojekte leitet.

Die DARPA stellt Changs Arbeitsgruppe sowie einem weiteren Wissenschaftlerteam vom Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston Finanzmittel zur Verfügung, weil sie sich aus den Forschungsergebnissen eine neue Behandlungsmöglichkeit für Soldaten und Veteranen erhofft, die an Depressionen und Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Beide Forscherteams wollen ein System aus Elektroden entwickeln, welches das Gehirn stimuliert und gleichzeitig seine Aktivität misst. Dafür führen sie unter anderem Versuche mit Epilepsiepatienten durch, denen bereits Elektroden in das Gehirn implantiert wurden, um jene Areale ausfindig zu machen, die an den Krampfanfällen beteiligt sind. Auf diesem Weg können die Wissenschaftler aufzeichnen, was im Gehirn passiert, wenn sie es für eine begrenzte Zeit elektrischen Reizen aussetzen – im Gegensatz zu älteren Implantaten, die das Gehirn dauerhaft stimulieren.

Stimmungskarten

Auf der SfN-Tagung stellte Omid Sani von der University of Southern California in Los Angeles, der in Changs Team mitarbeitet, die erste Karte vor, die veranschaulicht, wie verschiedene Stimmungslagen im Gehirn kodiert werden. Sani und seine Kollegen hatten dem Gemütszustand und die Hirnaktivität von sechs Epilepsiepatienten über ein bis drei Wochen hinweg detailliert aufgezeichnet. Auf Basis dieser Daten entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der es ihnen ermöglichte, anhand der Gehirnaktivität einer Person Rückschlüsse auf Stimmungsveränderungen zu ziehen. Im Verlauf der Experimente zeichneten sich gewisse Aktivitätsmuster ab, insbesondere in jenen Gehirnregionen, die schon in der Vergangenheit mit Gemütszuständen in Verbindung gebracht wurden. Chang und seine Kollegen wollen ein Hirnstimulationsverfahren, das auf diesem System beruht, testen, sobald sie einen geeigneten Freiwilligen gefunden haben.

Inzwischen haben die Wissenschaftler damit begonnen, Algorithmen zu testen, die spezifische Aktivitätsmuster als eine Art Trigger erkennen und daraufhin das Gehirn automatisch stimulieren

Die Wissenschaftler am Massachusetts General Hospital verfolgen einen etwas anderen Ansatz. Sie wollen Hirnsignale kartieren, die mit speziellen Verhaltensweisen einhergehen, die bei einer Vielzahl von Störungen auftreten, beispielsweise Konzentrationsschwierigkeiten oder mangelndes Einfühlungsvermögen. Deshalb haben sie Algorithmen entwickelt, die dabei helfen sollen, das Gehirn von Versuchspersonen zu stimulieren, wenn diese sich von einer ihnen gestellten Aufgabe ablenken lassen – etwa beim Erkennen von Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken, wie die Forscher auf der Tagung berichten.

Dabei entdeckten sie, dass eine elektrische Reizung von Gehirnarealen, die an Entscheidungsfindung und Emotionen beteiligt sind, zu einer signifikant besseren Leistung der Versuchsteilnehmer führte. Wenn eine Person aus Vergesslichkeit oder Unaufmerksamkeit bei der Bearbeitung einer Aufgabe Fehler machte oder langsamer wurde, zeichneten die Forscher die Hirnaktivität auf; durch gezielte Elektrostimulation gelang es ihnen sogar, das Verhalten der Versuchsperson zu normalisieren. Inzwischen haben die Wissenschaftler damit begonnen, Algorithmen zu testen, die spezifische Aktivitätsmuster als eine Art Trigger erkennen und daraufhin das Gehirn automatisch stimulieren.

Personalisierte Behandlung

Wayne Goodman, Psychiater am Baylor College of Medicine in Houston, Texas, hofft, dass sich mit solchen Verfahren Erkrankungen, die mit Stimmungsveränderungen einhergehen, besser therapieren lassen als mit bisherigen Formen der tiefen Hirnstimulation – zum Teil auch deshalb, weil die Algorithmen der neuesten Generation individueller zugeschnitten sind und nicht auf dem Urteilsvermögen eines Arztes, sondern auf physiologischen Signalen basieren. »Man muss die Geräte sehr oft einstellen, damit das Verfahren richtig funktioniert«, betont Goodman, der im Begriff ist, eine kleinere Studie zur Behandlung von Zwangsstörungen mit dem neuen Stimulationsverfahren zu starten.

Eine Herausforderung bei der elektrischen Reizung von stimmungsassoziierten Gehirnregionen sei die Gefahr einer übermäßigen Korrektur von Emotionen, die ein extremes, alle anderen Empfindungen überdeckendes Glücksgefühl hervorrufen könne, gibt Goodman zu bedenken. Die Tatsache, dass die verwendeten Algorithmen den Forschern Informationen über die Stimmungslage einer Person liefern können, die über das hinausgehen, was durch Verhalten oder Mimik erkennbar ist, gibt zudem Anlass zu weiteren ethischen Bedenken. Zwar werden die Wissenschaftler nicht in der Lage sein, die Gedanken ihrer Versuchspersonen zu lesen, aber »wir werden einen Zugang zu Aktivitätsmustern haben, die die Gefühle von Menschen kodieren«, sagt der Neurotechniker und Psychiater Alik Widge von der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, der als technischer Leiter des MGH-Forscherteams fungiert. Wie die Wissenschaftler um Chang und Goodman arbeitet auch Widges Arbeitsgruppe mit Neuroethikern zusammen, um den vielschichtigen ethischen Aspekten, die mit ihrer Forschung verbunden sind, angemessen Rechnung zu tragen.

Dennoch ist Chang der Ansicht, dass die neuen Stimulationsverfahren nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer besseren Behandlung von Erkrankungen wie Depressionen oder bipolaren Störungen sind. Die Daten aus den Implantatstudien könnten Wissenschaftlern auch bei der Entwicklung nicht invasiver Therapieformen helfen, bei denen das Gehirn beispielsweise von außen durch die Schädeldecke stimuliert wird, prognostiziert der Neurowissenschaftler. »Das Aufregende an diesen Technologien ist die Tatsache, dass wir zum ersten Mal eine Art Fenster zum Gehirn erhalten, durch das wir sehen können, was genau passiert, wenn ein Patient einen Rückfall erleidet.«

Dieser Artikel ist im Original bei »Nature« unter dem Titel »AI-controlled Brain Implants for Mood Disorders Tested in People« erschienen.

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