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News: Schlauer als angenommen

Am hintersten Ende des Hinterkopfes sitzt er: der primäre visuelle Cortex. Hier landen alle Informationen aus dem Auge und werden zur Weiterverarbeitung an andere Hirnregionen weitergeleitet. So dachten die Wissenschaftler zumindest bisher. Doch es könnte sein, dass diese Hirnregion noch mehr auf Lager hat als nur das Dasein einer schlichten Schaltstelle. Denn sie dient wahrscheinlich auch als Arbeitsgedächtnis für das Gesehene.
Zum Glück vergessen wir sehr schnell. Denn wenn wir uns alle Sinneseindrücke, die tagaus, tagein auf uns niederprasseln, merken müssten, dann wäre unser Gehirn sehr schnell überlastet. Doch kurzzeitig muss das Gehirn Sinneseindrücke abspeichern, um sie später weiter zu verarbeiten – oder zu vergessen. Wissenschaftler konnten dieses Arbeitsgedächtnis unter anderem im Frontallappen der Großhirnrinde lokalisieren.

Dorthin gelangen die Sinneseindrücke jedoch nicht direkt. Die Axone der Ganglienzellen von der Netzhaut des Auges – unserem wichtigsten Sinnesorgan – enden im so genannten Kniehöcker des Thalamus. Dessen Neurone senden wiederum ihre Axone in den primären visuellen Cortex im Okzipitallappen der Großhirnrinde, die damit die wichtigste Schaltstelle des Gehirns für visuelle Informationen darstellt.

Nur eine Schaltstelle? Das fragten sich Hans Supèr, Henk Spekreijse und Victor Lamme von der Universiteit van Amsterdam. Sie wollten es genauer wissen und setzten daher Makaken vor einem Computerbildschirm. Hier sahen die Affen Punkte, die zufällig erschienen und schnell wieder verschwanden. Dabei sollten sich die Tiere etwa zwei Sekunden lang merken, wo ein Punkt auf dem Bildschirm aufgetaucht war. Fixierten sie die richtige Stelle, erhielten sie eine Belohnung. Gleichzeitig maßen die Wissenschaftler die Neuronenaktivität im primären visuellen Cortex der Tiere.

Erwartungsgemäß feuerten die Neurone des primären visuellen Cortex, wenn die Tiere den Lichtpunkt fixierten. Die Neurone arbeiteten aber weiter, auch wenn der Lichtpunkt wieder verschwunden war. Offensichtlich speicherten die Tiere das Gesehene kurzfristig im primären visuellen Cortex ab. Sobald die Aktivität der Neurone zurückging, machten die Affen mehr Fehler – sie hatten den Ort des Lichtpunktes schlicht vergessen.

Supèr und seine Kollegen vermuten, dass der primäre visuelle Cortex die Sinneseindrücke kurz abspeichert, um in der Zeit mit anderen Hirnregionen zu kommunizieren, die über eine Antwort des Körpers entscheiden. Damit beschränkt sich die Aufgabe des primären visuellen Cortex nicht nur auf die Funktion einer Schaltstelle. Diese Hirnregion sei demnach, so betont Jeffrey Schall von der Vanderbilt University, "wesentlich schlauer als bisher angenommen".

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  • Quellen
Science Now
Science 293(5527): 120–124 (2001)

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